Interview:"Bei zehn Millionen hätte ich ein gutes Gefühl"

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Herbert Matzner, Geschäftsführer von Kinderland Plus, setzt sich seit 20 Jahren ehrenamtlich für die Kinderbetreuung ein. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Herbert Matzner ist Geschäftsführer der gemeinnützigen Kinderland Plus GmbH. Der Träger hat sich vor Jahren entschieden zu wachsen, um die ausufernde Bürokratie rund um die Tagesstätten überhaupt finanziell stemmen zu können

Interview von Jessica Morof, Poing

Zu riskant und zu teuer - so begründen inzwischen viele ehrenamtliche Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen im Landkreis, warum sie ihre Aufgabe an die Gemeinden zurückgeben. Dazu zählen die Diakonievereine Poing und Anzing sowie der Verein für Vorschulpädagogik auf dem Lande in Zorneding. Sie konnten die steigenden Anforderungen durch neue Gesetze und Richtlinien nicht mehr erfüllen. Um diesem Risiko zu entgehen, haben 2011 die Vereine Kinderland Poing und Kinderland Erding für ihre verschiedenen Einrichtungen eine gemeinnützige GmbH als Dachorganisation gegründet. Sie heißt Kinderland Plus und verwaltet inzwischen acht Kinderkrippen, zehn Kindergärten, vier Horte sowie offene Ganztagsklassen in Poing und Erding. Den Großteil der Einrichtungen haben die Vereine selbst gegründet; inzwischen hat die gGmbH aber auch zwei von anderen Trägern übernommen. Welche Vorteile die Dachorganisation bietet, und welche Alternativen Vereine heutzutage haben, erklärt Geschäftsführer Herbert Matzner. Seit 20 Jahren füllt der 63-Jährige dieses Amt ehrenamtlich, neben seiner Arbeit als Regierungsdirektor der Landesanstalt für Landwirtschaft, aus.

SZ: Warum haben Sie sich 2011 entschieden, die gemeinnützige GmbH zu gründen?

Herbert Matzner: Uns war relativ schnell klar, dass wir das nicht auf Dauer ehrenamtlich machen können. Und um mehr Hauptamtliche bezahlen zu können, mussten wir größer werden, denn sie sind allein durch Fördermittel nicht finanzierbar.

Was spricht denn gegen die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Betreuung?

Das Ehrenamt muss man sich leisten können: Die Bürokratie in den Einrichtungen steigt durch die ganzen Qualitätsanforderungen. Daraus resultieren Risiken und Haftungen, die sich die meisten kleinen Träger nicht mehr zumuten. Es braucht eine andere Größenordnung, weil man im Verwaltungsbereich für Personalfragen und Buchhaltung einfach Fachkräfte beschäftigen muss. Ehrenamtlich ist das nicht mehr zu leisten.

Also haben Sie die Verwaltung von der Betreuung entkoppelt?

Ja. Es war von Anfang an unser Ziel, das pädagogische Fachpersonal von verwaltungstechnischen Aufgaben zu entlasten. Personalsachen wie Einsatzplanungen, die IT, Finanzen und Rechnungswesen sowie organisatorische Belange übernimmt deshalb für alle unsere Einrichtungen die Geschäftsstelle in Poing.

Nimmt man den Leitungen der Kindertagesstätten damit nicht die Eigenverantwortung?

Das sind alles Entlastungen für die pädagogische Arbeit; für die Leitungen ist das unserer Erfahrung nach etwas Positives. Sie können sich besser auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren.

Wie viele Personen arbeiten in der Geschäftsstelle und in den Einrichtungen?

Insgesamt zählen etwa 200 Mitarbeiter zu Kinderland Plus; sieben Arbeitskräfte davon gehören zur Geschäftsstelle.

Wie groß muss ein Träger werden, um so viele Mitarbeiter finanzieren zu können?

Wir werden noch etwa zwei bis drei weitere Einrichtungen brauchen. Aktuell machen wir im Jahr etwa acht Millionen Euro Umsatz; sechs Prozent davon berechnen wir für die Verwaltungspauschale. Vermutlich müssen wir aber auf sieben Prozent aufstocken, wenn wir einen Nachfolger für mich suchen, der das nicht mehr ehrenamtlich macht. Bei zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr hätte ich ein gutes Gefühl.

Und was wurde aus den Vereinen Kinderland Poing und Kinderland Erding?

Sie sind neben mir und einer anderen Privatperson Gesellschafter; geben also Zielsetzung vor und haben eine Kontrollfunktion. Außerdem betreiben die Vereine Kinderland Poing und Kinderland Erding bislang noch eigenständig ihre Einrichtungen - wir haben nur die Geschäftsführung über sogenannte Geschäftsbesorgungsverträge übernommen. Damit bleibt ihnen eine gewisse Selbständigkeit. Poing hat seine Einrichtungen allerdings im Januar komplett an die GmbH abgeben. Das hat steuerrechtliche Vorteile. Am Ende geht es eben auch im Sozialbereich um die Finanzierbarkeit.

