Erdinger Geschichte:Gustav von Kahr und der Zyklon

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Gustav von Kahr hier am Schreibtisch im Jahr 1923, begann seine Karriere 1890 in Erding. (Foto: Philipp Kester/dpa)

Der bayerische Politiker war ein zentraler politischer Akteur im Freistaat Bayern der frühen Weimarer Jahre, insbesondere beim Hitler-Putsch 1923. Seine berufliche Laufbahn hat er in Erding begonnen, wo er sich 1894 als Krisenmanager nach einer Naturkatastrophe hervortat.

Von Florian Tempel, Erding

Gustav von Kahr ist in diesem Jahr eine viel beachtete Person der deutschen Geschichte, weil er eine Hauptfigur während der Münchner Unruhen vor hundert Jahren war. Von September 1923 bis Februar 1924 agierte er als bayerischer Generalstaatskommissar mit fast diktatorischen Vollmachten. In dieser Funktion kam ihm eine zentrale Rolle beim Hitler-Putsch am 8. November 1923 zu. Kahr tat damals zunächst so, als würde er sich Hitler anschließen, bevor er den Putschversuch dann doch niederschlagen ließ. Als Hassfigur der Nationalsozialisten wurde er 1934 während des sogenannten Röhm-Putsches von der SS ermordet.

Dieser Gustav von Kahr, geboren am 29. November 1862 in Weißenburg in Mittelfranken, begann seine Laufbahn als Verwaltungsbeamter in Erding. Seine erste berufliche Stelle hatte er am Bezirksamt Erding, heute wäre es das Landratsamt. In seinen Memoiren, die er nach dem Ende seiner Karriere geschrieben hat, geht er auf diese Zeit ein und erinnert sich dabei an ein ganz besonderes Ereignis: den verheerenden Wirbelsturm, der am 14. Juli 1894 mit enormer Zerstörungskraft am Höhenzug bei Buch beginnend über Forstern und Forstinning hinwegfegte und schwere Verwüstungen zurückließ.

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Sein Berufseinstieg begann für den damals 27-Jährigen im Mai 1890 als Bezirksamtsassessor in Erding. Als königlich bayerischer Beamter konnte er nun auch heiraten. Nach einer "schönen Hochzeitsreise durch das sonnige Italien" bezog er mit seiner Frau Ella eine Wohnung in Erding. "In dem reizenden alten Städtchen richteten wir uns in nächster Nähe des gotischen Schönen Turms bei einem Steinmetz und gegenüber einer alten Schmiede behaglich ein." Er pflegte Bekanntschaften, unter anderem mit "den trefflichen Doktorsleuten Henkel" und verbrachte "in dem freundlichen Erding mit seiner tüchtigen Bürgerschaft eine Reihe sehr glücklicher Jahre".

Beruflich waren seine Tätigkeiten vielfältig. Er war für die Polizei, das Gesundheits- und Veterinärwesen, die Bau- und Gewerbeaufsicht sowie Kulturunternehmungen zuständig. Er trieb die Trockenlegung des Erdinger Mooses voran, organisierte 1892 das oberbayerische Kreislandwirtschaftsfest und ließ Landstreicher verhaften. Alle zwei Wochen fuhr er als Staatsanwalt ans Amtsgericht Dorfen. Und im Sommer 1894 wurde er zum Krisenmanager nach einer Naturkatastrophe.

Das eingefärbte Gebiet auf der alten Karte zeigt, wo der Wirbelsturm am 14. Juli 1894 seine Schneise der Verwüstung schlug. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

In den Münchner Neuesten Nachrichten wurde der verheerende Wirbelsturm vom 14. Juli 1894 so beschrieben: "Wild entfesselte Elementargewalten haben eine Anzahl von Gemeinden der Amtsbezirke Ebersberg und Erding schwer heimgesucht." Gustav von Kahr schreibt in seinen Lebenserinnerungen von einem "gewaltigen Zyklon, der in sieben Minuten zahlreiche Dörfer und Einödhöfe vollständig vernichtete". Anhand der genauen Auslistung der betroffenen Ortschaften lässt sich gut nachvollziehen, dass der Sturm eine etwa zwei Kilometer breite und elf Kilometer lange Schneise der Verwüstung hinterließ.

Gustav von Kahr war am Abend des Unglückstages "bei Dr. Henkels zu Gast" und wurde dort gegen 23 Uhr von einem Eilboten über die Verwüstungen informiert. Da es in Erding lediglich stark geregnet und etwas gehagelt hatte, wollte er das Ausmaß der Zerstörungen erst nicht glauben. Am nächsten Morgen fuhr er in einer Kutsche los und sah vom Höhenzug bei Buch aus, was alles passiert war. "Weithin war kein Baum, kein Strauch, kein Haus und kein Lebewesen zu sehen. Die Alleebäume waren abgedreht und fortgetragen. Ein schwer beladenes Langholzfuhrwerk hatte der Wirbelwind von der Straße aufgehoben und an die 100 Meter durch die Luft in einen Acker geschleudert. (...) Wohin das Auge blickte, war nur Unheil und Grauen zu schauen."

Die Kirche in Forstern nach der Zerstörung durch den Wirbelsturm. (Foto: Wikipedia)

Im völlig zerstörten Forstern trifft er auf "die verzweifelten armen Leute, Männer und Frauen und Kinder in ihrem vom Regen durchnässten Kleidern, dem einzigen Gut, das sie mit ihrem Leben gerettet hatten". Sie erzählen ihm, wie sie den Sturm erlebt hatten. Wie "im Osten eine tiefschwarze Wand aufstieg und sich mit rasender Geschwindigkeit näherte", worauf "instinktiv alles sofort in den Keller floh". Über den Menschen "ging ein Höllenlärm, ein Heulen, Pfeifen, Krachen und Poltern" hinweg und "als sie sich nach sieben Minuten aus den Kellern herausarbeiteten, war die ganze Ortschaft nur noch ein Trümmerhaufen". Ganze Dächer seien kilometerweit weggetragen worden. Der Kirchturm von Forstern wurde zerstört und auf dem Friedhof waren sämtliche Grabsteine umgestürzt.

Der schwer betroffene Altarraum in der Forsterner Kirche. (Foto: Wikipedia)

Gustav von Kahr ordnete die Unterbringung der Obdachlosen in Nachbargemeinden an, gründete ein Hilfskomitee und machte das Unglück publik, um zu Spenden für den Wiederaufbau aufzurufen. Mit großem Erfolg. "Die Spenden an Geld und Baumaterial flossen so reichlich, dass ich öffentliche Mittel überhaupt nicht in Anspruch nehmen musste."

Insgesamt seien unter seiner Regie etwa 200 Anwesen wieder aufgebaut worden. "Nach weniger als drei Monaten waren die Kirche und sämtliche Wohnhäuser samt Stallungen und Scheunen bis auf den Verputz, fertiggestellt und von Menschen und Vieh bezogen. An Stelle der armseligen Moosdörfer und dürftigen ungesunden alten Behausungen waren aus Stein gebaute Ortschaften und Häuser mit gewölbten Stallungen entstanden, die mit ihren roten Ziegeldächern weit in die Landschaft blinkten." Ein Jahr später verließ Gustav von Kahr Erding als erprobter Beamter und zog nach München um, wo er eine Stelle im Innenministerium antrat.

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