Brauchtum:Hemadlenz: Spuren führen ins Alemannische

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Sieht nach Hemadlenzen aus, aber das Stadtbild passt nicht dazu. Und auch von vorne würde man keine Dorfener Gesichter darunter entdecken, denn es handelt sich um sogenannate Hemdglonker aus der alemannischen Fasnet. (Foto: Alemannische Seiten (OH))

Der Dorfener Umzug ist nicht so einmalig, wie immer behauptet wird. Rund um Konstanz gibt es so viele verblüffende Parallelen, dass sich die Frage nach Original und Kopie stellt.

Von Thomas Daller, Dorfen

Wer zieht am Unsinnigen Donnerstag mit Nachthemd und Zipfelmütze lärmend durch die Straßen? Natürlich die Hemadlenzen, wie jeder weiß, der im Landkreis Erding sozialisiert worden ist. In der Region vom Bodensee bis zum Schwarzwald bekäme man eine ähnliche Antwort, nur dass dort die Hemadlenzen Hemdglonker heißen und der Unsinnige Donnerstag dort Schmotsiger Dunstig genannt wird, schmutziger Donnerstag.

Das Wort Glonker kommt vom Alemannischen Glunker, und bedeutet so viel wie gammelig, verlottert. In Baden-Württemberg gibt es nicht nur den einen Umzug: Der Brauch wird in vielen alemannischen Städten und Gemeinden gefeiert, zum Beispiel in Allensbach, Radolfzell, auf der Insel Mainau, in Meersburg, Ludwigshafen, in Sigmaringen, Freiburg, Bad Cannstatt, Weingarten, Bad Dürrheim, Furtwangen und Lörrach, um nur einige zu nennen. Angesichts dieser Fülle könnte schon der Verdacht aufkeimen, Dorfen betreibe eine kulturelle Aneignung aus der alemannischen Narrenzunft.

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In wenigen Tagen, am 11. 11., beginnt der Fasching und 2024 jährt sich das Bestehen der Dorfener Karnevalsgesellschaft, die den Umzug veranstaltet, zum 125. Mal. Das wäre ein Anlass, mal genauer hinzusehen, wo der Hemadlenz seine Wurzeln hat. Auch wenn dabei möglicherweise ein Ergebnis herauskäme, das der Dorfener Seele wehtun könnte.

Es ist nicht so, dass die Parallelen zum Alemannischen völlig unbekannt in Dorfen wären. In alten Chroniken der Karnevalsgesellschaft wird pflichtschuldig mit ein, zwei Sätzen darauf hingewiesen, aber genauer geht man lieber nicht darauf ein. Auch der Ursprung des Dorfener Hemadlenz bleibt im Ungefähren: Von Hemadlenzen werde bereits im 19. Jahrhundert berichtet, heißt es im Dorfener Heimatbuch. Aus welchem Anlass der Brauch hervorgegangen ist, weiß jedoch niemand.

Nicht nur in Dorfen laufen Menschen am Unsinnigen Donnerstag als Hemadlenzen weiß gekleidet durch die Stadt. Im alemannischen Raum ist das Hemdglonker-Spektakel seit 1879 schriftlich verbürgt. (Foto: Alemannische Seiten (OH))

Anders verhält es sich bei den Hemdglonkern: Der Legende nach wollten Jungen des Internats Stephansschule in Konstanz im 19. Jahrhundert auch Fasnacht feiern. Sie kletterten in ihren weißen Nachthemden über die Schulmauern und mischten sich unter das Narrenvolk. Der Hemdglonker-Umzug wird für Konstanz das erste Mal im Jahr 1879 erwähnt, als an Fasnet weiß gekleidete Schüler mit weißer Zipfelmütze, fackeltragend und lärmend vor die Wohnungen ihrer Professoren zogen, um diesen deren Schrulligkeit und Lässlichkeiten vorzuhalten. Die Glonker-Umzüge mit Ratschen, Trommeln und Laternen entstanden in Konstanz und verbreiteten sich dann im schwäbisch-alemannischen Gebiet.

