Flüchtlings-WG:14 Jugendliche, 14 Wunder

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Große Solidarität: Lehrer Ralf Alscher gibt einen Schwimmkurs für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. (Foto: Renate Schmidt)

In Taufkirchen leben bald 200 Asylbewerber. Seit Juli gibt es dort auch eine Gruppe unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die auf eine Zukunft in Deutschland hoffen. Ein Besuch.

Von Sebastian Fischer, Taufkirchen

Diese Geschichte hat mit Bomben über Damaskus begonnen, und mit Terror im Irak. Sie nahm ihren Lauf in den Händen eines Schleppers, auf einem Boot im Mittelmeer, an einem verlassenen Grenzübergang. Majid und Ayas haben das erlebt, doch über ihre Flucht wollen sie nicht mehr sprechen, das Lachen weicht aus ihren Augen, wenn man sie danach fragt: Kopfschütteln. Sie sind Kinder, wollen keine Botschafter sein für traurige Geschichten, sondern eine neue schreiben. Sie beginnt mit dreckigem Geschirr.

Ein heißer Sommerabend in dieser Woche in Taufkirchen an der Vils, die Sonne brennt durchs Fenster in den holzvertäfelten Saal, in dem die Gäste Weißbier tranken, als dies noch der Gasthof zur Post war. Jetzt wird hier laut gerufen, auf afghanisch, arabisch, deutsch. Die Puerto Wohngemeinschaft hält ihre wöchentliche Sitzung ab, das heißt: Zwei Dolmetscher übersetzen 14 Jugendlichen, was fünf Betreuerinnen erklären. Und gerade wird verhandelt, wer den Abwasch macht.

Majid wurde vorgeschickt, die Eltern warten in Damaskus

Majid, 16, spricht gut deutsch, deshalb wird er fürs Einkaufen eingeteilt. Er kommt aus Syrien, und wie die Gleichaltrigen in der Puerto WG ist er, was die deutsche Bürokratie "umF" nennt: ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. 2013 reisten 574 nach Bayern ein, 2014 schon 3400, in diesem Jahr rechnet die Staatsregierung mit 10 000. Der Landkreis Erding hat 2015 bislang 42 aufgenommen, 14 wohnen seit 7. Juli in der vom bayerischen Sozialhilfeverein Condrobs getragenen Einrichtung. Manche haben ihre Familie auf der Flucht verloren, Majid ist vorgeschickt worden, die Eltern warten in Damaskus. "Ich hoffe, dass sie irgendwann nachkommen", sagt er. Dann, wenn er hier ein neues Leben begonnen hat.

Geschäftsführerin Karin Wiggenhauser steht im Büroraum des Hauses, wo sich die Akten auf den Tischen stapeln, ein Regal fehlt noch. Es fehlt auch noch ein Psychologe, der elf Stunden in der Woche da sein soll, Bewerbungsgespräche laufen. Die Betreuerinnen selbst lernen die Jugendlichen gerade erst kennen, oft haben sie von der Erstaufnahmestelle nur einen handschriftlichen Zettel mit Lebenslauf mitgebracht. Es gilt elementare Fragen zu klären: Wer ist krank? Wer geimpft? Wiggenhauser erklärt, dass die Jugendlichen bis zu zwei Jahre hier bleiben sollen, "mit dem Ziel, selbstständig zu werden". Die Asylverfahren laufen im Hintergrund.

Die Jugendlichen lernen kochen - weil Köche gebraucht werden

In Taufkirchen sollen die Jungen intensiv betreut werden, das ist bei möglichen Traumata besonders wichtig. Sie sollen deutsch lernen. Und in der großen Küche sollen sie mit Fachkräften kochen, weil das Verantwortung lehrt zum einen. Weil in Erding Köche gebraucht werden, zum anderen, sagt Wiggenhauser. Eine sinnvolle Beschäftigung und die Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz ist vielleicht das wichtigste auf dem Weg in die Gesellschaft. Der sei für Asylbewerber immer noch viel zu schwer, kritisiert sie. Es mangele an Plätzen in Sprach- und Berufsschulen und an Unterstützung, falls es zu einem der seltenen Ausbildungsverträge kommt. Anfang Juli beschloss der Bundestag immerhin, dass asylsuchende Jugendliche für die Dauer einer Lehre eine Duldung bekommen - jeweils für ein Jahr.

So wohnen die Flüchtlinge im Gasthof. (Foto: Renate Schmidt)

Majid hat seine Haare weißblond gefärbt, eine Kerbe ziert seine Augenbraue, er war in Syrien Friseur - bis der IS kam, Majid ist Christ. Wie alle anderen steht er morgens um sechs Uhr auf, doch während die meisten mit dem Bus nach Erding zur Sprachschule fahren, besucht Majid die Berufsschule. Er will bald arbeiten, sagt er und lächelt: "Damenfrisuren." Er sitzt in der obersten Etage des zweistöckigen Hauses auf einem Sofa, hier werden die Zimmer für die nächsten Zehn eingerichtet, die im September kommen. Majid erzählt vom Besuch des Volksfests neulich. Da ist er Karussell gefahren, hat sein Taschengeld ausgegeben - 40 Euro bekommen die 16-Jährigen - und gestaunt, wie viel Bier die Deutschen trinken.

