Kurz vor neun Uhr in Oberding am Pater-Höck-Ring. Die Hebammenpraxis von Julia Neumaier hat Hausnummer 2. Das Haus am Eck, das muss es sein. Mehrere Frauen in Sportkleidung haben dasselbe Ziel. Stimmt denn die Adresse? Doch alles passt. Die Mitte September 2023 eröffnete Praxis vereint unter einem Dach Geburtsvorbereitung, Schwangeren-Yoga, Beckenbodengymnastik, Osteopathie, Säuglingspflege, Stillvorbereitung oder Akupunktursprechstunde, und im großen Raum unterm Dach findet an diesem Mittwoch ein externer Yogakurs statt. Das Konzept dürfte einmalig sein im Landkreis Erding.
Die Nachfrage ist groß, "fast alle Kurse sind ausgebucht", sagt Julia Neumaier. Die 33-jährige Hebamme, die auch Hausbesuche macht, hat eine Anmeldeliste, die bis September reicht. Inzwischen habe sie den Eindruck, dass die Frauen gleich nach einem positiven Schwangerschaftstest nach einer Hebamme suchten. "Es gibt halt auch nicht so viele." Allerdings, so aktuell ihre Erfahrung, sei der Mangel auch "schon mal schlimmer gewesen".

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Zur Erinnerung: Wegen Hebammenmangels hatte das Klinikum Erding im Juli 2017 die Geburtshilfe geschlossen. Vier Monate später ging der Kreißsaal wieder in Betrieb. Mittlerweile arbeiten am Klinikum zwölf Hebammen, alle sind dort freiberuflich tätig. Aktuell laufen die Geburtsvorbereitungskurse des Klinikums über Julia Neumaier. Geburten betreut die Oberdinger Hebammenpraxis nicht.
Die Oberdingerin hat zunächst eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester am Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut absolviert, dann die Ausbildung zur Hebamme in der Frauenklinik an der Maistraße in München. Im Klinikum Erding war sie im Kreißsaal und in der Wochenbettbetreuung im Einsatz. Auch Geburtsvorbereitungskurse hatte sie betreut. Aufgrund der Corona-Auflagen des Klinikums durften die Kurse dann nicht mehr in Krankenhausräumen stattfinden. Eine Zeit lang fand sie eine Ausweichmöglichkeit im Boarding-House in Oberding - und belegte den Frühstücksraum abends für zwei Stunden mit zehn schwangeren Teilnehmerinnen.


Die Pläne für eine eigene Praxis konnte sie schließlich in Oberding umsetzen. Dort ist sie aufgewachsen, dort hat sie im Kindergarten ihren Mann kennengelernt, dort lebt ihre Familie. Der Hausbau war ein Kraftakt, das Einrichten der Räume habe ihr Spaß gemacht, "da hatte ich noch Energie, fürs eigene Wohnzimmer dann nicht mehr so viel", sagt sie und lacht. Vor allem der große Raum unter dem Dach mit den mächtigen Holzbalken und der verglasten Front ist ein Hingucker. Dort findet am Mittwoch der Yogakurs statt. Wie das gesamte Haus ist auch das Sprechzimmer von Julia Neumaier hell und freundlich eingerichtet. Weißes Bücherregal, beiges Sofa und ein heller großer Schreibtisch.
Leicht gemacht werde es einem nicht, sagt Julia Neumaier. Die Abrechnung mit den Krankenkassen und Verhandlungen mit dem Verband seien nicht einfach. Im Grunde seien Hebammen Selbstständige, doch müssten sie sich nach einer Gebührenordnung richten. Die Kilometerpauschale zum Beispiel sei zu gering angesetzt. "Ein Hausbesuch in Fraunberg lohnt sich für mich nicht", so Julia Neumaier.
Einfach ist es nicht, aber sie bereut den Schritt auf keinen Fall
Den Schritt zur eigenen Hebammenpraxis aber bereue sie nicht. Im Gegenteil. Ihr Beruf bereite ihr große Freude, auch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und das Netzwerken. Inzwischen sind es mehrere Frauen, die die Räumlichkeiten der Hebammenklinik nutzen, darunter auch zwei Osteopathinnen und eine Fotografin für Baby-Bilder. Einmal in der Woche ist Teamsitzung. Da ist dann auch ein einziger Mann dabei: Julia Neumaiers Mann, der für den Belegungsplan zuständig ist und sich auch sonst um alles Betriebswirtschaftliche kümmert.
Ohne Aufgabenteilung würde es nicht gehen, erklärt Julia Neumaier. Ihre Kinder sind sieben, fünf und ein Jahr alt. Aktuell arbeite sie circa 20 Stunden. Zum Glück habe sie Großeltern vor Ort, die bei der Betreuung mithelfen. Grundsätzlich hätten es Mütter heute schon schwerer als früher, ist sie überzeugt. Beruf, Hobby, Familie vereinbaren und dann die perfekte Mutter sein, das alles unter einen Hut zu bekommen, das sei schon schwierig.
Umso schöner sei es, wenn sie in Geburtsvorbereitungskursen jungen Eltern Ängste nehmen könne oder in Kursen und Workshops Konzepte zur Eltern-Kind-Begleitung vorstellen kann, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten. Sie freue sich, wenn sie Eltern "Neues bewusst machen kann". Zum Beispiel, wie man gelassener reagiert, wenn der oder die Kleine beim Hose anziehen immer wieder davon krabbelt. Nicht ärgern, so der Tipp von Julia Neumaier, und das zweite Hosenbein zehn Meter weiter anziehen.