SZ-Adventskalender:Wie Teilhabe an ihre Grenzen stößt

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Eine neue Außenwohngruppe ermöglicht Behinderten die Inklusion in Dorfen. Kulturell ist der Spielraum jedoch eng

Von Thomas Daller, Dorfen

In Algasing nennt man sie scherzhaft die "Ausgewilderten", offiziell spricht man von der Außenwohngruppe Maria. In dieser Wohngemeinschaft im zweiten Stock des Marienhofes in Dorfen wird seit 1. Juli dieses Jahres die Inklusion von Menschen mit Behinderung praktiziert. Zwölf Männer und Frauen im Alter von 20 bis 56 wohnen dort auf 400 Quadratmetern in einer Wohngemeinschaft mitten in der Stadt. Mit ein wenig Unterstützung durch eine Vollzeitkraft und fünf Teilzeitmitarbeiter sollen sie selbständig ihren Alltag meistern. Der Inklusionsgedanke, der dahinter steckt, zielt auf die Teilhabe am öffentlichen Leben. Das klappt an sich ganz gut, aber wenn man auch das kulturelle Leben erleben möchte, Konzerte im Jakobmayer oder mal in München, reicht das Taschengeld der Bewohner hinten und vorne nicht aus. Ähnlich verhält es sich, wenn beispielsweise ein Tagesausflug zum Chiemsee geplant ist. Nur zwei Bewohner, die von ihren Angehörigen unterstützt werden, könnten sich das leisten, die anderen jedoch nicht.

Die Bewohner der Außenwohngruppe Maria sind Pioniere der Inklusion. Bislang wurden Menschen mit Behinderung im kompletten bayerischen Raum in Großeinrichtungen zusammengefasst, um sie kostengünstig betreuen zu können. In Algasing wurde jenen Bewohnern, denen man es zutraute, das Angebot gemacht, in dieser Außenwohngruppe in Dorfen zu leben.

Zum Arbeiten kommen sie nach wie vor jeden Werktag in die Behindertenwerkstätte in Algasing an ihren alten Arbeitsplatz. Nach Feierabend fahren sie mit dem Kleinbus der Wohngemeinschaft zurück und dann erledigen sie in ihrem neuen Umfeld die anfallenden Tätigkeiten wie Wäsche waschen oder kochen. Dreimal in der Wochen kommt eine Putzfrau und wischt die Böden durch, ansonsten können sie mit ein wenig Hilfe ihren kompletten Alltag meistern. "Ich bin begeistert von unseren Bewohnern, was die alles können, wenn sie müssen", sagte Gerhard Blenninger, der die Gruppe betreut. Es gebe zwar in Algasing auch Menschen, für die ein Leben in der Stadt zu viel Reizüberflutung biete, aber in dieser ersten Wohngemeinschaft seien sogar Bewohner, die in ein, zwei Jahren sogar in eine ambulant betreute Wohneinrichtung wechseln könnten.

Sie verfügen über Fahrräder, können ihre Einkäufe tätigen und alles unternehmen, was nichts oder nicht viel kostet. Denn finanziell verfügen sie nur über ein knappes Budget: Sie bekommen 100 Euro monatlich Taschengeld, verdienen monatlich in der Behindertenwerkstätte nochmal 80 bis 100 Euro dazu und bekommen 28,50 Euro Bekleidungspauschale. Ferner erhalten sie ein knapp bemessenes Verpflegungsgeld von 1,60 Euro pro Mahlzeit. "Versuchen Sie mal, für das Geld eine Mahlzeit zu bekommen", sagt Blenninger. Dennoch klappt das Leben der Gruppe in Dorfen, man kocht einzeln oder gemeinsam, es gibt zwei Herde und zwei Backöfen und im Sommer kann man sogar auf der Dachterrasse grillen.

Allerdings würden sich die Bewohner freuen, wenn sie im Rahmen des Adventskalenders für gute Werke ein paar Euro zusätzlich bekommen könnten, um auch am kulturellen Leben teilnehmen zu können. Sie erhalten zwar ermäßigte Eintrittspreise durch ihre Behindertenausweise, aber für sie sind die Karten oftmals dennoch sehr teuer. Viele der Bewohner lieben Musik und würden gerne mal zu Konzerten in den Jakobmayer gehen. Aber schon für eine Karte für zehn Euro müssen sie eisern sparen. Der Traum vieler wäre beispielsweise ein Konzertbesuch in München, aber bei Kartenpreisen von oftmals 80 Euro ist nicht daran zu denken. Selbst ein Tagesausflug mit dem Bus an den Chiemsee führt schon an die finanziellen Grenzen, weil sich nicht jeder die Brotzeit im Biergarten leisten könnte.

Keiner jammert deswegen, aber schön wäre es halt schon, wenn durch Spenden so ein Sparschweinderl zusammenkäme, aus dem man bei Bedarf auch die Teilhabe an kulturellen und anderen Freizeitaktivitäten finanzieren könnte.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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