Das Volksfest war in Taufkirchen so etwas wie eine Feuerprobe. In der 9000-Einwohner-Gemeinde leben mit die meisten Flüchtlinge im Landkreis, bald werden es 200 sein, sagt Bürgermeister Franz Hofstetter (CSU). Die Gemeinde ist solidarisch mit den neuen Nachbarn. Zahlreiche Ehrenamtler engagieren sich, es gibt Schwimmkurse für Flüchtlinge, die Bäckerin gegenüber der Puerto WG erzählt, wie freundlich die Jugendlichen immer grüßen würden. Auch Majid hat nur im Fernsehen die Bilder von verirrten Deutschen gesehen, die sich daran stören, dass er in Sicherheit leben darf. Aber in Taufkirchen, sagt er, wären alle freundlich. Vor dem Volksfest hat Hofstetter zwar vorsichtshalber die Anzahl an Sicherheitskräften erhöht, es ist dann aber nichts passiert, und Hofstetter hat sich bestätigt gefühlt.

Vom angeblichen Asyl-Notstand in Taufkirchen war unter der Woche zu hören. Hofstetter fordert die Solidarität anderer Gemeinden, die noch gar keine oder viel weniger Flüchtlinge aufgenommen haben, das schon. Aber Notstand? Nein, so würde er das nie sagen. Ihn stört die Rhetorik in der Debatte, auch die seiner Partei, die Lager errichten will, um Verfahren zu beschleunigen. Zwar müssten Asylverfahren schneller gehen, auch die ohne Erfolgsaussicht. Aber: "Die Flüchtlinge sind da, wir dürfen sie nicht in die Ecke treiben. Das verbietet die Menschlichkeit."

"Kontakt zur Familie ist doch lebenswichtig"

Es gibt auch in Taufkirchen Skeptiker, die nicht verstehen, warum in ihrer Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim entsteht. Die nicht verstehen, sagt Hofstetter, warum etwa die minderjährigen Flüchtlinge ein Handy haben, wo das doch so teuer ist. Hofstetter erzählt dann gerne die Geschichte vom kongolesischen Pfarrer, der in der Pension seiner Frau lebte. Der habe oft nächtelang telefoniert, "der Kontakt zur Familie ist doch lebenswichtig". Die meisten Taufkirchener würden das erkennen, glaubt er.

Auch die Jugendlichen bemühen sich, die neue Kultur zu verstehen. Wiggenhauser hat jüngst eine Wanduhr mitgebracht, für den Flur der WG. Und ein paar Tage später hing sie bei einem der Jugendlichen im Zimmer. "Das ist meins, das ist deins", erklärt sie nun. Ja, die Jungs müssten auch noch etwas lernen, aber im Gegenzug lerne ja auch sie. "Noch irgendwelche Probleme?" fragt sie dann, Kopfschütteln. "Alles gut!", rufen 14 Stimmen. Auch wenn sie ihre Probleme vielleicht verdrängen - bei ihren Vorgeschichten sind diese Stimmen 14 kleine Wunder.

Völkerverständigung: Der Fußballtrainer trägt ein Tattoo in arabischer Schrift

"Ich habe großes Zutrauen in die Betreuerinnen ", sagt Hofstetter, er will die WG bald selbst besuchen. Der Bürgermeister hat in seinem Ort viel soziales Engagement erlebt, Engagement wie von Daniel Gemza, dem A-Junioren-Fußballtrainer der BSG Taufkirchen. Am Nachmittag sitzt er in dem Saal, wo später über den Putzplan verhandelt wird, und lädt die Flüchtlinge zum Probetraining ein. "Mal schau'n was ihr könnt", sagt er, die Jungen nicken. Dann erzählt er, wie er als Fünfjähriger aus Polen nach Deutschland kam, und zeigt ein Tattoo auf seiner Brust, dort steht der Name seiner Frau, in arabischer Schrift - auch so kann die Verständigung zwischen Taufkirchen und Syrien gelingen. Hofstetter sagt: "Integration beginnt, wenn Menschen Beziehungen aufbauen."

Der Iraker Ayas freut sich auf das erste Training am Dienstag, er spielt jeden Tag auf dem Bolzplatz. Im Trikot von Real Madrid hat er durch sein Zimmer geführt, sein Bett gezeigt, den Schreibtisch, schnell noch etwas Wäsche in die Ecke geworfen. In dieser Woche muss er, so hat die WG abgestimmt, den Waschmaschinenraum putzen. Doch Ayas, der hofft, dass er seine Familie irgendwann wiedersehen darf, lächelt. Der Waschmaschinenraum ist wohl das kleinste Problem, das er je hatte.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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