Umstrittenes Projekt:Die Grafinger Umgehung wurde vor allem für den Flughafen gebaut

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Als Schleichweg wurde die Verbindung schon lange genutzt, jetzt ist sie auch offiziell für den Durchgangsverkehr geöffnet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die neue Trasse kam nie nur aus dem Grund, Grafing zu entlasten. Viel wichtiger war offenbar von Anfang an etwas ganz anderes.

Analyse von Thorsten Rienth, Grafing

Ein Leuchtturmprojekt der regionalen Infrastruktur sei sie, rief Innenstaatssekretär Gerhard Eck in die Mikrofone. Feierlich spielte die Stadtkapelle die Bayernhymne. Dann, nach Jahrzehnten der Debatte und des Streits, war die Grafinger Ostumfahrung am 20. September eröffnet. Fast auf den Tag drei Monate später verkünden Grafing und Ebersberg: Der gesperrte und nur für Anlieger freie Kapser Berg, also die direkte Verbindung zwischen den beiden Städten, werde wieder für alle geöffnet.

Anwohner in Ebersberg und Grafing fühlen sich verschaukelt, Umfahrungsgegner bestätigt: Die neue Trasse wurde nie nur aus dem Grund gebaut, Grafing vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Viel wichtiger war offenbar eine schnelle Süd-Nord-Verbindung zwischen Rosenheim und Flughafen.

Die Aufregung bei den Gegnern der Umfahrung nimmt man im Grafinger Rathaus und dem Landratsamt eher mit Verwunderung zur Kenntnis. "Ehrlich gesagt: Ich bin immer davon ausgegangen, dass der Kapser Berg irgendwann wieder aufgemacht wird", sagt Angelika Obermayr (Grüne). Für Unehrlichkeiten hat die Bürgermeisterin wenig Gründe. Die Umfahrungskritikerin wurde im Jahr 2014 gewählt. Da war die Baugenehmigung für die Ostumfahrung schon längst unterzeichnet.

Evelyn Schwaiger, Pressesprecherin des Landratsamts, erklärt: "Es war immer klar, dass die Untere Verkehrsbehörde die Anweisung geben würde, den Kapser Berg wieder zu öffnen." Nämlich dann, wenn die Grafinger Ostumfahrung für den Verkehr freigegeben sei. Dies hängt mit der Wieshamer Auffahrt auf die Ebersberger Südumfahrung zusammen, erläutert sie. Deren Abstand zur Auffahrt der Ostumfahrung sei für eine Bundesstraße zu gering. Weil die Ostumfahrung als Staatsstraße Vorrang habe, musste die kleine Wieshamer Auffahrt geschlossen werden.

Ein Widerspruch in sich

Bei der bislang im Süden Ebersbergs und im Norden Grafings geltenden Anliegerregelung hatte dies zu einer ungewollten Situation geführt: Vor oder hinter dem Kapser Berg begann ein Anliegerbereich, ohne dass Autofahrer vorher die Möglichkeit zur Abfahrt hätten. Deshalb griff die Untere Verkehrsbehörde ein.

Die Schlussfolgerung mag unstrittig sein. Aber sie steht im klaren Gegensatz zu dem, was - sowohl vor wie nach dem Bürgerentscheid pro Ostumfahrung - von offiziellen Seiten des Grafinger Stadtrats, des Kurzak-Verkehrsgutachtens und der Regierung von Oberbayern kommuniziert wurde.

Im Protokoll der Grafinger Stadtratssitzung vom 16. Dezember 2004, also kurz vor dem ersten formalen Beschluss des Gremiums für die Ostumfahrung, ist zum Bespiel zu lesen: "Es wurde nochmals unmissverständlich klargestellt, dass eine Beibehaltung der St2080 alt Wasserburger Straße (Anm. d. Red.: der Kapser Berg) neben der Ostumfahrung nicht möglich ist." Der Entlastungseffekt für die Wasserburger Straße wäre dann "sehr gering". "Damit hätte die Ostumfahrung keine Berechtigung mehr."

Die Annahme eines geschlossenen Kapser Bergs war auch im Jahr 2009, also ein Jahr nach dem Bürgerentscheid pro Ostumfahrung, noch aktuell. Im damaligen Verkehrsgutachten von Professor Harald Kurzak heißt es: Mit der Verkehrsfreigabe der Grafinger Ostumfahrung übernehme künftig die "St2080neu" den Grafinger Verkehr in Richtung Norden und Osten über die Rotter Straße.

Die Grafinger Wasserburger Straße werde damit frei von Durchgangsverkehr sein, "da die Verbindung zur Rosenheimer Straße in Ebersberg vollständig entfällt". Das führe in der Wasserburger Straße zu einer Verkehrsentlastung von 80 Prozent - ein für Umfahrungen geradezu sagenhafter Wert. Auch im auf den 22. Dezember 2010 datierten Planfeststellungsbeschluss führt die Regierung von Oberbayern diese 80 Prozent erneut als einen Grund für die Trasse an.

Eine Peinlichkeit, neun Jahre nach dem Bürgerentscheid

Die Quellen zeichnen ein Bild, das so gar nicht passen mag. Jedenfalls nicht zu einem so fein choreografierten Prozess, an dessen Ende eine neue Straße steht: Unterschiedliche Behörden und Beteiligte implizieren in einem Plan Grundannahmen, die einander ausschließen. Einmal ist die direkte Verbindung zwischen zwei Nachbarstädten offen. Ein andermal geschlossen. Wie passt das zusammen?

Die Frage danach mag neun Jahre nach dem Bürgerentscheid kleinlich scheinen. Aber sie wirft eben auch eine Rückblende darauf, wie Entscheidungen für Umfahrungen produziert - oder schärfer: passend gemacht - werden. Für die Kritiker der Umfahrung ist die Diskrepanz in den Stellungnahmen jedenfalls zentral.

Olaf Rautenberg, Bund-Naturschutz-Kreisvorsitzender und einer der damaligen Wortführer der Umfahrungsgegner, verweist etwa auf denkbare Auswirkungen bei den Bürgerentscheiden. Was, wenn die Öffnung des Kapser Bergs bereits zum Bürgerentscheid festgestanden hätte? "Ich kann mir vorstellen, dass das ohnehin knappe Ergebnis anders ausgesehen hätte", sagt Rautenberg. Schließlich wäre die Motivation des Grafinger Nordens, für die Trasse zu votieren, bei geöffnetem Kapser Berg deutlich niedriger gewesen.

"Die enorme Verkehrsentlastung von 80 Prozent war dort oben ein echtes Argument für die Ostumfahrung." Der "Wahlbezirk 2", in dem sich neben der Wasserburger Straße auch noch der Goethering und die Heilmannsiedlung befinden, erreicht von allen Grafinger Urnenwahlbezirken und in allen drei Teil-Entscheiden die höchsten Zustimmungswerte für die neue Straße. Diese Tendenz scheint Rautenbergs These zumindest nicht zu widersprechen. Aber sie bleibt, wie immer nach Wahlen, eine hypothetische Frage.

Rautenbergs Credo: "Wenn den Beteiligten schon vorher klar gewesen sein sollte, dass der Kapser Berg nach dem Bau der Ostumfahrung wieder aufgemacht wird, dann empfinde ich das als gemeinschaftlich begangenen Betrug": Am Steuerzahler, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Straße anders ausgefallen wäre. Am Wähler, weil ihm falsche Voraussetzungen suggeriert worden seien. An den Anliegern, weil deren Hoffnung auf eine Verkehrsentlastung nicht eintreten werde. Nachweisen lässt sich dies, Archiv- und Wissensstand heute, freilich kaum.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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