Bahnstrecke ABS 38:Notbremse beim verschleppten Bahnausbau

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Es geht seit jeher nur langsam voran auf der Bahnstrecke München-Mühldorf. Hier nähert sich ein schon älteres Modell eines dieselgetriebenen Minizugs dem Bahnhof Dorfen. (Foto: Renate Schmidt)

Staatssekretär Michael Theurer bestätigt, dass auch das Bundesverkehrsministerium den Bahnausbau München-Mühldorf-Freilassing lieber wieder auf normalem Weg genehmigen lassen möchte. Weil eine Zulassung per Maßnahmengesetz keine Beschleunigung bringt, sondern wie ein Bremsklotz wirkt.

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Absurdität, wie beim Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing (ABS38) bereits mehrere Jahre Zeit verschwendet worden sind, ist kaum zu glauben und noch weniger zu verstehen. Schuld ist das vor drei Jahren verabschiedete Gesetz mit dem überlangen Namen Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgVG), das der damalige Bundeverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als Beschleunigungsgesetz gepriesen hat. Tatsächlich aber war und ist es ein Bremsklotz für die ABS38.

Michael Theurer (FDP), parlamentarischer Staatssekretär des aktuellen Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP), bestätigte der SZ am Rande eines Besuchs in der Region, dass die Bundesregierung nun die Notbremse ziehen wolle, damit nicht noch mehr Zeit verloren gehe. "Das, was die Vorgängerregierung mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz gemacht hat, führt in diesem konkreten Fall nicht zur Beschleunigung", konstatierte Theurer. Dass schon mindestens zwei Jahre verloren sind, "ist ein Umstand, den wir so angetroffen haben und den wir nicht verursacht haben." Statt, wie vorgesehen, die einzelnen Ausbauabschnitte per Gesetz zu genehmigen, werde man nun aller Voraussicht über eine im MgVG eingebaute Ausstiegsklausel zum hergebrachten Planfeststellungsverfahren zurückkehren. "Das ist für uns auf jeden Fall eine Option", sagte Theurer der Süddeutschen Zeitung: "Wenn es dadurch schneller geht - und da deutet viel darauf hin."

Staatssekretär Michael Theurer nahm am Dienstag am Spatenstich für die B388-Ortsumfahrung von Taufkirchen teil. (Foto: Renate Schmidt)

Der erste Ausbauabschnitt der gerade beim Eisenbahnbundesamt geprüft wird, sind die paar Kilometer zwischen Embach und Lappach bei Dorfen. Die Unterlagen wurden wegen des MgVG zwei Jahre später eingereicht als geplant. Statt für den Abschnitt ein Maßnahmengesetz zu erlassen, soll nun doch wieder ein Planfeststellungsbeschluss reichen. Bei weiteren Abschnitten, die nach und nach ans Eisenbahnbundesamt gehen, soll ebenso verfahren werden. Es ist das Eingeständnis, dass das MgVG für die ABS38 totaler Murks war.

Wie gravierend die Sache schief gelaufen ist, wird klar, wenn man mit einem spricht, der das alles aus der Nähe miterlebt hat. Bis Anfang 2020 sei alles noch richtig gut gelaufen, sagt der Insider. Die Bundesregierung haben der Reihe nach mehrere Beschleunigungsgesetze vorgelegt, die den Namen verdienten, weil sie das Planen und Realisieren von Verkehrsprojekten wirklich erleichtert hätten. Da seien viele einzelne Aspekte "auch für die ABS 38 positiv gewesen" und "da war einiges sogar super".

Vielen bei der DB wurde sofort klar, dass es eine fatale Fehlentscheidung war

Doch dann kam der Schock, im Januar 2020. In den Nachrichten wurde über das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz berichtet und an erster Stelle der Projekte, die nun angeblich schneller, besser und effizienter genehmigt würde, der Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing genannt. Wieso auch nicht, mochten alle Ahnungslosen meinen, die ABS38 ist schließlich eines der wichtigsten Bahnprojekte in Deutschland. Doch bei der Deutschen Bahn wusste vorher keiner davon, dass die ABS38 für den neuen Gesetzesweg ausgewählt worden war. Mehr noch: Es war nicht nur eine Überraschung, sondernd vielen bei der DB wurde sofort klar, dass es eine fatale Fehlentscheidung war.

Alexander Pawlik, der Gesamtprojektleiter der ABS 38 hat das bei einem Pressegespräch im vergangenen Oktober bestätigt. Nachdem das MgVG so plötzlich da war, habe man bei der Deutschen Bahn alles versucht, dass es nicht auf die Strecke München-Mühldorf-Freilassing angewendet wird. Fast zwei Jahre lang habe man versucht, da wieder rauszukommen. Doch solange Andreas Scheuer Verkehrsminister war, ging sowieso nichts. Er hätte ja nach der gefloppten Autobahnmaut noch ein weiteres legislatives Desaster zugeben müssen.

Staatssekretär Theurer sagte am Mittwoch, dass auch nach dem Regierungswechsel in Berlin nichts zu machen war: "Es war nicht einfach möglich, diese Maßnahme die im Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz genannt ist, wieder aus dem Verfahren herauszubekommen." Kurz gesagt: Gesetz ist Gesetz und die ABS38 steht da nun mal drin.

Die EU-Kommission führt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das MgVG

Der von der Deutschen Bahn gewünschte und von Theurer in Aussicht gestellte Ausstieg aus dem ungeliebten Gesetz, bringt keine verlorene Zeit zurück. Warum will man dann überhaupt zurück zum Planfeststellungsverfahren? Weil alles sonst noch viel länger dauern könnte.

Das liegt daran, dass die EU-Kommission gegen das MgVG eine Vertragsverletzungsverfahren in Gang gebracht. Die Kommission ist der Ansicht, dass das Gesetz gegen eine EU-Richtlinie verstößt, die bei Verkehrsprojekten Umwelt-und Naturschutzverbänden ein Klagerecht einräumt. Dieser Rechtsschutz wird durch das MgVG ganz bewusst ausgehebelt. Dass die EU-Kommission das deutsche Gesetz sehr kritisch sehen wird, war von Anfang an bekannt und absehbar. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte im Januar 2020, kurz bevor das Gesetz verabschiedet wurde, noch einmal explizit darauf hingewiesen.

Staatssekretär Theurer sagt zwar, "da muss zunächst mal eine Lösung abgewartet werden." Doch das hört sich nur nach der vagen Hoffnung an, dass die EU ihre Klage zurücknehmen könnte. So lange das Vertragsverletzungsverfahren von der EU aufrechterhalten wird, bleibt der Genehmigungsweg über ein Maßnahmengesetz aber hochgradig gefährlich. Sobald das erste Maßnahmengesetz erlassen wäre - ganz konkret das für den Abschnitt Embach bis Lappach - würde es mit Sicherheit nicht nur vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch vor dem EuGH landen. Was Jahre dauern kann und den Ausbau weiter verzögern würde.

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