Taufkirchen/Vils:"Wir wollen Opfern Namen und Gesicht geben"

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"Wir sind stolz darauf, dass an die grausamen Taten erinnert wird und die Vorgänge transparent gemacht werden. Wir wollen Opfern Namen und Gesicht geben, denn die Würde des Menschen ist unantastbar, dies darf keine leere Phrase sein", sagte Taufkirchens Zweiter Bürgermeister Christoph Puschmann. (Foto: Renate Schmidt)

Der Bezirk Oberbayern, die kbo-Kliniken, die Gemeinde Taufkirchen und die Geschichtswerkstatt Dorfen gedenken gemeinsam der in der NS-Zeit ermordeten Patienten in der ehemaligen "Landesfürsorgeanstalt".

Von Philipp Schmitt, Taufkirchen

Licht ins Dunkel bringen, schlimme Ereignisse aufklären, aus den Jahren des Nationalsozialismus Lehren für die Zukunft ziehen und Opfern von Unrecht Namen und ein Gesicht geben, auch wenn es wehtut: Kein schönes, aber ein wichtiges Thema, dem sich Vertreter des Bezirks Oberbayern, der kbo-Kliniken, der Gemeinde Taufkirchen und der Geschichtswerkstatt Dorfen am Samstag bei einer Gedenkveranstaltung stellten. Auch, um die Aufarbeitung der NS-Zeit zu würdigen und damit Verantwortung zu übernehmen. Die Veranstaltung fand - 83 Jahre nach der Deportation (am 21. Oktober 1940) der ersten von insgesamt mindestens 125 bis dahin im Schloss in der früheren "Landesfürsorgeanstalt" lebenden Patienten - im Wasserschloss Taufkirchen statt.

Opfer wie die Dorfnerin Berta Sewald sollen durch Biografien, Lebensgeschichten posthum Würde zurück erhalten. Nach bisherigem Wissensstand wurden vor mehr als acht Jahrzehnten 68 Menschen aus der Region - darunter Berta Sewald - von der Anstalt Eglfing-Haar aus zur "NS-Tötungsanstalt" bei Linz gebracht, wo sie am 25. Februar 1941 in Oberösterreich ermordet wurden. Im Innenhof des Wasserschlosses wurden am Samstag zum Gedenken unter der Erinnerungstafel Kränze und weiße Blumen niedergelegt: "Wer sich seiner Vergangenheit nicht bewusst ist, kann seine Zukunft nicht gestalten. Die Gedenkveranstaltung von Bezirk, dem kbo-Klinikum Taufkirchen, der Gemeinde und der Geschichtswerkstatt Dorfen ist ein wichtiges und starkes Signal nach außen", sagte Bezirkstagspräsident Josef Mederer.

Bezirkstagspräsident Josef Mederer (rechts) und kbo-Standortleiter Rudolf Dengler, sowie für die Gemeinde Taufkirchen der Zweite Bürgermeister Christoph Puschmann (im Hintergrund) legten unter der Erinnerungstafel Kränze und weiße Blumen nieder. (Foto: Renate Schmidt)

Nach Recherchen des Historikers Christian Pfleger war die damalige Landesfürsorgeanstalt in Taufkirchen im Schloss in die NS-Verbrechen verwickelt. Es starben Dutzende deportierte Menschen in Tötungsanstalten und Hungerhäusern. "Wir sind stolz darauf, dass an die grausamen Taten erinnert wird und die Vorgänge transparent gemacht werden. Wir wollen Opfern Namen und Gesicht geben, denn die Würde des Menschen ist unantastbar, dies darf keine leere Phrase sein", sagte der zweite Taufkirchner Bürgermeister Christoph Puschmann.

Inzwischen stehe die Klinik in Taufkirchen aber längst für Sicherheit, Nähe, Fürsorge

Mederer fügte an, dass die Aufarbeitung fortgesetzt werde: "Es gibt bei der mühseligen Aufgabe Fortschritte". Kbo-Pressesprecher Henner Lüttecke und der Leiter des Taufkirchener kbo-Klinikstandorts Rudolf Dengler fügten an, dass sich die kbo-Verantwortlichen der Verantwortung für das auch von damaligen Mitarbeitern verursachte Leid bewusst seien: "Es ist uns als Klinik wichtig, die Ermordeten beim Namen zu nennen und uns mit der Geschichte auseinanderzusetzen und Erinnerungsarbeit als Verantwortung für die Zukunft zu leisten", sagte Dengler. Inzwischen stehe die Klinik in Taufkirchen aber längst für Sicherheit, Nähe, Fürsorge. Er dankte Mederer, der "politisch viele Türen für Erinnerungskultur im Klinikum geöffnet" habe. Auch die Gemeinde sei für die Klinik ein verlässlicher Partner.

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Christian Pfleger, Historiker und Krankenpfleger, teilte mit, dass in der "Landesfürsorgeanstalt" nach der Machtübernahme der Nazis Gesetze und Verordnungen umgesetzt und psychiatrische Patienten - wie Berta Sewald - durch unfassbare Verbrechen verfolgt, zwangssterilisiert und ausgehungert oder in Tötungsanstalten ermordet wurden. Georg Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen berichtete über noch mangelnde lokale Aufklärung dieser schrecklichen Zeit. Heidi Oberhofer-Franz und Christiana Sewald erzählten über Berta, die Großtante von Christiana Sewald. Sie wurde als zehnjähriges Mädchen in die Anstalten Taufkirchen und Haar gebracht, zwangssterilisiert und als 33-Jährige in Österreich ermordet. Ihr zu Gedenken ist ein Stolper-Gedenkstein vor dem Haus der Familie in Dorfen geplant.

"Wir müssen wachsam sein und den Anfängen wehren", sagte Bezirkstagspräsident Mederer

"Um diese Menschen trauern wir, ihr Schicksal bewegt uns. Sie hätten damals Hilfe gebraucht und wurden allein und ohne Schutz gelassen." Das Beispiel Berta Sewald zeige stellvertretend für weitere Opfer, dass die Erinnerung wachgehalten werde müsse: "Wir müssen wachsam sein und den Anfängen wehren", sagte Bezirkstagspräsident Mederer.

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