Zivilschutz:Ukrainische Minensucher trainieren in Bayern

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Ausbilder Frank Masche und Geschäftsführerin Eveline Zwehn neben einer russischen Flugzeugbordrakete S5 und einer Panzerabwehrlenkrakete ATGM. (Foto: Renate Schmidt)

Die EOD Academy in Langenpreising bildet Ukrainer in der Räumung von Kampfmitteln aus. Seit Kriegsbeginn ist die Nachfrage nach den Kursen sprunghaft gestiegen. Der Krieg hat das Land in eines der größten Minenfelder der Welt verwandelt.

Von Thomas Daller, Langenpreising

Der Krieg gegen die Ukraine hat das Land in eines der größten Minenfelder der Welt verwandelt. Nach Angaben Kiews sind inzwischen 30 Prozent der Fläche vermint - sowohl von der russischen als auch von der ukrainischen Armee. Beide Seiten verfügen über riesige Bestände an Sprengsätzen aus der Sowjetzeit. Bevor eine zivile Nutzung von Äckern, Feldern oder Straßen wieder möglich ist, müssen die Minen geräumt werden. Was fehlt, ist teils Personal für die riesige Herausforderung, teils modernes Räumgerät. Beim Personal kommt Unterstützung aus dem Landkreis Erding. Die EOD Academy in Langenpreising, der Ausbildungsbereich der EMC Kampfmittelbeseitigungs GmbH, bildet Ukrainer zu Kampfmittelräumern aus. Kontakte in die Ukraine gibt es bereits seit 2015, seit Kriegsbeginn ist der Austausch in eine heiße Phase getreten.

Bei der Minenräumung unterscheidet man zwischen zivilen und militärischen Einsätzen. Bei letzteren benötigt man schweres Gerät wie den Bundeswehr-Minenräumpanzer Keiler, der einen Korridor für nachrückende Truppen öffnen kann. Solche Panzer hat die Bundeswehr der ukrainischen Armee bereits zur Verfügung gestellt. Doch damit haben die Ausbilder in Langenpreising nichts zu tun, sie engagieren sich allein im Bereich der zivilen Minenräumung.

Die Academy steht in engem Kontakt mit der ukrainischen Nationalgarde

Bereits 2015, kurz nach der russischen Annexion der Krim, besuchte eine ukrainische Delegation im Rahmen eines Projektes der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das Unternehmen. Dabei ging es um deutsche Technik und Organisation der Kampfmittelräumung für den Einsatz in den Krisengebieten in der Ostukraine. Der Kontakt zur zivilen Minen- und Kampfmittelbeseitigung hat sich seit Kriegsbeginn intensiviert, unter anderem steht die Ausbildungs-Academy in engem Kontakt mit der Nationalgarde in Kiew.

Russische Artilleriemunition dient als Anschauungsmaterial bei der Ausbildung, um Blindgänger entschärfen zu können. (Foto: Renate Schmidt)

Die Academy ging aus dem internen Ausbildungsbereich der Kampfmittelbeseitungsfirma hervor. 2017 wurde das neu errichtete zweistöckige Schulungszentrum samt 1000 Übungsfläche daneben eröffnet. Die Academy bietet sowohl zivile als auch Behördenlehrgänge an, sie versorgt die nationale deutsche Kampfmittelräumung mit Spezialisten und ist auch bei internationalen Spezialprojekten tätigt. Dabei kommen ausländische Kursteilnehmer nach Langenpreising, wo sie auf Deutsch oder Englisch unterrichtet werden. Wie viele Ukrainer seit Kriegsbeginn in Langenpreising waren, zählt zu den "heiklen Themen" und unterliegt dem Firmengeheimnis. Aber das es einen sprunghaften Anstieg gegeben habe, sagt Ausbilder Frank Masche, könne man sich vorstellen.

Masche ist ein Ex-Militär, seine Ausbildung im Bereich der Kampfmittelräumung hat er noch als Pionier bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in der DDR absolviert. Daher hat er auch Erfahrung mit Sprengsätzen aus der Sowjetzeit. Seit Kriegsbeginn war er nach eigenen Angaben bereits fünfmal in der Ukraine, "bei befreundeten Organisationen". Unter anderem auch bei der Auslieferung von gespendetem Equipment im Wert von 60 000 Euro. Die Spendenmittel hat der Langenpreisinger Verein One Step Further (OSF) akquiriert, den EMC-Geschäftsführerin Evelin Zwehn mitgegründet hat. "Unser Engagement hat sich massiv intensiviert", sagte Masche, "wir unterstützen verschiedene Organisationen."

Eine russische Splitterrichtmine MON 50 zählt ebenfalls zum Fundus der Langenpreisinger Academy. (Foto: Renate Schmidt)

Auch das Fachwissen, das die Academy vermittelt, ist für die Ukraine von großem Wert. Wenn man die Erfahrung der Ausbilder zusammenrechne, dann käme man auf etwa 50, 60 Jahre, sagte Masche. Zudem gebe es zu Minen und Sprengfallen internationale Datenbanken "wie Sand am Meer". Das wichtigste sei jedoch der kollegiale Austausch mit anderen Kampfmittelräumern: "Das ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit."

"Nie in Routine verfallen. Keiner von uns ist unsterblich."

Demnächst stehen weitere Lehrgänge an, darunter nicht öffentliche Behördenlehrgänge und auch ein Frauenlehrgang. Kampfmittelräumung sei zwar eine Männerdomäne, aber die Räumproblematik betreffe auch Frauen, erklärte Masche. Bei diesem Lehrgang werde das Fachwissen "ohne Ignoranz oder flapsige Bemerkungen" vermittelt. Ein weiterer Lehrgang befasse sich mit der Einschätzung einer Minensituation: Wenn ein Acker vermint worden sei, wollen Agrarhelfer irgendwann wieder ihre Saat ausbringen. Vorher müsse man beurteilen können, wie lange man benötige, um die Fläche zu räumen. "Das kann Wochen dauern oder auch zwei Jahre", sagte der Ausbilder.

Welche Lehrsätze sind besonders wichtig, die er seinen Kursteilnehmern vermittelt? "Abstand ist dein Freund", sagte Masche. "Das läuft anders ab, als oft im Fernsehen gezeigt wird." Und was noch wichtig ist: "Nie in Routine verfallen. Keiner von uns ist unsterblich."

Schon jetzt ist absehbar, dass nach dem Krieg ganze Landstriche in der Ukraine minenbelastet sind, mit jahrelangen Folgen. Bis zu einem Drittel der Ukraine müsse erst geräumt werden, bevor zivile Nutzung wieder gefahrlos möglich ist. Besonders schwierig, erklärte Masche, sei die Kampfmittelräumung im urbanen Raum, etwa wenn im Schutt zerstörter Straßenzüge neben konventioneller Munition auch Sprengfallen lauern. Masche schätzt den Zeitbedarf der Räumung auf mehr als zwei Jahrzehnte.

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