Ein Besuch:Sendlinger Treffpunkt

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Das Gebrauchtwarenhaus Weißer Rabe muss ausziehen, der Mietvertrag wird nicht verlängert. An der Bavariastraße kaufen nicht nur Menschen ein, die wenig Geld haben

Von Birgit Lotze, Sendling

Dem Weißen Raben, das Gebrauchtwarenhaus an der Bavariastraße in Sendling, droht die Schließung. Der Mietvertrag läuft zur Jahresmitte aus, die Suche nach neuen Räumen ist seit einem halben Jahr ohne Erfolg - trotz Makler.

Seit 2005 kann man beim Weißen Raben auf fast 1000 Quadratmetern nach Raritäten stöbern. Früher war in dem Gebäude ein etwas angestaubter Möbelladen untergebracht. Nach dem Tod des Eigentümers übernahm eine Erbengemeinschaft die Häuser Bavariastraße 30 bis 36. Schon damals war lange nichts mehr investiert worden. Die Erbengemeinschaft entschied sich im vergangenen Jahr zum Verkauf. "Wir würden es herrichten", sagt die stellvertretende Betriebsleiterin des Gebrauchtwarenhauses, Stephanie Hong-Fichtinger. Doch der neue Eigentümer habe etwas anderes vor.

Im Planungsreferat liegt seit Ende November ein Antrag auf Vorbescheid für den Neubau eines Wohngebäudes mit Gewerbeflächen und Tiefgarage für die Nummer 36, derzeit steht dort ein Flachbau. Die Prüfung laufe noch, teilt die Behörde mit. Für den angrenzenden Hochbau gibt es anscheinend noch keine Pläne. Das wird ein Hotel, vermuten Kunden im Weißen Raben. Die Wiesn sei nur ein paar hundert Meter entfernt, der Standort eine Goldgrube.

Ausgerechnet der Weiße Rabe werde jetzt Opfer der Gentrifizierung, eine der wichtigsten sozialen Institutionen im Viertel, klagt eine geschmackvoll gekleidete blonde Untersendlingerin. Sie hat am Vortag ihren Kleiderschrank bereits für das Frühjahr umgerüstet und gibt nun Jacken, Winterpullover und Faschingsartikel ab, die sie nicht mehr tragen will. Eine Spende. "Ich liebe diesen Laden", sagt sie rundweg. Er sei etwas für Jäger und Sammler wie sie selbst. Früher habe sie meist fast alleine in dem Gebrauchtwarenhaus gestöbert, es war ein Geheimtipp. Jetzt sei der Weiße Rabe sehr frequentiert und eigentlich noch besser. Täglich verändere sich das Sortiment, ständig gebe es Neues.

An der Kasse hat sich schon kurz nach Öffnung um zehn Uhr eine kleine Schlange gebildet. Ein Mann bezahlt zwei Paar Schuhe, eines für sich, eines für seine Frau. Ein anderer nimmt eine Lampe, die kein Industrie-Design ist, aber so aussieht. Ein Mann, der vorübergehend als Bauarbeiter in München engagiert ist, kauft ein Glas, einen Zuckerspender und eine Zitronenpresse. Kosten: unter zehn Euro. Eine ältere Laimerin hat ihr Fahrrad vor der Tür geparkt, sie hat im Schaufenster einen Sessel mit elektronischer Aufstehhilfe gesehen und probiert diese jetzt aus. 45 Euro, alles gut in Schuss. Eigentlich kaufe sie nur sporadisch beim Weißen Raben ein, mal ein Glas, mal Lesestoff, Spielzeug für die Enkel, erzählt sie. Sie erlebe das Gebrauchtwarenhaus aber vor allem als eine Begegnungsstätte. "Man ist unter Leuten und trotzdem für sich."

Im Gebrauchtwarenhaus "Der Weiße Rabe" der Caritas findet man gut sortierte und top erhaltene Ware ohne Staub. (Foto: Robert Haas)

Früher kamen in der Regel Menschen als Kunden, die genau darauf achten müssen, wofür sie ihr Geld ausgeben. In den vergangenen Jahren sind auch viele Familien dazugekommen, die Besucherstruktur wird zunehmend jünger. Studentin Leonie Brehorst gibt gerade ihren Rucksack an der Kasse ab, er wird zu schwer beim Einkaufen, es gibt ja keinen Aufzug. Sie muss in die Bekleidungsetage, dritter Stock, wegen T-Shirts, die sie besticken lassen will. Neue Shirts in der Preiskategorie, die sie sich leisten könne, seien aus Kostengründen meist von Kindern produziert, erklärt sie. Und Kinderarbeit wolle sie keinesfalls unterstützen.