Der Dorfener Hemadlenzen-Umzug hat ein paar Alleinstellungsmerkmale, zum Beispiel das Verbrennen der Lenzenpuppe. (Foto: Stephan Goerlich)

Natürlich hat der Dorfener Hemadlenzen-Umzug ein paar Alleinstellungsmerkmale, zum Beispiel das Verbrennen der Lenzenpuppe oder die Symbolik der Winteraustreibung. Diese Aspekte sind aber noch nicht besonders alt, sondern erst in der Nachkriegszeit entstanden. KG-Präsident Franz Anneser hatte Angst, der Hemadlenzen-Brauch könnte aussterben und er wollte in das Treiben der Hemadlenzen eine gewisse Ordnung hineinbringen. Darum wurde ein Beginn des Zuges festgelegt, der Zugweg organisiert und als krönender Abschluss kam die Verbrennung der Hemadlenzen-Puppe.

Schon bald wurde diese Verbrennung als ein Symbol für die Winteraustreibung gedeutet. "Früher gab es kein Verbrennen einer Puppe und an das Winteraustreiben dachte auch niemand. Das ist also kein alter Brauch, sondern eine Erfindung neuerer Zeit", schrieb Franz Streibl in einem Artikel aus dem Jahr 2009. In Singen am Hohentwiel wird beim Hemdglonker übrigens auch eine Strohpuppe, der "Bök", verbrannt.

Wie in Dorfen: vorweg die Musikanten. In Freiburg, wo diese Aufnahme entstand, nennen sich die Teilnehmer Hemdglunki. (Foto: Alemannische Seiten)

Insofern ist die ursprünglichere Form des Hemadlenz doch sehr nahe an dem Brauch in Baden-Württemberg. Dort ist vom ungezügelten Treiben von Studenten in den Anfangsjahren die Rede, in Dorfen beschrieb es der Schriftsteller Josef Martin Bauer ähnlich: "Der Zug der Hemadlenzen hat kein Ziel, keinen Zweck, keine Absicht." Es ist dort keine Rede von einem ausgestopften Hemadlenzen, einem Verbrennen der Puppe oder ähnlichen Bräuchen. Bei beiden Umzügen tragen die Teilnehmer weiße Nachthemden und Ringelsocken, nur dass in Dorfen die Zipfelmützen traditionell schwarz sind und in Baden-Württemberg rot oder weiß.

Und es gibt noch ein weiteres Indiz dafür, dass es früher eher wurscht war, ob man etwas nachahmte oder kopierte, Hauptsache es diente der Gaudi: Selbst die närrische Hymne importierten die Dorfner aus dem Nordwesten, legten dem Lied "Oh, du herrliche Mosel" 1937 aber ihren eigenen Text unter. Seither heißt es "Oh, du Himmel auf Erden", gedichtet von Josef Martin Bauer.

Handwerksburschen auf der Walz, erzählten weiter, was anderswo eine Riesengaudi ist

Es könnte daher sein, dass die Dorfener den Brauch nicht erfunden haben, sondern lediglich davon erfahren und Gefallen daran gefunden haben. Es gab ja beispielsweise genügend Handwerksburschen auf der Walz, die weitererzählten, was anderswo eine Riesengaudi ist. Für Lokalhistoriker wäre das eine interessante Herausforderung, nur will man das im Jubiläumsjahr wirklich wissen?

Denn in Dorfen ist man bislang immer davon ausgegangen, dass der Hemadlenz einmalig ist. Dieses Narrativ ist so fest verankert, dass man den Hemadlenzen-Brauch 2014 sogar für das immaterielle Weltkulturerbe angemeldet hatte. Mit Blick nach Baden-Württemberg muss man künftig wohl etwas vorsichtiger sein. Aber auch wenn die Dorfener die Grundidee stibitzt haben sollten, ist daran nichts Verwerfliches, denn der Lenz hat den Dorfener Bürgern mehr als ein Jahrhundert viel Spaß bereitet. Es spricht sogar für eine weltoffene Bürgerschaft, die bereits vor mehr als 100 Jahren bereit war, lebensfrohe Impulse anzunehmen und weiter zu entwickeln. Vielleicht war Dorfen einfach schon damals bunt.

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