Deutsche Geschichte:Konsequent links

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Es gibt nicht viele Fotos von Kurt Hirsch. Hier ist er mit Dieter Hildebrandt zu sehen. (Foto: privat)

Peter B. Heim hat eine Biografie über den Rechtsextremismus-Forscher und Publizisten Kurt Hirsch verfasst

Von Florian Tempel, Fraunberg

Eine Biografie zu schreiben, ist immer ein großes Projekt und niemals eine leichte Aufgabe. Bücher über das Leben von bedeutenden oder bekannten Menschen sind jedoch beim Publikum richtig beliebt, manche werden sogar zum Bestseller. Der in Fraunberg lebend Journalist und Autor Peter B. Heim hat sehr viel Zeit und Energie in eine 334 Seiten starke Biografie gesteckt. Er hat das jedoch ohne jede Hoffnung getan, dass sein Buch zu einem Verkaufsschlager werden könnte. Das wäre ja noch schöner! Lohnend ist es aber dennoch - für den, der das Buch liest.

Peter B. Heim hat die erste und einzige Biografie über den linken Publizisten und Rechtsextremismus-Forscher Kurt Hirsch verfasst, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hat. Er hat das Buch also zum einen aus persönlicher Verbundenheit geschrieben, was nicht die verkehrteste Motivation ist. Er hat die Kurt Hirsch-Biografie auch deshalb geschrieben, weil es wahrscheinlich sonst keiner tun würde. Aber nicht zuletzt hat Peter B. Heim das im Münchner Schillo Verlag erschienene Buch verfasst, weil er zu Recht der Auffassung ist, dass Kurt Hirsch als Mensch, Publizist und Persönlichkeit so interessant war, dass die Nachwelt es verdient hat, etwas über ihn zu erfahren.

Peter B. Heim. (Foto: privat)

Kurt wer? Das ist eine berechtigte Frage. Es ist keine gravierende Bildungslücke, wenn man ihn nicht kennt. Das macht gar nichts. Das macht auch Peter B. Heim nichts - dafür gibt es ja sein Buch. Man braucht nur 18 Euro und ein paar Abende Zeit, um Kurt Hirsch, von dem man nie zuvor gehört hat, intensiv kennenzulernen. Was im Übrigen kein Selbstzweck ist. Mit der Lektüre des Buches begibt sich der Leser auf eine Bildungsreise durch bewegende Zeiten.

Der Buchtitel "Zwischen den Stühlen - Aufrecht" verrät in der Unterzeile, dass Kurt Hirsch mindestens dreierlei war: "Jude, Trotzkist, Publizist". Wenn man nur die absoluten Eckdaten seines Lebens nimmt - am 2. August 1913 in Wien geboren und am 31. Dezember 1999 in München gestorben - erschließt sich als erstes, dass Kurt Hirsch, der sieben Jahre in deutschen KZs inhaftiert war, ein Überlebender in mehrfacher Hinsicht war. Das fixt schon mal an. Zwei weitere, schnell genannte Infos verstärken sicher das Interesse. Kurt Hirsch war einer jener linken Autoren, die Franz Josef Strauß Ende 1978 als "Ratten und Schmeißfliegen" diffamierte. Und schließlich wurde Kurt Hirsch tatsächlich verdächtigt - die Staatsanwaltschaft ermittelte letztlich ergebnislos - als Agent im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zwischen 1976 und 1987 das Büro von Willy Brandt ausgespäht zu haben und aus der DDR eine Menge Geld für seine linken Publikationen bekommen zu haben. Oh la la, das ist alles ziemlich spannend.

Peter B. Heim baut seine Kurt Hirsch-Biografie ganz klassisch chronologisch auf. Aber er macht das ganz und gar nicht eindimensional, sondern er verwendet ein gelungenes System mit mehreren Ebenen. Der Leser bekommt in sehr gut erzählten Passagen die nötige Einordnung, wie die Zeiten, um die es jeweils gerade geht, im allgemeinen waren. Peter B. Heim fasst das große Ganze zusammen, damit man die Orientierung behält. Seine Recherche zur Einzelperson Kurt Hirsch, die zweite Ebene, hat er hingegen so tief und detailliert wie möglich angelegt. Das geht runter bis zu den Hausnummern der ehemaligen Wohnungen, die der Biograf allerdings nicht einfach irgendwo abgeschrieben, sondern sorgsam auf Realität und Plausibilität abgeklopft hat. Diese Art von Genauigkeit scheint fast schon ein bisschen zu penibel, ist aber vor allem eines: vertrauensbildend gründlich. Weitere Ebenen sind die zahlreichen originalen Berichte und Texte von Kurt Hirsch selbst. Heim kann hierbei aus persönlichen Gesprächen und als Kenner seines publizistischen Werks schöpfen. Und schließlich finden sich im Buch auch viele Auszüge aus Büchern und Texten von Zeitgenossen.

Am Leben von Kurt Hirsch ist mehr oder weniger alles interessant. Seine frühen Jahre in Wien, seine familiären Situationen und Hintergründe ebenso wie seine Aktivitäten als Mitglied sozialistischer Jugendorganisationen. Sehr eindringlich geschildert sind die Kapitel, die seine sieben Jahre im KZ beschreiben. Nur wenige Wochen nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland wurde er von der SS verhaftet und blieb KZ-Häftling bis kurz vor Kriegsende. Der jüdische Kommunist überlebte, blieb in Deutschland und machte den publizistischen Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen und Gruppierungen zu seinem weiteren Lebensthema. Er gründete einen linken Presseinformationsdienst, recherchierte über Rechtsradikale und brachte mehrere Bücher heraus. Peter B. Heim wurde erst zu seinem Mitarbeiter und dann auch zum Co-Autor. Gemeinsam brachte sie 1991 sein letztes Buch heraus, das sich mit rechtsradikalen Aktivitäten in den neuen Bundesländern befasst.

Fazit und Schlusssatz: Wagt das Unbekannte und lest die Kurt Hirsch-Biografie von Peter B. Heim.

© SZ vom 02.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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