Prozess in Erding:Schwierige Suche nach der Wahrheit

Lesezeit: 3 min

Verhandelt wurde der Fall im Sitzungssaal 3 im Amtsgericht Erding. (Foto: Stephan Görlich)

Amtsrichter erlässt Ordnungsgeld und Vorführungsbefehle, um Aussagen von Zeugen vor Gericht zu erzwingen. Angeklagter und Geschädigter wollen von gefährlicher Körperverletzung nichts mehr wissen, sie seien zur Tatzeit zu betrunken gewesen.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Es gibt Fälle, in denen wird die Suche nach der Wahrheit nicht nur durch den Angeklagten erschwert, sondern auch durch Zeugen. So wie jüngst am Amtsgericht Erding, als ein 26-jähriger Mann wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht stand. Er soll im Juli 2021 einem anderen eine Flasche Bier an der Schläfe zertrümmert haben. Als der Notarzt damals eintraf, war es wohl nicht klar, ob der Geschädigte überlebt.

Vor Gericht konnte sich aber weder der Angeklagte, noch der Geschädigte an etwas erinnern. Sie seien zu betrunken gewesen, sagten sie. Auch der ermittelnde Polizeibeamte konnte sich nur auf die Aussagen aller Zeugen berufen.

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Am besten konnte sich an die Nacht noch ein weiterer Polizeibeamter der Kripo Erding erinnern, der damals alleine auf dem Rückweg aus Ingolstadt mit seinem Dienstwagen war. Als er auf Höhe der Aral-Tankstelle in Erding im Juli 2021 gewesen sei, habe ihm jemand zwischen einem Lkw und einem Auto gewunken, er solle anhalten. Gleich danach sei ein Mann hervorgetorkelt, blutverschmiert. Der habe in etwa gesagt, dass es einen Streit gegeben habe und man ihm eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen habe.

Dann sei er weinend am Polizeiauto zusammengebrochen. Kurz darauf sei ein zweiter Mann aufgetaucht, der etwas von einem Streit um ein Handy gesagt habe. Diese zweite Person sei plötzlich bewusstlos zu Boden gestürzt. "Ich bin mehr mit erster Hilfe beschäftigt gewesen, als mich um mögliche weitere Zeugen zu bemühen", sagt der Kripo-Beamte, der angab eine medizinische Grundausbildung zu haben. Er könne sich nur noch erinnern, dass die erste Person ein weißes, blutverschmiertes T-Shirt anhatte, die zweite sei an der Hand verletzt gewesen.

Beide waren wohl alkoholisiert. Da der Zustand der ersten Person offenbar von den Rettungskräften als kritisch angesehen wurde, kam sogar ein Rettungshubschrauber. Laut dem ermittelnden Beamten sei man anfangs sogar von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen. Der Geschädigte konnte jedoch schon nach kurzer Zeit das Krankenhaus verlassen. Seine Platzwunde an der linken Kopfseite war genäht worden.

Der Angeklagte sagt, er würde seinem Freund nie mit einer Flasche an den Kopf schlagen

Der 26-jährige Angeklagte sagte aus, dass er sich an nichts erinnern könne, er sei damals zu betrunken gewesen. Außerdem sei der Geschädigte sein Freund, er habe sogar acht Jahre lang mit ihm in einem Zimmer gelebt. Deshalb schließe er aus, dass er ihm eine Flasche über den Kopf geschlagen habe. Dieser bestätigte, dass sie beiden Freunde seien. Ja, man habe an dem Tag und Abend ständig "gesoffen". Was passiert sei, wisse er nicht und es habe ihm später auch niemand gesagt, wer ihm die Flasche über den Schädel gezogen habe. Er sei erst wieder im Krankenhaus aufgewacht. Ohne Erinnerungen an die Nacht.

Erinnern konnten sich dafür drei weitere Zeugen, die in der Nacht vor Ort waren - zumindest bei ihren Vernehmungen bei der Polizei ein paar Tage später. Zunächst hatte die Polizei alle weiteren Männer vor Ort als Tatverdächtige eingestuft. Es habe aber eine Aussage gegeben, so der Polizeibeamte, in der der Angeklagte als Täter genannt worden sei. Der Zeuge habe damals ausgesagt, dass es einen Streit um eine zerbrochene Flasche Alkohol gegeben habe. Zunächst sei er zwischen die beiden Streitenden - der Angeklagte und der Geschädigte - gegangen, aber im weiteren Verlauf habe der 26-Jährige die Bierflasche dem anderen über den Kopf geschlagen.

Der Zeuge habe geschildert, dass der Angeklagte die Flasche dabei nicht, wie man vermuten könnte, am Hals gepackt und mit ihr von oben nach unten geschlagen habe, sondern sie am Flaschenkörper genommen habe und dem "Freund" an den Kopf geschlagen habe, so der Polizist. Das passe auch damit zusammen, dass der Kripobeamte eine blutenden Hand beim Angeklagten gesehen hatte.

Gegen jeden wurde ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro verhängt, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft

Ob dies tatsächlich so war, konnte aber nicht in der Verhandlung überprüft werden. Nach der Aussage des Geschädigten war Schluss. Von den weiteren geladenen Zeugen war niemand mehr gekommen, sie fehlten unentschuldigt, was Amtsrichter Bauer dazu veranlasste auf Antrag der Staatsanwältin gegen jeden ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro zu verhängen, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft. Zudem erließ er Vorführungsbefehle. Damit soll ihre Zeugnispflicht durchgesetzt werden. Die Zeugen werden damit beim nächsten Gerichtstermin zwangsweise durch die Polizei zum Termin am Gericht vorgeführt. Wann dies ist, hängt davon ab, wie schnell man den Zeugen habhaft wird. Das Verfahren wurde bis dahin ausgesetzt.

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