SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 2:Familienangelegenheit

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"Der Ökonom": ein weiteres Werk. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ebersbergs Stadtarchivarin Antje Berberich bewahrt die Erinnerung an das Ehepaar Dressler. Besonders Otto, der Verfremder und Provokateur ist auch ein Jahrzehnt nach seinem Tod noch überregional bekannt. Er selbst hat dagegen seine Frau Hildegard stets als "die wahre Künstlerin" gerühmt

Von Alexandra Leuthner

Das bisschen Licht, das diesen Ort erhellt, fällt herab durch Luken im Dach, die Hitze besteht aus Staub und Geschichte. Hoch hinauf ragen die Holzbalken, kreuz und quer laufen Verstrebungen, Absicherungen, waagrechte Stützverbindungen, die wie Hühnerleitern aussehen. Ab und zu ein Schlagen von Flügeln, vermutlich nisten Tauben dort oben. Von draußen hört man, etwas gedämpft zwar, aber doch deutlich vernehmbar, den ständigen Lärm der Autos, die sich um die Rathausmauern durch die Ebersberger Innenstadt quälen. Es wäre gut, nachts hier zu sein, ohne diese aufdringliche, alltägliche Geschäftigkeit, aber mit den Farben des verschwundenen Lebens. Den Farben, die Hildegard Dressler gesehen und gemalt hat; in ihrer Küche, an ihrem Bücherschrank, in ihrem Moosacher Haus.

Zeit ihres Lebens stand sie im Schatten ihres berühmten Mannes Otto. Otto, der Provokateur, Otto, der Verstörer, Otto der Verfremder. Mit seinen Aktionen und Werken, die er selbst lieber als Handwerk denn als Kunst bezeichnet hat, war Otto Dressler seit den ausgehenden 60er Jahren präsent in der öffentlichen Wahrnehmung. Seine Frau aber, "die wahre Künstlerin", wie der 2006 Verstorbene über sie gesagt hatte, hatte nie viel Aufhebens um das gemacht, was sie selbst, die Kunsthistorikerin und Kunstlehrerin gewesen war, im gemeinsamen Haus in der kleinen Gemeinde Moosach schuf. Ein Jugendbild zeigt sie als hübsches und nachdenkliches, in sich gekehrtes Mädchen. Spätere Bilder, aus der Zeit, als sie das Haus am Rande der ländlichen Stille mit ihrem von seiner Idee einer besseren Welt beseelten, wenn nicht besessenen Ehemann teilte, zeigen immer noch dieses Mädchen, jetzt versteckt hinter einer randlosen Brille, die ergrauten kurzen Haare unprätentiös zu einem Seitenscheitel gekämmt.

Hildegard Dresslers Werke im Rathausarchiv. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So mag der versteckte Ort, das Archiv unter dem Dach des Rathauses mit all den Geheimnissen, die dort verwahrt werden, genau der richtige Ort sein, um Hildegard Dresslers Andenken zu bewahren. Zwischen verzierten Grabkreuzen, einem uralten Velociped und in Kartons und Mappen verpackten Werken anderer Künstler, warten die unglaublichen Farben ihrer Innenansichten, oder die seltsamen Schwarzweißkonstruktionen von Gesichtern - ja, worauf? Sie habe viele Porträts gemalt, erzählt Antje Berberich, Archivarin der Stadt Ebersberg, viele Bilder von Verwandten, aber auch von ihrem Mann. Ausdrucksstarke Bilder, die wie die Zeichnung "Ökonom" durch ihre Art der Verfremdung nicht das Äußere, sondern das wahre Gesicht des Charakters zu zeigen scheint, wulstige Lippen, ein berechnender Blick. Doch das sieht man nur, wenn man einen Schritt zurück geht, vielleicht wollte sie das so, Abstand schaffen.

Dabei gewährt Hildegard Dressler, Hille, wie Berberich sie liebevoll nennt, mit anderen Bildern, bunten Malereien aus ihrem Leben, so unverstellte, intime Einblicke in ihre Welt, dass es fast schmerzt. Das Kochbesteck, das in ihrer Küche über dem frischen Salat hängt, ihr Bücherregal, davor ein Stuhl, über den gerade eben jemand eine Tasche geworfen hat; wie zufällig ragt ein nackter Fuß hinein, in das Küchenbild schiebt sich eine Hand mit einem Salatmesser. All das so unglaublich präsent, als würde sie im nächsten Moment mit der Küchenschürze mitten aus dem Bild treten wollen. Die Künstlerin, die die letzten Jahre ihres Lebens in einem Pflegeheim in Norddeutschland in der Nähe ihrer Familie verbracht hat, ist vor zwei Jahren gestorben. Nach dem Tod ihres Mannes hätten sich ihre Bilder verändert, erzählt die Archivarin, holt ein spätes Porträt Otto Dresslers heraus. "Nur noch Striche, schwarz, fahrig", sagt sie. Hildegards Familie habe dieses Bild nicht haben wollen, es nicht aushalten können, es zu sehen. Jetzt steht es im Archiv.