Vielen Kunden gefällt der Nachhaltigkeitseffekt des Gebrauchtwarenhauses. Auch wenn man eigentlich mehr Geld ausgeben könnte, man habe einfach ein besseres Gefühl, wenn man es im Weißen Raben ausgebe, sagt eine junge Mutter, die in der Nähe wohnt und zum Stöbern vorbeikommt. Auch finde sie immer wieder außergewöhnliche Sachen, altes Geschirr, hauchdünne Gläser, Kostbarkeiten, die es in Kaufhäusern so nicht gebe. "Für mich ist der Weiße Rabe ein Anlaufpunkt."

Bernadette Obergrußberger, Wirtin des Cafés im Karl-Valentin-Musäum, hat vieles für ihr Turmstüberl im Weißen Raben entdeckt - fast das gesamte Geschirr, aber auch Sammelsurien anderer Dinge. Sie kaufe auch gerne ihre Kleidung in dem Gebrauchtwarenhaus, erzählt sie. Sie mag Einzelstücke, Ausgefallenes und Sachen mit Geschichte. Was im Weißen Raben verkauft werde, stamme häufig aus Wohnungsauflösungen. Ressourcen würden nicht verschwendet, sondern aufbereitet und wiederbenutzt. Ein nachhaltiger Kreis der permanenten Wiederverwertung. "Und dann finde ich es als Arbeitsmarktprojekt absolut unterstützenswert."

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(Foto: Robert Haas)

Im Sendlinger Gebrauchtwarenhaus Weißer Rabe kann jeder alles finden, was er sucht -...

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(Foto: Robert Haas)

...ob Sammler,...

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...Jäger...

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...oder Wiederverwerter.

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(Foto: Robert Haas)

Und Langzeitarbeitslosen eröffnet...

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(Foto: Robert Haas)

...eine Anstellung dort oft den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben.

Die Weißer Rabe Gruppe, eine Tochter der Caritas des Erzbistums München und Freising, zählt zu den größten Inklusions- und Beschäftigungsunternehmen in Bayern. Ihr Zweck ist seit 30 Jahren, Menschen mit Unterstützungsbedarf zu qualifizieren und zu betreuen - mit dem Ziel, sie gesellschaftlich wieder zu integrieren und ihnen neue berufliche Chancen zu eröffnen. In München und Rosenheim sind derzeit rund 400 Menschen in elf Betrieben und Projekten beschäftigt, 40 davon in Sendling. Die beiden Münchner Gebrauchtwarenhäuser - das zweite auf 1100 Quadratmetern an der Landsberger Straße im Westend ist gepflegter und etwas größer als das in Sendling - sind sozusagen das Herz des Weißen Raben. In den vergangenen 20 Jahren sind weitere Betriebe entstanden, die auch zuarbeiten: die Schneiderei, die Werkstatt, der Recyclingbetrieb, der Hausdienst. Das Toys-Projekt wird ebenfalls über die Warenhäuser organisiert: Gespendetes Spielzeug wird in der Werkstatt aufbereitet und danach unentgeltlich an Langzeitarbeitslose abgegeben.

Die meisten Mitarbeiter kommen über das Jobcenter zum Weißen Raben. Katrin Börnert verstärkt seit November das Sechs-Leute-Team im dritten Stock, der Kleidungsabteilung. Sie sortiert die Spenden, prüft sie auf Flecken, sieht sich die Reißverschlüsse an. Was einwandfrei ist, hängt sie im Verkaufsraum auf, drapiert auch mal eine Kappe für den Fasching, dekoriert. Sie mache etwas Sinnvolles, habe nette Kollegen, sie werde gebraucht, ihre Meinung sei gefragt, erzählt sie. Viele ihrer Kollegen sind ebenso wie sie schon lange arbeitslos gewesen, sie jetzt fast zehn Jahre. Jetzt sei ihre Älteste 18 geworden, sie sei glücklich, wieder durchstarten zu können.

Eine ganze Reihe derer, die an der Bavariastraße anfingen, wechselten danach in den ersten Arbeitsmarkt, sagt ihre Chefin Hong-Fichtinger. Ob Jäger oder Sammler, Begegnungssuchender oder Wiederverwerter, Arbeitswilliger oder Projekt-Mitarbeiter - für viele Menschen ist der Weiße Rabe so etwas wie eine Erfolgsgeschichte. Am liebsten würde das Raben-Team wieder Räume im Viertel finden, sagt Hong-Fichtinger. Ganz viele Sendlinger kämen häufig in den Weißen Raben, viele täglich. "Für sie wäre es schade, wenn wir in einen anderen Stadtteil ziehen."

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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