Markt Schwaben:Zusammen stehen

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120 Menschen versammeln sich zu einer Kundgebung für die Opfer von Hanau. Der Abend gibt Hinweise, wie es gelingt, dass Menschen aus 70 Nationen in einem Ort friedlich zusammen leben

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben

Andrea ist noch keine zehn Jahre alt, doch sie braucht nicht mal eine vollständige Dekade an Lebenserfahrung, um das zu verstehen: "Man bringt keine Menschen um", sagt sie. "Die Hautfarbe ist egal." Könnte ein jeder diese zwei Sätze einer Neunjährigen unterschreiben, stünde Andrea aus Markt Schwaben heute wohl nicht hier. Sie würde nicht frierend unter ihrer Pudelmütze hervorblinzeln. Nicht versuchen, die Liedzeile "Markt Schwaben ist bunt - wir halten zusammen" mitzusingen. Andrea hätte keinen Anlass, um eine Kerze in den Händen halten.

Nicht jedem Menschen gelingt es, zur Zwei-Satz-Formel einer Neunjährigen zu gelangen, das zeigte das Attentat im hessischen Hanau vor einer Woche. Elf Menschen starben, weil ein in München wohnhafter Mann aus rassistischen Motiven gezielt Menschen mit Migrationshintergrund ermordete, ehe er sich selbst und seine Mutter richtete. Deswegen steht Andrea jetzt 400 Kilometer südöstlich von Hanau in der Kälte. In Markt Schwaben, wo die Kirchenglocken am Mittwochabend zu Ehren der Opfer bereits um kurz vor 19 Uhr läuten. 120 Menschen haben sich auf dem Marktplatz versammelt, aufgerufen hatten zwei Gemeinderäte der Grünen. Andrä le Coutre und Joachim Weikel, der selbst überrascht ist, "dass so viele da sind".

Innerhalb von drei Wochen kommen im Landkreis Ebersberg an diesem Mittwochabend zum vierten Mal Menschen aus der Region zusammen, um sich für die Demokratie zu positionieren. In Ebersberg und Vaterstetten gingen je hundert Leute gegen die jüngsten Aktionen aus Reihen der AfD auf die Straße, am Tag der Bluttat von Hanau trafen sich - abermals in der Kreisstadt - 30 Menschen für eine spontane Mahnwache. Und nun in Markt Schwaben.

Gesänge für die Freiheit dröhnen über den Platz, Gebete und Reden gegen den aufkommenden Rechtsextremismus. Wie schon in Vaterstetten ist auch die Markt Schwabener Menge ein bunter Mix dieses Orts, in dem 70 Nationen beisammen wohnen. Hier stehen Eltern mit ihren Kindern, Zuwanderer und ihre Familien, Alteingesessene und Neuankömmlinge, Gemeindebürger und Gemeindepolitiker, Geflüchtete und Asylhelfer. Und natürlich sind die Vereine "Bunt statt Braun" und "Seite an Seite" gekommen. Tobias Vorburg, der wohl bekannteste Vorkämpfer für Flüchtlingsrechte im Landkreis, liest die Namen der Ermordeten vor. Kerzen werden entzündet, eine bekommt die kleine Andrea.

Bei all der demonstrativen Entschlossenheit zeigt dieser Abend in Markt Schwaben auch, dass Taten wie in Hanau oder zuvor Halle für die Werte der Demonstranten Rückschläge waren. Am deutlichsten wird Tayfur Özbasaran von der islamischen Gemeinschaft Ditib im Ort. In einer Rede berichtet er davon, dass es "für die muslimischen Bürger und Moscheegemeinden in Deutschland" in den vergangenen Jahren "immer unerträglicher geworden" sei. Özbasarans Forderung: "Die Sicherheitsbehörden sind nun in besonderer Verantwortung."

Trotz klirrender Kälte harren die Familien auch nach knapp 45 Minuten stoisch aus. Schneefall setzt ein, eine Brise weht über den Marienplatz und bläst einer Demonstrantin ins Gesicht. Ulrike Bittner, die Geschäftsführerin vom Kreisverband der Awo, hat vor nicht allzulanger Zeit selbst erlebt, wie es ist, wenn der Rechtsextremismus einem bis vor die Haustür folgt. "Es war einfach unfassbar", erzählt sie. Bittner und der Awo-Kindergarten in Markt Schwaben wurden vor drei Jahren Opfer einer medialen Hetzkampagne, die darin gipfelte, dass die rechtsextreme Identitäre Bewegung den Kindergarten für eine politische Aktion mit Plastikschmuck missbrauchte. Bittner reagierte, indem sie das identitäre Material in eine braune Kiste packte. Für die Demo hat Bittner einen warmen Mantel gewählt, ihr Fall zeigt, dass man im Kampf gegen Extremisten auch sonst dickes Fell braucht.

Alle sind sie gekommen, die vier Bürgermeisterkandidaten und der Amtsinhaber Georg Hohmann. Während er in seiner Rede eine "härtere Strafverfolgung" von rechtsextremen Straftätern fordert, brennt hinter einer gläsernen Marktplatz-Ladentür noch Licht. Im "Il Gelato Italiano" sind noch zwei Mitarbeiter zu Gange, die 34 Jahre alte Talita Boteon und der 40-jährige Valmir Teixeira. Während sie den Tresen reinigen, ist zu erfahren, dass beide aus der brasilianischen Stadt Santa Catarina kommen. Angst? Kopfschütteln. "Es muss weiter gehen", sagt Valmir Teixeira. Zwei Brasilianer, die bei einem Italiener in Oberbayern arbeiten. Weil es längst das normalste auf der Welt ist.

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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