Prozess in Erding:Zu viele Zweifel an der Schuld

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Das Amtsgericht Erding mit Garten ist an der Münchener Straße 27 beheimatet. (Foto: Stephan Görlich)

Ein wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagter Mann wird freigesprochen. Wer der eigentliche Aggressor bei einem Familienstreit war, bleibt unbeantwortet.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Streitigkeiten innerhalb von Familien sind für Richter nie Fälle, die gerne verhandelt werden. In der Regel werden sie sehr erbittert geführt. Diesmal war ein 26-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Er soll die Ex-Ehefrau des Bruders seiner Frau schwer verletzt haben. Der leugnete dies, es sei alles nur eine Verleumdung von der 32-Jährigen.

Zwölf Zeugen mussten letztlich aussagen, darunter neben der Geschädigten der Ex-Ehemann, dessen Schwester und dessen Mutter. Und alle hatten zuvor ziemlich identische, schriftliche Aussagen abgegeben. Und auch vor Gericht waren sich alle einig: die 32-Jährige ist die eigentliche Aggressorin. Ein Problem für Amtsrichter Thomas Bauer: es handelte sich um eine türkischstämmige Familie und selbst der Dolmetscher hatte manchmal Probleme, auseinander zu halten, wer mit einer Aussage gemeint war. Letztlich blieb ihm aber nur ein Urteil offen: Freispruch für den Angeklagten.

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Laut Anklageschrift soll der Angeklagte am 28. Juli 2022 gegen 21.30 Uhr die Frau vor einem Haus an der Franzensbader Straße in Erding mit der rechten Hand geschlagen, dann gegen das Knie getreten haben. Sie sei dann zu Boden gegangen und er habe sich auf ihre Knie gestützt und weiter auf sie eingeschlagen. Zudem sollte er sie mit dem Tod bedroht und beschimpft haben. Die 32-Jährige habe diverse Wunden, Abschürfungen und blaue Flecken erlitten.

Alles, was die 32-Jährige sage, sei gelogen, sagte der Angeklagte

Soweit die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte sagte indes vor Gericht, dass die 32-Jährige den Streit angefangen habe, indem sie seiner Schwiegermutter eine Dose an den Kopf geworfen habe. Der Streit sei eskaliert und auch seine Ehefrau habe eingegriffen. Er sei bei dem Streit der Frauen dann nur dazwischen gegangen. Beim Wegziehen seiner Frau sei die 32-Jährige, die sich an ihr festgehalten habe, nach hinten weggefallen - auf den Rücken. Alles, was die 32-Jährige sage, sei gelogen und eine Verleumdung.

Schon die ermittelnden Polizeibeamten hatten Mühe, herauszufinden, was passiert war und warum. Und welche Rolle dabei ein Topf mit heißer Suppe spielte. Zum einen, weil der Ex-Mann der 32-Jährigen mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinen beiden Kindern noch am Abend Türkei fahren wollte. Die Geschädigte war laut Polizei ziemlich aufgelöst war, der Angeklagte bestand auf eine schriftliche Aussage und zwei eigentlich vermeintlich unbeteiligte Zeugen vom Haus gegenüber wollten plötzlich ihre Aussage revidieren. Ihre zweite Aussage wertete der ermittelnde Beamte als "voll unglaubwürdig". Er sprach den Verdacht aus, dass die beiden vielleicht "bedrängt" worden seien.

Nur beim Auslöser des Konflikts waren sich alle einig

Auslöser des Konflikts, da waren sich alle einig: Der Ex-Mann wollte mit den Kindern in Urlaub fahren. Sie sagte aus, dass er die Kinder abgeholt habe, sie sich aber gar nicht richtig von ihnen verabschieden konnte, weil er so schnell weg war. Außerdem habe sie den Kindern noch etwas mitgeben wollen. Deshalb sei sie in die Franzensbader Straße gekommen. Er sagte aus, sie habe schon bei der Abholung einen Streit angefangen und sogar einen Schuh nach ihm geworfen. Seine Ex-Frau habe schon an der Franzensbader Straße gewartet.

Ein Suppentopf spiegelte im ganzen Prozess, der letztlich fast sechs Stunden dauerte, die Widersprüche der Zeugen wider. Besagter Topf, gefüllt mit heißer Suppe, sollte mit auf die Reise. Während des Prozesses wurde er mal abgestellt, mal weggeworfen, mal mit dem Fuß umgestoßen. Mal landete der Inhalt Richtung Auto, mal traf er es, mal wurde das Auto vom Topf beschädigt, mal nicht.

Amtsrichter Thomas Bauer musste am Schluss der Beweisaufnahme feststellen, dass es nicht möglich war, den wahren Ablauf des Geschehens nachzuverfolgen. Zu sehr differierten die Aussagen und auch die Verletzungen der 32-Jährigen stimmten zum Beispiel mit den ärztlichen Befunden nicht überein. Deshalb hieß es: In dubio pro reo. Im Zweifelsfall für den Angeklagten. Freispruch.

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