Amtsgericht Erding:Vampir mit Alkoholproblem

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Ein Vordruck für ein sogenanntes Stuhlurteil liegt auf einem Tisch im Sitzungssaal 3 im Amtsgericht Erding. (Foto: Stephan Görlich)

Zwei Patienten des Soziotherapeutischen Heims in Wartenberg geraten in Streit mit Polizisten. Jetzt werden sie zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Gutachten sehen bei beiden eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Nicht jeden Tag hat man einen Vampir mit Alkoholproblemen vor Gericht. Zumindest hat sich der 56-jährige Angeklagte laut einem psychologischen Gutachten manchmal dafür gehalten. Angeklagt war er aber nicht wegen unerlaubten Blutabzapfens, sondern wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte, tätlichen Angriffs, Körperverletzung und Beleidigung. Mit angeklagt war eine 34-Jährige. Beide waren zum Tatzeitpunkt im Therapiezentrum (STZ) Wartenberg wegen ihrer Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit untergebracht. Sie hatten ihre Ausgangszeit überschritten und waren deshalb von der Polizei gesucht worden, um sie zurück ins STZ zu bringen. Das wollten die beiden aber nicht.

Die Angeklagten sind jeweils schon länger in Therapie, teils wegen psychischer Probleme, aber auch wegen ihrer Alkoholsucht. Er war deshalb sogar zu dem Zeitpunkt gerichtlich in einer geschlossenen Einrichtung eingewiesen. Das STZ ist ein Soziotherapeutisches Heim für chronisch mehrfach beeinträchtigte Alkohol- und Medikamentenabhängige. In Stufen sollen die Patienten dort die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln erlangen. Am 3. Oktober 2021 endete diese Eigenverantwortung allerdings in einem Desaster. Der 56-Jährige und die 34-Jährige hatten Ausgang, waren aber nicht wie ausgemacht um 19 Uhr wieder zurück. Eine Mitarbeiterin des Therapiezentrums hatte sie zuvor noch auf einer Parkbank am Volksfestplatz am Fluss Strogen gesehen und die Polizei wurde gebeten, sie zurückzubringen.

Sie hatte zur Tatzeit wohl bis zu 2,55, er 1,73 Promille im Blut

Als die beiden Beamten dort gegen 19.30 Uhr ankamen, merkten sie nach ihrer Aussage vor Gericht schnell, dass beide erheblich alkoholisiert waren. Ein späterer Alkoholtest erbrachte bei ihr einen maximalen Wert zur Tatzeit von 2,55, bei ihm von 1,73 Promille. Als die beiden Angeklagten gebeten wurden, doch bitte wieder zurück ins STZ zu gehen, seien beide überhaupt nicht einsichtig gewesen, sagten beide Polizisten aus. Beide hätten nur eine sehr verwaschene Aussprache gehabt, sie sei sogar beim Aufstehen von der Parkbank erst mal gestürzt. "Bis dahin wäre alles okay gewesen, wenn sie einfach mitgekommen wären", sagte einer der beiden Beamten.

Leider seien beide dann in ihre Richtung gegangen. Mit wild gestikulierenden Händen und immer aggressiver werdend. Das ganze Geschehen hatte sich mittlerweile auf die Fußgängerbrücke über die Strogen verlagert. Die beiden Beamten forderten sie mehrmals auf, das zu unterlassen, sonst müssten sie "fixiert", sprich gefesselt werden, um Schaden von allen Beteiligten zu vermeiden. Irgendwann seien die Hände der 34-Jährigen so nah an das Gesicht eines der beiden Beamten gekommen, dass er sich gezwungen sah, sie zu Boden zu bringen und zu fesseln - wobei sie sich heftig gewehrt habe und beide Polizisten mehrfach beleidigte, unter anderem als "Drecksbullen". Das sei wohl das Signal des 56-Jährigen gewesen als "Beschützer" von ihr aufzutreten, sagte der zweite Polizist. Auch er wurde gegen heftigen Widerstand zu Boden gebracht und gefesselt. Dabei habe er sich einmal heftig aufgebäumt und sei mit dem Gesicht auf den Boden aufgeprallt, sagte der Beamte aus. Die Ärzte stellten später Platzwunden, aber auch den Bruch eines Wirbels am Hals fest, weshalb der 56-Jährige operiert werden musste. Eine unangebrachte, übermäßige Gewaltanwendung, wie ein Verteidiger es formuliert, wiesen beide Polizisten zurück und auch Amtsrichter Andreas Wassermann ging nicht näher darauf ein, da er sich wohl eher die Verletzungen durch seinen Widerstand selber zugefügt habe.

Die 34-Jährige entschuldigt sich bei beiden Polizisten vor Gericht

An den Vorfall hatte die 34-Jährige gar keine Erinnerungen mehr. Sie sei erst im Krankenhaus wieder aufgewacht, sagte sie vor Gericht. Ihr tue alles sehr leid und sie werde alles tun, um von der Alkoholsucht loszukommen. Bei beiden Polizisten entschuldigte sie sich. Wortkarg war dafür der 56-Jährige. Eine rechte Entschuldigung kam nicht zustande.

Das psychiatrische Gutachten, das später von beiden erstellt wurde, ergab bei beiden, dass sie an dem Abend aufgrund des Alkohol-Medikamenten-Mix in ihrem Blut eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gehabt haben, aber völlig aufgehoben sei sie nicht gewesen. Ihr wurden zudem Alkohol- und Drogenprobleme sowie Panikattacken und ADHS seit vielen Jahre attestiert. Bei ihm zudem paranoide Schizophrenie. In seinen Wahngedanken sei er ein Vampir und habe Kontakt zum Teufel. Trotz schon längerer stationärer Behandlung habe er kein Problembewusstsein. Beide hatten zudem etliche Einträge ins Bundeszentralregister. Sie elf, er 15.

Beide benötigen therapeutische Hilfe, keinen Gefängnisaufenthalt

In einem waren sich Staatsanwältin, die zwei Pflichtverteidiger und der Amtsrichter einig: Beide benötigen therapeutische Hilfe, keinen Gefängnisaufenthalt. Andreas Wassermann verhängte deshalb zehn Monate Freiheitsstrafe für sie, 13 für ihn. Jeweils ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. Die 34-Jährige ist derzeit schon freiwillig in einer stationären Einrichtung wegen ihrer Alkoholsucht, der 56-Jährige noch bis 24. März 2024 eingewiesen.

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