Auf Einladung der Sparkasse Erding-Dorfen:Meinungsstark und unterhaltsam

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Bundespräsident a. D. Joachim Gauck bei seinem Vortrag im Saal der Sparkasse Erding-Dorfen im dritten Stock der Schrannenhalle. (Foto: Renate Schmidt)

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck spricht in Erding in der Veranstaltungsreihe "Von Mensch zu Mensch" über die von außen und innen bedrohte Demokratie. Er gibt dem Publikum "siebeneinhalb Minuten Sowjetkunde" und fordert Zuwanderung "zu steuern und zu begrenzen", um einen weiteren Rechtsruck zu stoppen.

Von Florian Tempel, Erding

Es gibt Menschen, die ziehen andere allein durch ihre schiere Präsenz, ihre Stimme und ihren Blick in den Bann. Wenn einer zudem auch noch meinungsstark und unterhaltsam reden, analysieren und erzählen kann, wird die Begegnung mit ihm zu einem echten Erlebnis. So ist das bei Joachim Gauck, Bundespräsident a.D. Davon durften sich am Donnerstagabend etwa 190 Kundinnen und Kunden der Sparkasse Erding-Dorfen überzeugen, die in deren Veranstaltungsreihe "Von Mensch zu Mensch" in den großen Saal im dritten Stock der Erdinger Schrannenhalle eingeladen waren.

Joachim Gauck ist in seinem 84. Lebensjahr und er lässt das die Leute - "ich bin im Krieg geboren" - auch gerne wissen. Als er bereits 50 war, startete sein Leben noch einmal richtig durch. Die Wende, die Wiedervereinigung, seine Zeit als Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde und schließlich seine fünf Jahre von 2012 bis 2017 als Bundespräsident. Seine persönliche Dynamik scheint kaum nachzulassen. Gauck ist beeindruckend mitteilsam, hochkonzentriert und schlagfertig. Ein Beispiel: Als BR-Moderator Thorsten Otto im Gespräch auf der Bühne ihm ein "großes Ego" attestiert, kontert Gauck sofort. Er habe ein "starkes Ich", korrigiert er, das sei etwas ganz Anderes.

Gauck ist viel unterwegs. Am Donnerstag ist er aus Berlin angereist. Erst vor einer Woche war er zuletzt in München, als Laudator bei der Verleihung des Herbert-Riehl-Heyse-Preises der Süddeutschen Zeitung im Münchner Volkstheater. Noch mal eine Woche davor hatte er beim Literaturfestival Dachau eine ähnlichen Auftritt mit Lesung und Gespräch wie nun in Erding.

Joachim Gauck in Erding beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt im Büro von Oberbürgermeister Max Gotz (rechts). (Foto: Renate Schmidt)

Sein erster Weg in Erding führt ihn ins Rathaus. Im Büro von Oberbürgermeister Max Gotz trägt er sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Er blättert ein bisschen darin und will wissen, ob es einen Eintrag seines "guten alten Bekannten Theo Waigel" gibt. Ja, den gibt es, sagt OB Gotz, aber das war im Vorgängerbuch. Die Fotografen bitten die beiden, zu ihnen zu schauen. "Ja, gleich", sagt Gauck, "ich mach das nicht zum ersten Mal." Dann werden alle raus gebeten. Gotz und Gauck sprechen einige Minuten unter vier Augen.

Wenig später in der Schrannenhalle folgt ein kurzes Pressegespräch. Wie gefällt ihm Erding und Bayern, wo viele davon überzeugt sind, dass hier fast alles besser ist als im Rest der Republik. Was meint er als Nordostdeutscher dazu? Erding sei "sehr schön", sagt Gauck. Dass es gut und besser als anderswo laufe - OB Gotz habe ihm das versichert -, habe auch damit zu tun, "dass die Zivilgesellschaft sich hier Schritt für Schritt entwickeln konnte". Wie beurteilt er die Rede von Hubert Aiwanger, der auf dem Volksfestplatz im schönen Erding so grob ausgeteilt hat? "Ach, hier war das", stellt Gauck leicht überrascht fest und sagt: "Die Einlassungen von Hubert Aiwanger sind anmaßend." Er finde es lächerlich - und lacht tatsächlich darüber -, dass ein stellvertretender Ministerpräsident Sachen sagt, wie man müsse sich die Demokratie zurückholen. Die AfD stellt im Landkreis Erding seit Neuestem einen Landtagsabgeordneten, gehört die AfD auch zum Pluralismus? Na ja, sagt Gauck, gewählt sind sie, "aber wir dürfen sie von Herzen ablehnen, ich nenne das kämpferische Toleranz".

Etwa 190 geladene Gäste lauschten den Worten von Joachim Gauck im Sparkassensaal. (Foto: Renate Schmidt)

Das Publikum im Saal im dritten Stock wartet schon gespannt. Nach einer Begrüßung durch Sparkassen-Chef Joachim Sommer tritt Gauck ans Rednerpult. Vor einem halben Jahr ist sein aktuelles Buch "Erschütterungen - was unsere Demokratie von außen und innen bedroht" erschienen. Die äußere Bedrohung hat einen Namen: Wladimir Putin. Gauck gibt seinem Erdinger Publikum dazu "siebeneinhalb Minuten Sowjetkunde", denn "die Menschen im Westen sind zu gutmütig und zu friedfertig, um zu erkennen, mit was für einem Typ wir es bei ihm zu tun haben". Gaucks eindeutiges Fazit: Putin ist ein Mann ohne jedes Gewissen und ein vollkommener Antidemokrat.

Die innere Bedrohung der Demokratie erklärt Gauck so: Ein Drittel der Menschen hätten, gewissermaßen von Natur aus, "eine autoritäre Disposition". Die Parteien und Politiker, die diese Haltung repräsentieren, erhielten in Krisenzeiten Zulauf von traditionell konservativen Menschen, die Angst vor Wandel und Veränderung haben. Die dabei hauptsächlich wirkende Angst sei die vor der Migration. Dass das so sei, zeige ein Blick nach Skandinavien und in die Schweiz, wo in "gesicherten Demokratien mit starken Sozialsystemen" rechtsgerichtete Parteien große Wahlerfolge erzielten.

Im Gespräch mit BR-Moderator Thorsten Otto (rechts) erläuterte Joachim Gauck noch weitere politische Fragen und zu seiner eigenen Person. (Foto: Renate Schmidt)

Im anschließenden Gespräch mit Thorsten Otto bekräftigte Joachim Gauck seine erst vor einem Monat geäußerte Forderung, Zuwanderung "zu steuern und zu begrenzen". Das habe nichts mit "das Boot ist voll zu tun", sondern mit einer drohenden Überlastung in den Kommunen, die ihm viele Bürgermeister geschildert hätten. Außerdem glaubt Gauck, dass nur so ein weiterer Rechtsruck verhindert werden könne. Was konkret getan werden müsse, dazu will er nichts sagen, das müssten andere entscheiden.

Man muss seine Positionen nicht in allen Punkten teilen - und doch hinterlässt Gauck einen tiefen Eindruck. Er tut das, weil er seine Ansichten mit großem Selbstbewusstsein vertritt, jedoch zugleich deutlich macht, dass er lediglich einen Beitrag leistet bei der Meinungsbildung in einer pluralistischen Gesellschaft.

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