Schwaigermoos:Bevor der Tee zur Legende wird

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So sah es in der Teehalle aus, wo die Pfefferminze verarbeitet wurde. (Foto: A. Gschlößl)

Die Pfefferminze gedieh prächtig im Moos. Heute sind die Äcker unter einer Betondecke verschwunden. Schwaigermoos lebt aber fort - in einer Chronik

Von Regina Bluhme, Schwaigermoos

Wenn Hildegard Zörr an ihre Kindheit denkt, dann erinnert sie sich gern an die vielen Teefelder rund um Schwaigermoos. Die Äcker voller Pfefferminz sind längst unter einer Betondecke verschwunden. Jetzt steht da der Flughafen München und von der kleinen Siedlung zeugen heute nur ein paar wenige Gebäude. Doch Schwaigermoos lebt - in einer umfassenden Chronik, die Hildegard Zörr mit Waltraud Franzspeck und dem Oberdinger Archivpfleger Georg Gruber gerade erstellt. Jedes der einst mehr als 40 Anwesen ist dort mit Baujahr, Besitzer und Fotos präsent. Der Band mit seinen circa 150 Seiten soll im März der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Schulweg durch die Allee von Moorbirken

"Das war unser Hof", sagt Hildegard Zörr und zeigt auf ein Rechteck. Sie hat einen Plan gezeichnet mit den Anwesen, die es einmal in Schwaigermoos gegeben hat. Auf dem Din-A-4-Blatt sind 42 Rechtecke zu sehen. Die zumeist kleineren Landwirtschaften standen entlang des Grüselgrabens und des Süßbachs. An ihre Kindheit in den Fünfzigerjahren erinnert sich Hildegard Zörr gern, "für mich war das eine heile Welt": "Im Grüselgraben haben wir unsere Milch gekühlt, durch die Allee von Moorbirken sind wir zur Schule in Eittingermoos gegangen." Wie fast überall in Schwaigermoos haben auch die Eltern von Hildegard Zörr Pfefferminztee angebaut. "Im Hof wurden dann die Blättern auf Leintüchern getrocknet", erinnert sie sich.

Der Teeanbau im Moos, "das ist schon eine recht eigenartige Sache", sagt Heimatforscher Georg Gruber. Doch zuvor erzählt er noch schnell die Entstehungsgeschichte des Orts. Die begann eigentlich erst Ende des 18. Jahrhunderts mit der Kultivierung der Torfwiesen im Moos. Den Torf nutzten die Brauereien ringsum zum Beheizen ihrer Sudkessel. Einige Freisinger Brauereien hatten ihre eigene Schwaige im Moos, also Außenhöfe, die für sie den Torf stachen und in Torfhütten trockneten. Vor Ort wurde dann auch gleich Bier ausgeschenkt. So gab es in Schwaigermoos zum Beispiel die Daurer Schwaige vom Daurerbräu und die Elefanten-Schwaige. "Der Name rührt wohl von einem gleichnamigen Gasthaus her, in dem einmal ein Zirkus seinen Elefanten untergestellt haben soll", berichtet Hildegard Zörr.

Die englische Pfferminze gedieh

Dann kam Kommerzienrat Hans Lutzenberger auf eine Idee, wie Georg Gruber berichtet. Der wissenschaftliche interessierte Gutsverwalter der Familie Franz Pariser, nach der der inzwischen komplett verschwundene Flughafenanrainer Franzheim benannt war, hatte um 1900 bei einem Besuch im Botanischen Garten in München ein Versuchsbeet mit Pfefferminze entdeckt. Er brachte ein paar Pflanzen mit ins Moos. Der Anbau war jedoch nicht sehr vielversprechend. Also ließ sich Lutzenberger Pflanzen aus England zuschicken - und siehe da: Die englische Pfefferminze gedieh prächtig im Moos.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es viele Pfefferminzfelder in Schwaigermoos, so Georg Gruber. Die Pflanzen wurden als Tee, aber auch als Heilmittel verkauft. "Das Gute an der Pfefferminze war, dass man auch auf kleinen Anbauparzellen Gewinne machen konnte", berichtet der Gemeindearchivar. So hatte nahezu jedes Anwesen ein mehr oder weniger großes Teefelder beim Haus. "Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg war das eine durchaus einträgliche Geldquelle", so Gruber. So einträglich, dass in Schwaigermoos sogar eine Teeproduktionsgenossenschaft gegründet wurde mit einer eigenen Teehalle, in der die Pflanzen vermarktet wurden. "Das war richtig im großen Stil aufgezogen", weiß Gruber.

