Amtsgericht Erding:Geplatzte Träume enden vor Gericht

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Der Eingang zum Amtsgericht Erding an der Münchner Straße. (Foto: Stephan Görlich)

Junge Ehefrau verklagt ihren Mann wegen Körperverletzung. Ob es diese tatsächlich gegeben hat, bleibt offen. Ebenso wie das Motiv für die Anzeigen.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wer im Fernsehen Seifenopern liebt, der könnte auch im Amtsgericht Erding ab und an fündig werden. Der Fall, den Richterin Michaela Wawerla zu verhandeln hatte, bot fast genügend Stoff für ein entsprechendes Drehbuch: eine Ehe, die wohl arrangiert worden war, eine 17 Jahre jüngere Ehefrau, deren Wünsche und Träume dabei nicht erfüllt wurden, ein neuer Mann in ihrem Leben, die Flucht aus der Ehe, verbunden mit Anzeigen gegen ihren Mann, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, ihn zu verlassen. Ob alles genau so war, wusste man auch nach mehr als vier Stunden Verhandlung nicht, die Zeugenaussagen ließen das aber vermuten. Weil aber letztlich Aussage gegen Aussage stand, wurde das Verfahren wegen Körperverletzung gegen eine Geldauflage von 500 Euro eingestellt.

Die Anklagen umfassten zwei vorsätzliche Körperverletzungen, die die Staatsanwaltschaft erhoben hatte. Bereits im Vorfeld war eine Verhandlung wegen sexueller Nötigung eingestellt worden. Konkret warf die Staatsanwaltschaft dem heute 43-jährigen Angeklagten vor, irgendwann zwischen dem 19. September und dem 19. November 2019 seine heute 26-jährige Ehefrau mit der Hand ins Gesicht geschlagen zu haben, wobei sie eine Verletzung an der Lippe erlitten habe. Zudem soll er sie einmal so an den Oberarmen gepackt haben, dass er ihr Schmerzen zugefügt habe.

Gestritten wurde über Sex und Geld, wie der Angeklagte zugab

Der Angeklagte, der in der Türkei geboren wurde und inzwischen deutscher Staatsbürger ist, beteuerte, sie nie geschlagen zu haben, sie würde nur lügen. Auch, dass sie nach einem Jahr Ehe immer noch Jungfrau gewesen sei, habe ihm nichts ausgemacht. Er habe sie geliebt. "Es geht nicht nur immer um Sex", sagte er. Dass sie öfters gestritten hätten, gab er aber zu. Man sei aber doch glücklich gewesen. Er sagte zudem, dass sie immer Geld haben wollte. "Aber ich konnte nicht mehr zahlen."

Laut seiner Frau - die beiden sind noch nicht geschieden - sei neben Sex der häufige Alkoholkonsum Grund gewesen, warum es oft zum Streit gekommen sei. Er habe sie zudem bedroht und gesagt, dass er sie umbringe. Bei einem der Streits habe er sie geschlagen. Wann genau, wusste sie vor Gericht nicht mehr. Anhand von Aussagen bei der Polizei und von Zeugen im Gericht, wurde die mögliche Körperverletzung auf August datiert. Außerhalb des Anklagezeitraums.

Sie habe mit ihrer Tante, deren Ehemann und einer Lehrerin eines Deutsch-Immigrationskurses geredet, aber nur die Lehrerin habe ihr weiter geholfen und ihr einen Kontakt in einem Frauenhaus vermittelt, so die Ehefrau. Und dort habe man sie überzeugt, zur Polizei zu gehen. Sie selber habe zu viel Angst vor ihrem Mann, auch heute noch. Mittlerweile wohnt die Marokkanerin nicht mehr in Bayern.

Nach fünf Zeugen war immer noch unklar, ob die Frau körperlich verletzt wurde

Auch nach den Aussagen von fünf Zeugen mussten Amtsrichterin Wawerla und die Staatanwältin feststellen, das niemand konkreter bezeugen konnte, dass die junge Frau durch ihren Mann verletzt worden sei. Die Deutschlehrerin berichtete, dass sie im Kurs oft geweint habe. Sie habe den Eindruck gehabt, dass sie in der Ehe unglücklich gewesen sei, aber Scheidungen seien in ihrem Kulturkreis "nicht erwünscht". Sie vermutete, dass die Ehe "eher künstlich" entstanden sei.

Die Polizeibeamtin konnte sich überhaupt nicht mehr an die Frau erinnern, die Ende 2019 bei ihr ihre Anzeige gemacht hatte. Und die Tante und deren Ehemann sagten aus, dass die junge Frau nie davon gesprochen habe, dass sie körperlich attackiert worden sei. Ja, der Angeklagte trinke Alkohol, aber wie viel wisse man nicht. Er sei öfters traurig gewesen und habe dem Mann ihrer Tante gesagt, dass der fehlende Sex der Grund sei. Aber dass er sie schlagen würde deshalb? Sie hätten gedacht, dass die Ehe glücklich sei, aber es sei "mal und mal so gewesen". Sie habe ihnen mal gesagt, dass man über Geld streite.

Einen überraschenden neuen Aspekt brachte eine damalige Kurs-Kollegin ein. Die heute 26-Jährige habe wohl schon im August 2019 einen neuen Freund gehabt, zumindest sei sie damals bei ihrer Verlobung mit einem anderen Mann aufgetaucht. Und sie konnte sogar ein Foto von den beiden, sich umarmend, zeigen. Sie habe außerdem gesagt, dass sie ihren Mann nicht liebe, aber Angst habe, dass sie nach einer Scheidung zurück nach Marokko müsse.

Auch Richterin Wawerla vermutete eine arrangierte Ehe

Amtsrichterin Wawerla und die Staatsanwältin waren sich danach einig: Die Ehe sei wohl mehr oder weniger arrangiert worden. Für die beiden Taten, die dem Angeklagten vorgeworfen wurden, gibt es aber keine konkreten Beweise. Nur ein Foto von der verletzten Lippe. Ansonsten stehe Aussage gegen Aussage. Für den Anwalt des 46-Jährigen hatte sich das "Mädel" wohl alles anders vorgestellt, als sie geheiratet habe und nach Deutschland gekommen sei. Da der Tatverdacht nicht ganz ausgeräumt worden sei, schlug die Amtsrichterin eine Einstellung vor. Einen Freispruch, der kurz im Raum stand, lehnte die Staatsanwältin ab.

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