Aufklärungsarbeit:"Denken schützt nicht vor Dummheit"

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Christian E. Weißgerber war einmal aktiv in der rechten Szene Thüringens unterwegs. Vor mehr als zehn Jahren ist er ausgestiegen. (Foto: oh)

Ex-Neonazi Christian E. Weißgerber spricht in Erding auf Einladung der Evangelischen Gemeinde. Er erzählt, wie er den Ausstieg aus der rechten Szene geschafft hat.

Von Regina Bluhme, Erding

Es ist eine Minute vor 19.30 Uhr. Gleich soll es losgehen im Evangelischen Gemeindehaus in Erding, aber noch warten Christian E. Weißgerber und Pfarrerin Dorothea Zwölfer auf Zuhörer. Am Schluss sind sechs Plätze besetzt. Ein so kleines Publikum ist für Weißgerber eher ungewohnt. Doch die Anzahl ist dem 34-Jährigen nicht wichtig. Er will aufklären und er wird seine Geschichte erzählen. Die Geschichte von einem jungen Mann, der jahrelang aktiv in der Neonaziszene war und dann den Ausstieg geschafft hat.

"Hallo. Christian." So stellt sich der 34-Jährige am Dienstagabend vor. Weißgerber ist bundesweit auf Vorträgen und Lesungen unterwegs, er spricht vor Schulklassen, gibt im Radio, im Fernsehen und in Zeitungen Interviews. Sein Termin ist zugleich Abschluss einer Vortragsreihe der Evangelischen Gemeinde Erding und des EBW Freising zum Thema "Häusliche und Sexualisierte Gewalt". Deswegen wird Weißgerber in Erding ausnahmeweise auch aus dem ersten Kapitel seiner Autobiografie "Mein Vaterland" lesen, in dem er vom gewalttätigen Vater berichtet. Doch die vielen Schläge und Erniedrigungen will Weißgerber nicht als Entschuldigung gelten lassen. Die Entscheidung liege bei einem selbst.

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Rechtsextremismus beschreibt er als eine Art Mosaik aus verschiedenen Brauntönen. Es gebe ganz unterschiedliche Gruppierungen, "Gruppen, die sich mitunter gegenseitig nicht braun sind", wie er es ausdrückt. In der Szene sind Arme und Wohlhabende unterwegs, sie ist nicht auf den Osten beschränkt, er kenne auch Aussteiger aus der Erdinger Naziszene, betont Weißgerber. Sie hat auch nichts mit dem Bildungsgrad zu tun: "Denken schützt nicht vor Dummheit."

Seine Geburtsstadt Eisenach mit dem Weltkulturerbe Wartburg gehöre, so sei ihm von Anfang an vermittelt worden, zu Deutschlands Elite, "hier haben Deutsche die Weltgeschichte angetrieben". Zugleich nagte in ihm durch die "krasse Kindheit auch ein krasses Ungerechtigkeitsgefühl", wie er zugibt. Dazu kamen Alltagsrassismus in seinem Umfeld und das Gefühl, keinem trauen zu können, schon gar nicht der Politik. Und tatsächlich die Sorge, dass Deutschland vom Aussterben bedroht sei. Auch die Monstrosität der Naziverbrechen habe auf ihn als Teenager eine "gewisse Faszination" ausgeübt.

Weißgerber war ein guter Schüler auf dem Humanistischen Gymnasium

Auf dem Humanistischen Gymnasium in Eisenach wurden er und Mitschüler angehalten, die Dinge zu hinterfragen. Er sei ein guter Schüler gewesen, Geschichte habe ihn sehr interessiert, er habe viel gelesen und geriet dabei an revisionistische Literatur über deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg.

Schließlich lernte er "den Stefan" kennen, der gut vernetzt war in der rechten Szene. Fotos zeigen Christian Weißgerber bei Demonstrationen und Trauermärschen. Er wird als Redner bei Kundgebungen gebucht, organisiert Veranstaltungen und Konzerte und dreht auch ein paar Propaganda-Videos. Schließlich führt er eine militante Neonazi-Splittergruppe in Thüringen.

Er habe Fehler gemacht und wolle heute andere aufklären, sagt Weißgerber

Wie kommt man da wieder raus? "Dazu braucht es einen Leidensdruck", sagt Weißgerber. Einen großen. Denn für die meisten sei die Szene eine Art Ersatzreligion mit festen Glaubenssätzen, geheiligten Orten, Hierarchien, Ritualen, Festtagen. Der Leidensdruck setzte bei ihm ein, als er immer öfter mit der Polizei in Konflikt kam und er schließlich auch erkannte, dass er bislang nichts bewegt hatte.

Ein großer Schritt war der Umzug nach Jena zum Studium. Ein neues Umfeld, neue Leute mit anderen Ansichten, "die auch Contra gaben". Dann der lange und schmerzhafte Weg, sich einzugestehen: "Ich habe Bullshit gebaut." 2010 kehrte er der Szene endgültig den Rücken. Heute lebt der Autor und Kulturwissenschaftlicher in Berlin. Er wolle sich seiner Verantwortung stellen, andere aufklären und dazu animieren, selbst auch Verantwortung zu übernehmen.

Der schmerzhafte Abnabelungsprozess dauert noch immer an

Wie Andere am Einstieg die rechte Szene hindern? Da wisse er auch keine Patentantwort, räumt er ein. Das Grundlegende sei, dass sich der Betreffende von sich aus ändern wolle.

Sein Abnabelungsprozess dauere bei ihm auch nach mehr als zehn Jahren noch immer an, räumt Christian E. Weißgerber ein. Die Tattoos mit den Nazisymbolen hat er nach und nach überstechen lassen. Auch das ein sehr schmerzhafter Prozess.

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