Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft:Zwischen zwei Staaten

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KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle mit den "Optionskindern" Onur Taskin (l.) und Patrick Varga. (Foto: Catherina Hess)

Es geht um mehr als nur ein Blatt Papier: 3400 Münchner mit zwei Pässen müssen in den nächsten Jahren wählen, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft oder die des Herkunftslandes ihrer Eltern behalten. Fast alle wollen den deutschen Pass - doch die Entscheidung fällt nicht leicht.

Von Katja Riedel

Onur Taskin musste sich entscheiden. Und das fiel ihm, rein emotional, nicht leicht. "Ich bin Deutschtürke, ich bin stolz darauf, zwei Sprachen zu beherrschen, und das macht auch meine Persönlichkeit aus", sagt er. Taskin ist deutscher Staatsbürger - der türkische Pass, den der 21-jährige BWL-Student nun abgegeben hat, war für ihn aber mehr als ein einfaches Stück Papier. "Ich habe mich gefühlt, als würde ich einen Teil meiner Persönlichkeit verlieren", sagt Taskin.

Onur Taskin wurde als Sohn türkischer Eltern in München geboren, im Jahr 1992 - und wie er müssen sich deutschlandweit spätestens in diesem Jahr 3300, bis 2018 gar 50.000 junge Deutsche mit zwei Pässen entscheiden: zwischen der deutschen und der Staatsbürgerschaft des elterlichen Herkunftslandes. Seit 1. Januar 2000 können hier geborene Kinder, deren Eltern nicht Deutsche sind, grundsätzlich zwei Pässe bekommen.

Das galt im Rahmen einer Übergangsregelung auch für 3400 Münchner Kinder ausländischer Eltern, die in den zehn Jahren zuvor geboren wurden. Doch sie alle bekommen die zwei Pässe nur befristet. Spätestens bis zu ihrem 23. Geburtstag müssen sie sich für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. "Optionskinder" nennt die Bürokratie sie deshalb. Wer keine Entscheidung trifft, verliert den deutschen Pass.

Deutscher Pass für fast alle

Das könnte 2013 erstmals passieren. Denn der erste Optionskinder-Jahrgang 1990 feiert in diesem Jahr seinen 23. Geburtstag. In München haben von 199 Betroffenen inzwischen 188 eine Entscheidung gefällt. Nur vier von ihnen haben sich bisher gegen den deutschen Pass entschieden. Diese Quote deckt sich in etwa mit den bundesweiten Zahlen.

112 Münchner haben ihre ausländische Staatsangehörigkeit bereits aufgegeben. 24 dürfen weiter zwei Pässe behalten, insgesamt 66 haben dies beantragt: Gute Chancen haben diejenigen, deren Land seine Bürger nicht einfach entlässt. Afghanistan, Iran und Syrien zum Beispiel. Kosovo-Albaner müssen ebenfalls lange darum kämpfen, dass Serbien sie entlässt, denn Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.

Auch, wer durch den Verzicht auf den Pass eine größere Erbschaft in dem anderen Staat verlieren würde, hat Chancen, weiter mehrstaatig bleiben zu dürfen. Kein Problem ist dies generell für diejenigen Münchner, die den Pass eines EU-Staates oder eines Landes wie der Schweiz haben, das Sondervereinbarungen mit Deutschland geschlossen hat.

Jeder Zweite fühlt sich ungerecht behandelt

Zu einem Problem könnte werden, dass viele sich erst spät mit dieser schwierigen Frage befassen. Zu wenige suchen eine professionelle Beratungsstelle auf, heißt es in einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Mancher unterschätzt den Prozess, sowohl emotional als auch bürokratisch. Hinzu komme eine altersspezifische Lässigkeit und eine Scheu vor Behörden. Darum schreibt das Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) allen Optionskindern vom 18. Geburtstag an jährlich einen Brief und mahnt, sich dringend beraten zu lassen. Von den mehr als 1200 Münchner Betroffenen, die sich spätestens bis 2017 entschieden haben müssen, hat gut die Hälfte ihr Votum abgegeben, fast ausschließlich für den deutschen Pass.

KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle hält "von dieser ganzen Regelung sehr wenig". Ähnlich kritisch äußerte sich in der Vergangenheit OB Christian Ude (SPD). Dass die Entscheidung, welche Heimat den Vorzug bekommen soll, viele Jugendliche belastet, zeigt auch die Studie des Ministeriums: Zwar wollten fast alle Deutsche bleiben, weil sie die Rechte als Deutscher und EU-Bürger behalten wollen und Deutschland als Lebensmittelpunkt empfinden. Die Hälfte der Befragten findet es aber ungerecht, sich entscheiden zu müssen, während andere mehrstaatig bleiben dürfen. Fast ein Drittel wäre so wie der Münchner Deutschtürke Onur Taskin froh gewesen, beide Pässe behalten zu dürfen.

© SZ vom 30.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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