Hausarztmangel in Erding:"In fünf oder zehn Jahren wird die Not eine ganz andere sein"

Lesezeit: 3 min

Blick in das Sprechzimmer einer Hausarztpraxis. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Einige Praxen im Landkreis nehmen keine Patienten mehr auf. Experten vermuten, dass sich die Lage in den nächsten Jahren noch verschärfen wird und wollen auf moderne Lösungen setzen.

Von Vivien Götz, Erding

Die Hausarztsuche im Landkreis Erding kann einem Telefonmarathon gleichen. Das berichten zumindest Betroffene der Süddeutschen Zeitung. Mehrere Praxen nehmen aktuell keine Patienten und Patientinnen mehr auf. Menschen, die den Hausarzt wechseln wollen oder neu in den Kreis gezogen sind, können Pech haben. Wer nach einer schnellen Google-Suche noch glaube, bei der großen Zahl an Treffern die Auswahl zu haben, werde "schnell auf den Boden der Tatsachen geholt", sagen Betroffene.

Das Allgemeinmedizinische Zentrum Erding nimmt schon seit etwa einem Jahr keine neuen Patienten mehr auf. Die Praxisgemeinschaft glaubt auch nicht, dass sich das demnächst ändern werde. Kein Einzelfall: Auch bei anderen Erdinger Praxen haben neue Patienten kein Glück. "Wir sind derzeit aufgrund von Überbelastung nicht in der Lage, neue Patienten aufzunehmen", sei die Antwort vieler Praxen ärgern sich Betroffene.

Bedarfsplanung reicht nicht aus

Das Problem ist nicht neu. Schon 2017 berichtete die SZ über mehrere Hausärzte, die wegen Überlastung keine neuen Patienten mehr aufnehmen konnten. Seitdem hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) zwar drei zusätzliche hausärztliche Planstellen im Landkreis geschaffen, aber gebessert hat sich die Lage offenbar nicht.

"Die Bedarfsplanung stammt noch aus einer Zeit, als es darum ging, die Ansiedlung von zu vielen Ärzten in den einzelnen Kreisen zu verhindern", sagt Markus Marschall, Lungenfacharzt und Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Erding. An den tatsächlichen Bedarf der Menschen komme sie nicht heran. Die KVB sei aber nur bedingt verantwortlich. Die Regelungen für die Bedarfsplanung würden auf Bundesebene festgelegt.

Hausärzte werden älter

Ein weiteres Problem: Die Hausärzte werden immer älter. Im Landkreis Erding lag der Altersdurchschnitt der Allgemeinmediziner laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern 2023 zwischen 52 und 54 Jahren. Der Kreis bleibt damit knapp unter dem bayernweiten Schnitt von 55 Jahren, aber das Problem ist: Gut ein Drittel aller Ärzte im Landkreis ist mindestens 60 Jahre alt und geht mit großen Schritten auf die Rente zu.

Nicht immer können die Stellen dann nachbesetzt werden. Zuletzt sei das in Wartenberg bei der Praxis von Susanne Schober der Fall gewesen, sagt Markus Marschall. Dort gebe es statt bisher drei nur noch zwei Hausärzte. Für die verbleibenden Mediziner seien solche Situationen mit einer noch größeren Belastung verbunden: "Die Kollegen im Landkreis haben sich wirklich sehr bemüht, die Patienten von Frau Schober trotzdem aufzunehmen", sagt Marschall.

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Die Nachwuchsprobleme zeigen sich auch in den Zahlen der KVB: Während in der Region Erding-Süd fast alle Planstellen besetzt sind, blieben in Erding-Nord, zwischen Berglern, Bockhorn, Dorfen und Taufkirchen, bis zum Sommer 2023 sechs Stellen unbesetzt.

Markus Marschall macht dafür vor allem die Rahmenbedingung für neue Hausärzte verantwortlich. Der Verwaltungsaufwand, die Kosten für die IT-Infrastruktur und das wirtschaftliche Risiko, das jeder Hausarzt persönlich tragen müsse, würden viele junge Kollegen und Kolleginnen abschrecken. Auch fehlende Wertschätzung aus der Politik sei ein Problem.

Diese strukturellen Probleme werden durch den demografischen Wandel noch verschärft: Denn nicht nur die Ärzte werden immer älter, auch Deutschlands Bevölkerung altert und braucht deshalb eigentlich mehr medizinische Versorgung. "In fünf oder zehn Jahren wird die Not eine ganz andere sein", ist Marschall deshalb überzeugt.

Auf moderne Lösungen setzen

Für den Lungenfacharzt sind die Rahmenbedingungen für junge Ärzte die entscheidende Stellschraube, um dem Mangel entgegenzuwirken. "Viele junge Kollegen wollen gerne in Teilzeit arbeiten. Vor allem junge Frauen, die immer noch einen großen Teil der Kinderbetreuung in ihren Familien übernehmen", sagt Marschall.

Wenn Ärzte nicht alleine für eine Praxis verantwortlich seien, ließen sich solche Wünsche leichter umsetzen. Von großen Investoren, die aus rein wirtschaftlichen Interessen in Praxisverbünde investieren, hält Marschall trotzdem nichts. Aber kleinere Kooperationsformen, Medizinische Versorgungszentren (MVZs) etwa, könnten laut Marschall eine gute Lösung sein. Ärztinnen und Ärzte sind bei den Zentren angestellt, tragen also nicht das unternehmerische Risiko und müssen auch nicht die Gesamtorganisation der Praxis übernehmen.

"Solche Strukturen sollten wir im Landkreis begünstigen", findet er. Außerdem müsse die gute Zusammenarbeit zwischen den Hausarztpraxen und dem Klinikum bei der Weiterbildung junger Ärzte weiter gefördert werden. "Wenn die jungen Mediziner im Landkreis arbeiten und sehen, dass wir attraktive Strukturen haben, ist es leichter, sie für die Region zu gewinnen", sagt der Mediziner.

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