Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus:Erste Stolpersteine in Erding verlegt

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Die beiden ersten Erdinger Stolpersteine erinnern an das Geschwisterpaar Sophie und Leopold Einstein. (Foto: Stephan Görlich)

Seit Dienstag erinnern zwei in das Pflaster vor der Stadtapotheke eingelassene Plaketten an die ermordeten Geschwister Sophie Buchmann und Leopold Einstein. Weitere Stolpersteine im Stadtgebiet und im Landkreis sollen bald folgen

Von Emily Bader, Erding

Die Aufschriften sind kurz und knapp, sie geben dem Betrachter nur ein Minimum an Informationen und wirken doch gerade in ihrer reduzierten Form stark und eindrücklich. Auf der glänzenden Messingoberfläche des rechten Steins steht: "Hier wohnte Sophie Einstein. Verh. Buchmann. JG. 1879, Verzogen Nürnberg, Deportiert 1942, Transit Ghetto Izbica. Ermordet." Links daneben liest man: "Hier wohnte Leopold Einstein. JG. 1880, Verzogen Nürnberg, "Schutzhaft" 1938 Dachau, Deportiert 1942, Theresienstadt. Ermordet 18.07.1943."

Der Künstler Gunter Demnig hat am Dienstagmorgen um neun Uhr zwei sogenannte Stolpersteine für die von den Nationalsozialisten ermordeten Geschwister Sophie Buchmann und Leopold Einstein vor der Stadtapotheke in Erding verlegt, es sind die ersten in Erding. Anlässlich des Gedenkens an die Opfer der NS-Zeit richtete sich Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) mit einer Ansprache an die mehr als 70 Anwesenden. Mitglieder der Arbeitsgruppe "Erding erinnert" moderierten die Zusammenkunft. Untermalt wurde die Veranstaltung vom Schulchor des Korbinian-Aigner-Gymnasiums unter der Leitung von Musiklehrer Markus Nißl.

Gunter Demnig bei der Verlegung der ersten zwei Erdinger Stolpersteine vor der Stadtapotheke in der Langen Zeile. (Foto: Stephan Görlich)

Die sogenannten Stolpersteine sind Teil eines groß angelegten und seit Jahren andauernden Projekts des Künstlers Gunter Demnig und sind Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Intention der Stolpersteine sei, ein gedankliches Stolpern zu bewirken, erklärte Demnig: "Man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen." Jeder Stolperstein trägt den Namen eines einzelnen verfolgten oder ermordeten Menschen sowie kurze Angaben zu Biografie und persönlichem Schicksal. Diese Informationen werden meist von geschichtsinteressierten Bürgerinnen und Bürgern ehrenamtlich recherchiert. In Erding haben die Mitglieder des Arbeitskreises "Erding erinnert" zu den zwei jüdischen Geschwistern Sophie Buchmann und Leopold Einstein geforscht, für die am 8. März die Stolpersteine verlegt wurden.

Sophie Buchmann, geborene Einstein, wurde am 27. März 1879 in Erding geboren. Ihre Eltern, die jüdischen Eheleute Jacob und Amalie Einstein, waren aus Fellheim im Landkreis Unterallgäu zugezogen. Die Familie wohnte in der Langen Zeile in einem Haus, das einige Jahre später abgerissen und an dessen Stelle 1891 die heutige Stadtapotheke errichtet wurde. Wie lange die Familie Einstein in Erding lebte, ist unbekannt. Gesichert ist, dass sie noch vor dem Ersten Weltkrieg nach Nürnberg umgezogen, wo Sophie 1913 ihren jüdischen Ehemann Philip Buchmann heiratete. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Theodor David und Walter Emil. Der jüngere Sohn Walter Emil wanderte 1938 nach Argentinien aus und überlebte so als einziges Familienmitglied den Holocaust. Sophie Buchmann wurde mit ihrem Mann und ihrem Sohn Theodor David am 24. März 1942 von Nürnberg aus in das Ghetto Izbica im heutigen Polen deportiert. Aufgrund der katastrophalen Lebensumstände verstarben dort viele Tausende Jüdinnen und Juden, noch bevor die SS sie in Vernichtungslager weitertransportierten. So auch Sophie Buchmann. Die genauen Todesumstände und das exakte Todesdatum der gebürtigen Erdingerin sind bis heute unbekannt, weshalb der Tag des Kriegsendes, der 8. Mai 1945, als ihr offizieller Todestag eingetragen wurde.

Ihr Bruder Leopold Einstein wurde am 19. Mai 1880 in Erding geboren. Auch er lebte anschließend in Nürnberg, bis er in Folge der Reichspogromnacht 1938 bis zum 21. Dezember 1938 im KZ Dachau interniert wurde. Am 10. September 1942 deportierte man ihn von Nürnberg aus mit dem Transport II/25 in das Ghetto Theresienstadt im heutigen Tschechien. Dort starb er am 18. Juli 1943 - angeblich an einer Rippenfellentzündung.

"Sowohl Opfer als auch Täter waren unsere Nachbarn."

Die Zusammenkunft anlässlich der Verlegung der Stolpersteine diene dazu, den Geschwistern Einstein sowie allen Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken, betonte Oberbürgermeister Max Gotz in seiner Begrüßungsrede. Die Stolpersteine sollten dazu beitragen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten an eine Zeit, "die wir nie wieder erleben wollen". Doch es gehe nicht nur um das Gedenken an die Vergangenheit: Mit Blick auf die Ukraine-Krise betonte der OB, dass die Steine auch als Fingerzeig in die heutige Zeit verstanden werden sollten, in der "erneut ein Diktator die zivile Bevölkerung unterdrückt". Er richtete sich mit dem direkten Appell an die Anwesenden, die Menschen aus und in der Ukraine zu unterstützen.

"Morning ist coming and the day drops the weight of the night", sang der Schulchor des Korbinian-Eigner-Gymnasiums, der die Verlegung der Stolpersteine musikalisch untermalte. Passend zum Text des Liedes mahnte Schorsch Wiesmaier, Mitglied der Geschichtswerkstatt Dorfen und der Arbeitsgruppe "Erding erinnert", dass die fortlaufende Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit -gerade mit ihren dunklen Kapiteln - elementar sei, um Vergessen zu verhindern und eine hellere Zukunft zu erreichen: "Sowohl Opfer als auch Täter waren unsere Nachbarn."

Der Künstler Gunter Demnig verließ die Zusammenkunft frühzeitig, um noch in zwei anderen Städten Stolpersteine zu verlegen. Mehr als 90000 der Steine gibt es bereits, in fast allen europäischen und auch einigen außereuropäischen Städten. Auch im Stadtgebiet und in anderen Orten im Landkreis Erding sollen bald weitere Stolpersteine folgen.

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