Antje Berberich bewahrt die Erinnerung an das Ehepaar Dressler, sie war eng mit beiden befreundet und ist von der jüngeren Schwester der Malerin nach deren Tod damit beauftragt worden, das Gros ihrer Sachen zu hüten. Und so wird sie die rund 60 Bilder, Zeichnungen und Skizzen, der Künstlerin, die hier gut verpackt zwischen Holzbalken lehnen, demnächst in ein neu eingerichtetes Archiv im Keller des Familienzentrum bringen, wo die Bilder dann endlich auch wieder mit einem Teil der nachgelassenen Werke Otto Dresslers zusammen kommen. Eine Art posthumer Familienzusammenführung gewissermaßen.

Wer Otto Dressler und das, was er erschaffen hat, kennt, kann sich vorstellen, dass es nicht so leicht ist, seine Werke zu lagern. In Reih und Glied bringen lassen sich vielleicht gerade mal seine berühmten Objektkästen, gefüllt mit Dingen wie Knochenstücken, Hakenkreuzen, angeblich verstrahlten Maiskolben und stilisiertem Blut - was für eine Ironie. War doch gerade das Soldatische, die militärische Ordnung, der Krieg "als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" der größte Wahnsinn in seinen Augen. Diese "inhumane Idiotie", wie er sie nannte, war es, die er sein Leben lang bekämpfte. "Krieg ist eine Geißel der Menschheit", schrieb der 1930 im Rheinland geborene Künstler, der als Steinmetz und Bildhauer begann und in den 1960ern anfing, mit bewusster Verfremdung zu provozieren. Der Eindruck der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Folgen hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen. Hinter der deutschen Wohlstandsdemokratie sah er die Saat von Gewalt und Absolutismus und, indem er ihre Symbole benutzte und sie in einen ironisierenden Zusammenhang setzte, hielt er seinen Mitmenschen den Spiegel vor. Den sie allzu oft nicht sehen wollten, er wurde angegriffen, auf eine seiner Ausstellungen Brandanschläge verübt. Freunde machte er sich nicht überall, auch nicht in seiner Heimatgemeinde Moosach, wo er 44 Jahre lang bis zu seinem Tod gelebt hatte, war er "nicht unbedingt immer verstanden", wie Willi Mirus vom Moosacher Kulturkreis einmal über ihn sagte. Und so tat sich die Gemeinde auch schwer damit, einen Straße nach ihm zu benennen. Letztendlich wurde der Wunsch der Witwe erst 2013 erfüllt, als sie schon nicht mehr in Moosach lebte.

Ein Teil des Nachlasses von Otto Dresslers. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dressler fertigte Skulpturen aus Waffen, Installationen, in denen er Hakenkreuzflaggen verwendete oder Eiserne Kreuze, türmte Stahlhelme zu Hügeln auf, die er mit Stacheldraht versperrte. Schwarz und rot dominierte in seinem Schaffen, immer wieder die Farben des Hakenkreuzes, das er auf seine Art geißelte. Er protestierte gegen den amerikanischen Patriotismus der aus Nine-Eleven erwuchs, indem er einen "US-Phönix" erschuf, dessen symbolische Türme des World Trade Centers in schwarzen Grabstelen dastanden, unter einem Körper aus Stars and Stripes. Er protestierte aber auch gegen Umweltzerstörung, atomare Verseuchung, immer wieder gegen Ausländerfeindlichkeit. Als Sinnbild für das immerwehrende Streben der Menschen nach dem Höher, Schneller, Weiter und die stete Gefahr, dabei abzustürzen, schuf er einen riesigen Ikarus - große, zierlich wirkende Metallstreben, darin festgebunden eine Puppe. Die Figur war eine Weile lang Teil des Ebersberger Skulpturenpfads, und damit bis auf weiteres das einzige von Otto Dresslers Objekten, das dauerhaft für die Öffentlichkeit sichtbar war, bis ein Sturm Ikarus' Schicksal erfüllte und ihn abstürzen ließ.

