Prozess in Erding:Foto im Chat führt zu Bewährungsstrafe

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Paragraf 184b des Strafgesetzbuches regelt Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte. Wer dagegen verstößt, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Schöffengericht sieht Aussagen des 39-jährigen Angeklagten als "Schutzbehauptung" an. Der Besitz eines Bildes mit kinderpornografischem Inhalt ist laut Rechtsprechung bereits gegeben, wenn man auf es jederzeit online zugreifen kann.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Ab wann ist man im Besitz von kinderpornografischen Schriften? Dass man Fotos nicht tatsächlich auf seinem Rechner oder Handy haben muss, musste jetzt ein 39-jähriger Angeklagter feststellen. Er hatte das Bild einer unbekleideten unter 14-Jährigen in einem Skype-Chat erhalten, aber offenbar nicht heruntergeladen. Beim Aufrufen des Chats konnte man das Foto aber jederzeit wieder abrufen und ansehen. Damit, so der Staatsanwalt und der Vorsitzende Richter des Schöffengerichts am Amtsgericht Erding, Björn Schindler, war es im "Herrschaftsbereich des Beschuldigten", wie es im Rechtssystem heißt. Der 39-Jährige wurde zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Dazu muss er 2000 Euro an das Sophienhospiz zahlen.

Der Angeklagte und sein Anwalt argumentierten, dass der 39-Jährige nicht im Besitz des Fotos gewesen sei, er könne sich überhaupt nicht an das Bild erinnern, das ein Mädchen mit entblößtem Unterkörper zeigte. Er habe nie solche Fotos angefordert, nie heruntergeladen, sondern stets den Cache-Speicher, den temporären Speicherbereich eines Rechners, nach dem Chatten gelöscht. Auf seinem Rechner fanden die Beamten bei der Hausdurchsuchung im Februar dann zwar Fotos, nicht aber das, wegen dem er angeklagt wurde. Sie entdeckten es erst, als auch die 395 Chatverläufe auf Skype durchgesehen wurden. In einem davon, am 23. Juni 2020, wurden die Kriminalbeamten fündig. Ein Klick, und das Foto war auf dem Bildschirm zu sehen, wie der ermittelnde Beamte sagte.

In dem Chat hatte der Angeklagte den Nicknamen "Einsamer45"

Der Angeklagte bestritt gar nicht, sich an dem besagten Tag wieder einmal auf Skype mit jemandem unterhalten beziehungsweise ein Rollenspiel mit sexuellem Inhalt gemacht zu haben. In vielen der Chats, so der Kriminalbeamte, habe eine der Personen die Rolle eines älteren Mannes übernommen, die andere - meistens ebenfalls ein Mann - die eines sehr jungen Mädchens. Da habe er aber eine Altersgrenze von zwölf Jahren gezogen, sagte der Angeklagte, was Richter und Staatsanwalt zur Bemerkung veranlasste, dass es sich auch bei Zwölfjährigen um Kinder handle. In dem Chat hatte der Angeklagte den Nicknamen "Einsamer45", sein Chatpartner "Frischling011".

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Zwei seiner Aussagen wurden dem Angeklagten letztlich zum Verhängnis: Zum einen, dass er das Bild schon deshalb nicht angesehen haben könne, weil er bei seinem Chat gegen 22.11 Uhr von seiner Frau überrascht worden sei, die früher als erwartet nach Hause gekommen sei. Daher habe er den Chat sehr schnell beendet. Falls dann noch ein Bild vom Gegenüber gekommen sei, habe er das bestimmt nicht mehr wahrgenommen. Womöglich sei es auch erst zeitverzögert bei ihm angekommen. Mehrmals beteuerte der 39-Jährige, dass er mit Kinderpornografie nichts zu tun haben wolle, nie aktiv Bilder angefordert habe, keine pädophilen Neigungen habe und nach dem Chat stets Verlauf und Cache auf seinem Laptop gelöscht habe. Alleine schon, damit seine Frau nichts von seinem Tun mitbekomme. Im Übrigen zeige die Uhrzeit, dass er den Chat ungeplant sehr früh beendet habe. Er gehe fast nie vor Mitternacht ins Bett.

Die Aussage mit der Uhrzeit widerlegte der ermittelnde Kripo-Beamte schnell

Das mit der Uhrzeit widerlegte der ermittelnde Kripo-Beamte schnell. Der Zeitstempel des Fotos möge 22.11 Uhr gewesen sein, aber das sei der des Absenders. Beim Angeklagten sei es an dem Tag bereits zwei Stunden später gewesen: 0.11 Uhr. Und das Schöffengericht unter Richter Schindler glaubte auch der Aussage nicht, dass der 39-Jährige von dem Foto keine Notiz genommen habe. Er hatte nämlich, nachdem er sich schon im Chat verabschiedet hatte, noch geschrieben: "Geiles Bild". Also, so Schindler, müsse er das Foto gesehen haben. Die Aussage des Angeklagten, er habe nur aus Höflichkeit, um den anderen nicht vor den Kopf zu stoßen, so geantwortet, wertete das Gericht als Schutzbehauptung.

Das Gericht schloss sich letztlich der Staatsanwaltschaft an, nicht dem Anwalt des Angeklagten, der einen Freispruch gefordert hatte, da man seinem Mandanten höchstens Fahrlässigkeit, aber keinen Vorsatz unterstellen könne. Schließlich lösche er den Cache immer. Aber auch die Betrachtung ohne Download, also die zeitweilige, automatische Speicherung im Cache-Speicher, wird in der Rechtsprechung als Besitz verstanden. Zugute wurde dem Angeklagten gehalten, dass er bisher ohne Vorstrafen ist, wohl keine pädophilen Neigungen habe und die Hausdurchsuchung und der Prozess bestimmt eine ausreichende Warnung seien, künftig straffrei zu leben.

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