Museum Erding:Enthüllung des letzten Willens

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"Mit der Seele sehen" war die letzte Kunstaktion von Rudolf L. Reiter, die nun posthum zum Abschluss kam. Vorne das Bild "Metamorphosen". Die Leinwand in der Mitte bleibt für immer verpackt. Die dritte, unberührte Leinwand wurde ausgepackt. (Foto: Renate Schmidt)

Die rätselhafte Kunstaktion Rudolf L. Reiters "Mit der Seele sehen" erlebt ihr Finale. Fünf Jahre nach dem Start und vier Jahre nach dem Tod des Künstlers werden die Pakete mit einer bemalten und zwei unbemalten Leinwände geöffnet.

Von Florian Tempel, Erding

Als sich alle in dem kleinen Raum hinten rechts im Erdinger Museum versammelt haben, spielen Martina Eisenreich und Andreas Hinterseher zur Einstimmung ihr erstes Stück. Man steht da, lauscht und versteht: Musik zu empfinden, ist doch vielmehr als ein Aufeinander und Miteinander von Tönen zu hören. Und ein Bild zu betrachten, ist doch ungleich mehr, als Farben und Formen zu erkennen. Noch gibt es freilich hier gar kein Bild hier zu sehen, sondern nur drei flache Pakete an der Wand.

Jeder weiß, es sind in braunes Packpapier eingewickelte und mit Hanfschnüren verknotete Leinwände. Nur eine ist bemalt, die anderen beiden weiß. Welche, weiß man aber nicht. Man kann das nicht sehen. Zumindest nicht mit den Augen. Doch der vor vier Jahren verstorbene Erdinger Künstler Rudolf L. Reiter war sich dennoch sicher, dass es gehen müsste. Nicht mit einem Röntgenblick, sondern "mit der Seele sehen", das müsste doch möglich sein. Oder nicht?

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Die drei mit römischen Zahlen markierten Bilderpakete wurden in den vergangenen fünf Jahren an mehreren Orten gezeigt. Die Ausstellungsbesucher waren aufgefordert, ihr Empfinden auf Zettel zu notieren und anzukreuzen, in welchem Paket sie das Gemälde erspürt hätten. 288 Frauen, Männer und Kinder haben mitgemacht. Und tatsächlich: Die bemalte Leinwand wurde am häufigsten genannt.

Martina Eisenreich und Andreas Hinterseher begleiteten den Abend mit ihrer emotionalen Musik sehr treffend. (Foto: Renate Schmidt)
Rudolf L. Reiter 2018 beim Auftakt der Aktion "Mit der Seele sehen" im Museum Erding. (Foto: Museum Erding)

"Exakt fünf Jahre, auf den Tag genau", sagt Museumsdirektor Harald Krause, hat sich eine kleine Schar von Reiter-Freunden zum letzten Akt der Kunstaktion versammelt. Mit Spannung erwarten alle, dass die bemalte Leinwand nun bald enthüllt wird. Statt, wie ursprünglich vorgesehen, auch beide weißen Leinwände auszupacken, wird das nur bei einer geschehen, denn ein Paket soll für immer erhalten bleiben. Auch die eigentlich vorgesehene spontane Malaktion wird es nicht geben, denn Rudolf L. Reiter weilt nicht mehr unter uns.

Der Wunsch seines Schwiegersohn Hamit Ataseven an seiner Stelle eine Leinwand zu bemalen, kann schon aus formalen Gründen nicht realisiert werden, erklärt Museumsleiter Krause. Er verweist auf einen Beschluss des Erdinger Stadtrats, dass im Museum nicht die Werke von lebenden Künstlern ausgestellt werden dürften. Ataseven hätte also allerhöchstens ein Bild malen dürfen, das man sofort danach aus dem Museum weggebracht hätte. Das bringt es ja nun auch gar nicht.

Notar Rudolf Burghart (rechts) bestätigte Museumsleiter Harald Krause , dass alles mit rechten Dingen zuging und nicht getrickst wurde. (Foto: Renate Schmidt)
Victoria Reiter, Hamit Ataseven und Harald Krause öffnen die verpackten Leinwände. (Foto: Renate Schmidt)

Petra Bauernfeind, Zweite Bürgermeisterin von Erding, nennt in ihrer Ansprache die Aktion "Mit der Seele sehen" ein Experiment, ganz so wie man es von Rudolf L. Reiter zeitlebens kannte. "Er hat sich ja allerhand einfallen lassen", sagt Bauernfeind. Es seien durchaus "extravagante Aktionen" gewesen, sagt sie, und erinnert an die erst kürzlich aus Island nach Erding heimgekehrten bemalten Leinwandfahnen, die er 2006 in einer isländischen Lavaspalte aufhängte. Es war der Abschluss seines Zyklus "Zeit der Wiederkehr", bei dem er zuvor bemalte Leinwände dem Wind und dem Wasser übergeben und in der Erde vergraben hatte.

Nun muss Notar Rudolf Burghart ans Rednerpult und bestätigen, dass er die ganze Aktion schon vor fünf Jahren höchst seriös geprüft und beglaubigt hat. Das Prozedere bis zur finalen Enthüllung ist schriftlich fixiert und genau festgelegt. Burghart sagt, man solle unbedingt mit dem Herzen und der Seele sehen "und das Hirn dazu einschalten".

"Metamorphose" - der farbige Ausbruch eines Vulkans, ein bunter Wirbelsturm, ein dynamisches Fließen und Ergießen auf und aus der Erde heraus. (Foto: Renate Schmidt)

Dann werden zwei Bilderpakete ins Museumsfoyer getragen und auf einen Tisch gelegt. Victoria Reiter, die Tochter des verstorbenen Künstlers, Hamit Ataseven und Harald Krause schneiden das Packpapier mit Scheren vorsichtig entlang des Rahmens auf. Zuerst kommt eine weiße Leinwand zum Vorschein, dann das gemalte Bild. Ein vielstimmiges "Ah, wie schön" geht durchs Foyer, "ein echter Reiter".

Das ist es, ohne Frage. Es trägt den Titel "Metamorphose" und vereint die vier Elemente, die Rudolf L. Reiter künstlerisch und persönlich so fasziniert und beschäftigt haben. Das Bild ist der farbige Ausbruch eines Vulkans, ein bunter Wirbelsturm, das Fließen und Ergießen auf und aus der Erde heraus. Da ist alles drin - der letzte Wille des Künstlers.

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