Gefallen, wie er ist, lässt er sich doch nicht zähmen und gehört zu jenen Werken Dresslers, die noch in einem ehemaligen Stallgebäude in Kaps lagern und sich dagegen stemmen, in eine ordentliche Systematik eingegliedert zu werden. Neben Hunderten von Holzpfählen, die der Bauhof wohl für die Wegkennzeichnung im Winter braucht, sind Umzugskisten hoch gestapelt, alles, was ging, steckt darinnen: Kataloge, Ausstellungseinladungen, Fotos, Publikation aus vier Jahrzehnten, darüber, dazwischen Schaumstoff-Plastiken, in denen Dressler respektlos Gesichter großer Künstler zu verewigen pflegte. Beethoven hängt hinten an der Wand.

Die Objektkästen waren Teil einer Gedenkausstellung des Ebersberger Kunstvereins 2010. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Gipsabdruck von Otto Dresslers buntem Malerkittel liegt auf dem Kistenberg, das stoffliche Original ist darüber gebreitet. "Als wir das Atelier ausgeräumt hatten, habe ich ihn gerade noch hinter der Tür hängen sehen und ihn mitgenommen", erzählt Berberich und hält einen Augenblick inne. Ihr Blick fällt auf das Modell einer metallenen Hand, die in einem gemeinsamen Rahmen mit einem umgedrehten Gewehrkolben aus dem Kistenberg in die Höhe ragt,beides tiefschwarz, ein brutaler Anblick. "Und dabei war er so ein weicher Mensch, fast zart", sagt sie. "Wenn man die beiden, Hildegard und Otto, in Moosach besuchte, konnte man stundenlang sitzen, im Obergeschoß, Kaffee trinken und diskutieren, über Kunst und die Menschen." Bei so einer Gelegenheit habe Otto Dressler dann auch seine Frau dazu gebracht, ihr, Berberich, eines ihrer Werke zu zeigen. "Nach eineinhalb Stunden hat sie schließlich nachgegeben." Zwei Jahre nachdem Otto Dressler gestorben war, erklärte sich seine Frau zu einer Ausstellung ihre eigenen Werke bereit, Noch im Jahr seines Todes hatte sie gemeinsam mit ihm in einer Berliner Galerie mit Bildern von kopflosen Frauen auf ihre Weise Kritik an der Gesellschaft geübt, gewissermaßen als ästhetisches Gegenbild aber auch als Ergänzung zu den schmerzenden und schockierenden Objektkästen ihres Mannes.

Während Hildegard Dresslers Werke entweder in Ebersberg gelagert sind, oder aber im Privatbesitz ihrer Familie in Norddeutschland, ist sein Nachlass über die Republik verteilt. Einige Exponate sind im Besitz der Gemeinde Moosach und des Moosacher Kulturkreises. Den schriftlichen Nachlass, Briefe und Aufzeichnungen, verwahrt das Deutsche Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, ein Teil des künstlerischen Nachlasses ist von der Stiftung Kunstfonds in Bonn im Archiv für Künstlernachlässe in Brauweiler eingelagert. Der Kunstverein Moosach hatte ihm 2010 eine Retrospektive gewidmet - weit über 200 Ausstellungen hatte Dressler selbst im Lauf seines Lebens bestritten. Im vergangenen Jahr hatte Antje Berberich eine Doppelausstellung der Dressler-Werke organisiert, er im Landratsamt, sie im Rathaus, seither lagern sie wieder im Verborgenen.

Zwei Leben für die Kunst - Otto und Hildegard Dressler vor einem Bild der Künstlerin, aufgenommen im Jahr 2002. (Foto: Christian Endt)

Das soll sich nun zumindest für einen kleinen Teil von Otto Dresslers Werke ändern. Berberich will fünf Steinskulpturen, die verfremdete Frauenköpfe darstellen, auf den Grasstufen in der Altstadtpassage aufstellen lassen, versehen mit einer Tafel, die auf den Künstler hinweist, der so lange Teil des Landkreises war. Die Skulpturen zierten einst den Balkon des Hauses in Moosach. Heute steht es wie ein x-beliebiges Wohnhaus neben dem gerade im Umbau befindlichen Meta-Theater, aber man kann sich gut vorstellen, wie Hildegard Dressler einem Pinsel an ihrem Fenster stand und in die Weite der Felder hinaus geschaut hat. Ihre Werke bleiben noch für eine Weile auf dem Speicher, bevor sie ins neue Archiv umziehen. "Die Regale sind schon bestellt", erzählt die Archivarin. Es soll alles professioneller werden, strukturierter die Bewahrung der Vergangenheit. Wer weiß, vielleicht hätte sich die Malerin im Archiv unter dem Dach wohler gefühlt.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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