Straßenbau:Vertane Jahrhundertchance oder abgewendeter Irrsinn?

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Die Staatsstraße 2086 führt mitten durch die Dorfener Innenstadt und am Rathaus vorbei. (Foto: Renate Schmidt)

In Dorfen wird sehr kontrovers diskutiert, ob die alte Idee, die Staatstraße aus Richtung Isen südlich der Bahngleise zur B15 zu verlegen, noch zeitgemäß ist. Die Altstadt würde dadurch von Verkehr entlastet. Doch der hat sich durch den Bau der A94 in etwa halbiert. Der Stadtrat entscheidet sich mit knapper Mehrheit gegen eine Verlegung.

Von Florian Tempel, Dorfen

Ein Neubau der Staatsstraße 2086 vom Bahnübergang bei Rutzmoos südlich entlang der Bahngleise bis zur Bundesstraße B15 ist schon seit einem Vierteljahrhundert ein Thema in Dorfen. Eine solche Verlegung würde die Dorfener Altstadt von Verkehr entlasten. In der Stadt ist die Staatsstraße erst die Isener Straße, läuft nach dem Wailtl-Tor am Marienplatz und am Rathausplatz vorbei und dann weiter als Rosenaustraße bis zur B15. Der Stadtrat hat sich nun gegen eine Verlegung entschieden. Die zu erwartende Entlastung der Innenstadt erschien einer knappen Mehrheit nicht als so groß, um dafür eine neue 1,2 Kilometer lange Straße "in die Landschaft zu betonieren", wie es Andreas Hartl (GAL) ausdrückte.

Die Straße durch einen Neubau zu verlegen und so eine neue Ost-West-Verbindung im Süden von Dorfen zu schaffen, war für die Einen eine einmalige Jahrhundertchance, für die Anderen ein überkommener Irrweg. Eigentlich hatte der Stadtrat die Straßenverlegung im Oktober 2021 schon einmal abgelehnt. In der Bürgerversammlung im November 2022 kam jedoch aus der Bürgerschaft die Aufforderung, die Sache zu überdenken. Bei einer Abstimmung während der Bürgerversammlung, zu der etwa 80 Dorfenerinnen und Dorfener gekommen waren, votierte eine deutliche Mehrheit für die Verlegung der Staatsstraße. Es gab nur eine Handvoll Gegenstimmen.

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Das sei ja wohl "ein klares Signal", sagte Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) am Mittwoch in der Stadtratssitzung. Er mahnte die Mitglieder des Stadtrats - ganz allgemein formuliert, aber mit Bezug zum konkreten Thema - "wir stehen in der Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem Bürger".

Im Laufe der Diskussion führte Martin Greimel (CSU) ein weiteres, im digitalen Raum gesammeltes Stimmungsbild an. Er hatte auf der "Dorfen"-Seite in Facebook die Frage zur Abstimmung gestellt: "Soll die Staatsstraße aus der Innenstadt heraus, an der Bahnlinie entlang zur B15 verlegt werden?" Etwa 400 Mitglieder der "Dorfen"-Gruppe klickten Ja an, nur 30 bei Nein. Und der Förderkreis Dorfen, die Interessengemeinschaft der Gewerbetreibenden, sei sogar "unisono" für die Straßenverlegung, sagte Greimel. Sein Fazit: "Es ist unverantwortlich, wenn wir es nicht machen."

Der Straßenneubau hätte die Stadt Dorfen keinen einzigen Cent gekostet

In dasselbe Horn stieß Josef Wagenlechner (TEG), der befand, wer dagegen sei, habe sich "weit entfernt von der Dorfener Bevölkerung". Sven Krage (Freie Wähler) bekannte, er habe angesichts des für ihn klaren Bürgervotums seine ablehnende Haltung geändert. Michael Oberhofer (CSU), versuchte weitere Zweifler mit dem Appell zu überzeugen, jede Stadträtin und jeder Stadtrat sollte sich bei der Entscheidung davon leiten lassen, ob sie von mindestens 50,1 Prozent der Wähler auch so getroffen würde.

Die Kostenfrage sprach in gewisser Weise für eine Straßenverlegung. Die neue Straße würde im Zug des Bahnausbaus mitgebaut werden und die Stadt keinen Cent kosten. Auch für eine Abzweigungsbrücke über die Bahnstrecke rüber zur Isener Straße - denn ganz abschneiden kann man den Südosten der Stadt nicht - müsse die Stadt nichts zahlen. Das habe die Regierung von Oberbayern noch einmal ausdrücklich zugesichert, sagte Bauamtsleiter Franz Wandinger.

Die Befürworter fanden das Null-Euro-Schnäppchen super. Die Skeptiker verwiesen jedoch darauf, dass dann eben der Staat eine große Menge Geld verplempere. Susanne Streibl (GAL) sagte, die Millionen wären besser in eine Verkehrswende investiert: "Wenn wir weniger Verkehr wollen, müssen wir den Autoverkehr reduzieren und nicht Straßen bauen." Und Andreas Hartl (GAL) machte eine Gegenrechnung auf: Wenn der Staat eine neue Staatsstraße baue und die Stadt die alte Straße, die durch Dorfen führt, in ihre Verantwortung übernehme, entstünden der Kommune große Folgekosten. "Wo soll denn da ein Entlastungseffekt sein?"

"Die Gefahr besteht, dass das eine Vorstufe für eine Ortsumfahrung wird."

Bürgermeister Grundner bemühte ein weiteres Argument, warum er die Übernahme der alten Staatsstraße als sehr vorteilhaft erachte. Bislang seien alle Bemühungen, Querungshilfen insbesondere für Schulkinder durchzusetzen, am Widerstand des Landratsamts gescheitert, das die für Staatsstraßen zuständige Verkehrsbehörde ist. Wenn es eine Ortsstraße wäre, könnte die Stadt ganz einfach selbst eine Ampel oder einen Zebrastreifen an der Isener Straße und am Herzoggraben genehmigen.

Sabine Berger (CSU) lehnte die Staatsstraßenverlegung entlang der Gleise aus einem ebenso speziellen Grund ab: "Die Gefahr besteht, dass das eine Vorstufe für eine Ortsumfahrung wird." Für sie und alle anderen Skeptiker war jedoch etwas ganz Anderes der wesentliche Punkt: Nicht politischer Wille und finanzielle Möglichkeiten, sondern Daten und Fakten sollten beim Straßenbau entscheidend sein.

Und da sieht es so aus: Die Stadt hat den Verkehr auf der Staatsstraße schon zweimal zählen lassen. 2008 waren es rund 3800 Fahrzeuge pro Tag, bei der Zählung 2021 dann nur noch 2100. Der massive Rückgang ist leicht zu erklären. Seit der Eröffnung der Isentalautobahn 2019 ist die A94 die schnellere Verbindung zwischen Dorfen und Isen. Auch die staatliche Straßenverkehrszählung, die alle fünf Jahre stattfindet, bestätigt, das sich der Verkehr zwischen Dorfen und Isen fast halbiert hat. Eine an der Bahnstrecke entlang verlegte Straße zur B15 würde zudem wohl nur von einem Teil der Autofahrer genutzt werden und ein anderer Teil würde weiterhin über die Abzweigungsbrücke in die Innenstadt fahren. Heiner Müller-Ermann (SPD) fasste es so zusammen: "Für vielleicht 1000 Fahrzeuge eine neue Straße zu bauen, das ist doch Irrsinn."

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