Teefest mit Schießbuden

Es gab in den Fünfzigern sogar ein Teefest mit Schießbuden und Karussell, "da war wirklich was los", erinnert sich Georg Gruber. Gut, Wirtshaus, Kirche und Schule waren im benachbarten Eittingermoos, aber dafür gab es in Schwaigermoos ein beliebtes Ausflugslokal namens Café Tip Top, wie sich Gruber erinnert.

Als 1992 der Flughafen München im Erdinger Moos in Betrieb ging, verließ ein Bewohner nach dem anderen die Ortschaft. Ein Großteil der Siedlung liegt heute unter der Betonpiste, die verbliebenen Häuser sind zumeist Ruinen, die nach und nach abgerissen werden. Drei Gebäude sind noch bewohnt, sie liegen in unmittelbarer Nähe zur geplanten dritten Startbahn. Hildegard Zörr hat 1972 mit 17 Jahren Schwaigermoos verlassen. Bis zuletzt stand ihr Elternhaus noch, jetzt sind Teile abgerissen worden. "Jetzt bin ich schon so lange weg, aber das ist mir nahe gegangen", sagt sie.

"In letzter Sekunde"

Für Mitautorin Waltraud Franzspeck, die ebenfalls in Schwaigermoos geboren ist, kommt die Chronik "in letzter Sekunde, bevor alles verschwunden ist". In ein paar Jahren werde niemand mehr mit dem Namen Schwaigermoos etwas anfangen können, befürchtet sie. "Wir wollen zeigen, dass hier einmal eine lebendige Gemeinschaft war. Wir waren wer." Dafür haben Waltraud Franzspeck und Hildegard Zörr jetzt fast ein Jahr lang in Bibliotheken und Archiven gesucht, haben alte Akten und Dokumente gewälzt und unzählige Gespräche geführt. Sie haben es tatsächlich geschafft, Daten zu nahezu jedem ehemaligen Anwesen zu finden. Zudem haben sie auch jede Menge Fotos entdeckt, angefangen von der Viehwaage im Ort, von Kindern bei der Heuernte, von ernst dreinblickenden Hochzeitspaaren oder längst verfallenen Torfhäusln. Nur beim Schwaigermooser Feuerwehrhaus wurden die beiden bislang nicht fündig.

Die Enkel interessieren sich für die Geschichte

Noch immer sind Zörr, Franzspeck und Gruber eifrig am Schreiben und Sammeln. "150 Seiten werden es schon werden", schätzt Hildegard Zörr. Weil Schwaigermoos zur Gemarkung von Oberding gehört, hat Georg Gruber im Gemeinderat einen Zuschuss beantragt. Räte und Bürgermeister Bernhard Mücke waren von dem Projekt begeistert. Einstimmig wurde beschlossen, Druck, Materialkosten und Vertrieb für 300 Exemplare zu übernehmen. Zudem stellt die Gemeinde ihr Bürgerhaus für die Präsentation im März zur Verfügung. Offenbar rechnet Oberding mit einem guten Absatz. Bei Bedarf könne jederzeit nachgedruckt werden, fügte der Bürgermeister gleich hinzu. Das Interesse an Schwaigermoos ist auf jeden Fall groß, ist Georg Gruber überzeugt. In letzter Zeit kämen verstärkt Enkel der ehemaligen Bewohner auf ihn zu. "Die jungen Menschen wollen wissen, woher sie kommen".

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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