Geht durch die Übergabe an die GmbH nicht auch ein Stück pädagogische Leistung verloren?

Bei uns bis jetzt noch nicht. Die Frage ist, wie man die beiden Teile Verwaltung und Betreuung miteinander verknüpft. Es gibt bei uns eine pädagogische Fachberatung, die allen Einrichtungen zugutekommt, und einen Hausmeisterservice. Außerdem zwei Küchenbereiche, die zentral für alle Einrichtungen kochen. Zusätzlich haben wir ein eigenes Qualitätsmanagement aufgebaut, das allen Leitungen die Arbeit erleichtern soll. Durch die große Anzahl an Einrichtungen können wir uns außerdem vier Springer leisten und Mitarbeiter untereinander tauschen. Dadurch haben wir geringere Schließzeiten.

Ist es überhaupt möglich, bei so vielen Einrichtungen, die Sie inzwischen verwalten, deren besonderen Eigenschaften zu bewahren?

Jede Einrichtung hat Besonderheiten - die Steuerung funktioniert über die Bereichsleitung, die sich nur um fachliche Angelegenheiten kümmert. Als Geschäftsführer kenne ich noch alle. Wir machen regelmäßig Fachtagungen mit allen Mitarbeitern und Besprechungen, zu denen alle Leitungen zusammenkommen. Zusätzlich legen wir Wert auf Weiterqualifizierung. Für jede Einrichtung sind zwei Teamtage Pflicht, das organisiert die Fachberatung. Und Treffen mit den Elternbeiräten und Arbeitsgruppen. Aber langsam müssen wir schauen, wo die Grenzen liegen. Die Gefahr ist: Wenn man zu groß wird, verliert man den Bezug. Und das möchten wir nicht.

Was bedeuten die steigenden Anforderungen an die Verwaltung von Kindertagesstätten für die kleinen, ehrenamtlichen Vereine?

Sie müssen entweder größer werden - oder sie werden über kurz oder lang bedauerlicherweise verschwinden. Die einzige Alternative besteht in Geschäftsbesorgungsverträgen, also darin, jemanden zu finden, der ihnen die Verwaltungsarbeit abnimmt.

Also zum Beispiel Kinderland Plus?

Das sind eben die Anfragen, die wir aktuell von Vereinen haben.

Aber: Wenn alles so gut läuft bei Ihnen - inwiefern ist es für Sie dann bedauerlich, wenn die kleinen Träger aufhören?

Es ist eben einfach schade, wenn sich die Trägerlandschaft so verändert, und das Ehrenamt abnimmt.

Sie haben im Januar auch die Arche Noah in Anzing übernommen. Verliert die Einrichtung dadurch die eigene Konzeption?

Wir haben alle Mitarbeiter übernommen und führen die Einrichtung im ersten Kindergartenjahr nach dem gleichen Konzept weiter. Zum 1. September werden wir dann eine neue Konzeption erarbeiten. Wenn Änderungen anstehen sollten, werden sie mit dem Team und dem Elternbeirat besprochen. Das betrifft vermutlich die Öffnungs- und Schließzeiten. Bislang war die Einrichtung etwa 30 Tage im Jahr zu - wir haben im Schnitt zwischen 10 bis 15 Schließtage. Außerdem möchten wir mit dem Diakonieverein einen Kooperationsvertrag schließen, denn sie sind vor Ort, während wir in Poing sitzen. Auch damit sichern wir den Bezug.

Findet die Entwicklung, dass immer mehr kleine Träger aufgeben, auch in anderen Regionen statt?

In anderen Landkreisen wie Erding nehmen sie es noch nicht so wahr. Der Vorfall mit der Diakonie in Poing war natürlich ein Einschnitt für Ebersberg - hier kommt das verstärkt durch die Rechtsstreite durch. Zwar mussten auch schon andere Träger Förderungen zurückzahlen, aber nicht so viel. Und darüber geben Ministerien und Gemeinden natürlich nicht so gerne Auskunft.

Die aktuelle Entwicklung wird stark auf die Politik und die Gesetze geschoben. Aber sind die Regelungen nicht eigentlich gut gemeint? Um die Betreuung zu verbessern und den Familien - gerade den Müttern - mehr Möglichkeiten und Sicherheiten zu bieten?

Mag sein, aber man kann den letzten Einzelfall halt nicht regeln. Die Anforderungen werden immer strenger und manche Förderungsbestimmungen entsprechen überhaupt nicht mehr den Betreuungsgegebenheiten. Das durchschauen nur noch Spezialisten. Es muss irgendwo einfach aufhören. Wir reden immer von Eigenständigkeit in der Pädagogik, dann muss man auch mal bestimmte Risiken eingehen. Das ist wie in der Erziehung: Wenn ich mein Kind vor allem bewahren will, dann kann es sich gar nicht entwickeln. Schließlich kann man doch normalerweise Vieles mit dem gesunden Menschenverstand regeln.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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