Ukrainer im Landkreis:Sechs Menschen, ein Zimmer

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Die Familie Ishonin ist vor dem Krieg aus Odessa geflüchtet. In Ebersberg fühlen sich alle wohl - nur eine Wohnung suchen sie jetzt ganz dringend. (Foto: Christian Endt)

Die Ishonins aus der Ukraine haben sich ein neues Leben in Ebersberg aufgebaut. Weil der Mietvertrag auslief, müssen sie nun seit kurzem im alten Sparkassengebäude wohnen. Händeringend suchen sie nach einer neuen Bleibe.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Schon bei der Vorstellungsrunde müssen alle Anwesenden lachen. "Großer Sascha", sagt Vater Alexander und deutet auf sich, "und kleiner Sascha." Er zeigt auf seinen siebenjährigen Sohn, der neben Zwillingsbruder Vlad steht und kichert. Zur Familie Ishonin gehört außerdem noch die zwölfjährige Lisa und Mutter Inna Ivanenko, 37. Auch wenn die Familie gerade eine schwierige Zeit durchmacht, spürt man sofort die Liebe und Herzlichkeit, die diese fünf Menschen verbindet. Eigentlich gehört noch eine Oma dazu, doch die ist zuhause geblieben - oder besser gesagt: in der Unterkunft, in der die sechs derzeit untergebracht sind, im ehemaligen Sparkassengebäude Ebersberg nämlich.

Aus den Fugen geriet ihre Welt vor zwei Jahren, als Russland die Ukraine angriff. Vollkommen unerwartet sei der Kriegsbeginn für sie gewesen, beschreibt es Vater Alexander. Er ist ein großer Mann, der mit wenigen ruhigen Gesten das unterstreicht, was er erzählt. Aber eigentlich erzählt die ganze Familie, die Mutter murmelt manchmal auf Russisch ein paar Wörter vor sich hin, wenn sie nach der passenden Übersetzung sucht. Tochter Lisa springt immer mal wieder ein und spricht in klaren, wohlüberlegten Sätzen. Eine andere Übersetzungshilfe wird an diesem Vormittag nicht gebraucht.

Vor dem russischen Angriff waren die Strandpromenaden Odessas am Schwarzen Meer ein beliebter Touristenspot - vor allem für russische Gäste. (Foto: ---/dpa)

Von einem schönen Leben in der Ukraine berichten die Ishonins. In Odessa, einer schönen und großen Stadt direkt am Schwarzen Meer haben sie gelebt. "Mein ganzes Leben", sagt Mutter Inna. Viele Touristen seien vor dem Krieg dort hingekommen, um sich zu erholen und aufzutanken, vor allem russische. Die Ishonins hatten eine Wohnung in einem "Schlafviertel", wie man im Russischen sagt. Lisa ging zur Schule und liebte Bücher, Kung Fu und Zeichnen. Der Vater Alexander war Beamter bei der Stadtverwaltung von Odessa und zuständig für Immobilien, Ökologie und Werbung. Mutter Inna war Bankkauffrau, aber mit der Geburt der Zwillinge hatte sie beschlossen, erst einmal zuhause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern.

Den Angriff aus Russland bekamen sie am eigenen Leib zu spüren. Neben ihrem Wohnhaus, so der Vater, sei die ukrainische Luftwaffe stationiert gewesen. Plötzlich seien unzählige Raketen in den Himmel geschossen worden, mit einer solchen Wucht, dass das ganze Haus gezittert habe. Eine Woche überlegten die Ishonins, was sie machen sollten. Dann packten sie ihre zwei Omas ins Auto, etwas zu essen und ein paar persönliche Sachen, und fuhren los. "Leute sind wichtig", erklärt Vater Alexander, "Gepäck nicht so wichtig." Über Rumänien und Ungarn erreichten sie schließlich Österreich, wo sie ein paar Tage Pause machen mussten, weil beide Omas krank wurden. Nach zwei Wochen Fahrt dann, mit vielen Pausen dazwischen, erreichten sie schließlich Baldham.

Odessa wird seit Kriegsbeginn sowohl aus dem Wasser als auch aus der Luft angegriffen. Bei einer Bombardierung im Juli 2023 wurden viele historische Gebäude getroffen, wie etwa hier in der berühmten Verklärungskathedrale im Norden der Stadt. (Foto: Jae C. Hong/dpa)

Warum Deutschland? Mutter Inna muss bei dieser Frage lächeln. "Mein Vater ist in Potsdam geboren", erzählt sie. "Mein Opa war Offizier in Deutschland." Immer wieder habe ihr Vater von seiner Kindheit in Deutschland erzählt, wo er die ersten sieben Lebensjahre verbrachte. Er konnte deutsche Gedichte, ging dort in den Kindergarten und liebte deutsches Marzipan. "Wir wollten immer Deutschland besuchen", sagt sie. Ihr Vater ist mittlerweile verstorben, doch die Sehnsucht nach dem Land blieb.

In Baldham wird die Familie Ishonin von einer deutschen Familie aufgenommen, die schnell eine feste Bleibe für die sieben Ukrainer findet, eine Wohnung in Ebersberg. Das Landratsamt ist zwischengeschaltet und ermöglicht den Ishonins, in der Dreizimmerwohnung unterzukommen. "Ebersberg mögen wir sehr", sagt Mutter Inna. "Eine schöne Stadt, eine grüne Stadt", findet Vater Alexander. "Wir haben den Wald, das ist sehr wichtig. Wir spazieren viel." Seine Mutter, Oma Nummer Zwei, ist mittlerweile wieder nach Odessa zurückgekehrt. "Sie hat gesagt: Ich will in Odessa leben und sterben", sagt er.

Die übrigen Ishonins haben sich schnell an die neue Umgebung gewöhnt. Lisa besucht die Realschule, derzeit ist sie noch in einer Brückenklasse für ukrainische Kinder. Im September kommt sie in eine Regelklasse. "Das ist sehr aufregend", sagt sie, "viele neue Leute und neue Freunde zu finden." Deutsch ist ihr Lieblingsfach, sie möchte auch noch Französisch lernen und außerdem Tennis im Verein spielen. Die Zwillinge Vlad und Sascha gehen in die erste Klasse in der Grundschule. "Es macht ihnen großen Spaß", erzählt Mutter Inna, "sie haben schon viele Freunde." Außerdem spielen die beiden Siebenjährigen begeistert Fußball beim TSV Ebersberg. Die Eltern haben vor kurzem ihre Sprachprüfung abgelegt und warten noch auf das B2-Zertifikat, dann will sich Alexander eine Arbeit suchen. Die Familie Ishonin scheint angekommen in Ebersberg.

Vor wenigen Wochen dann erreicht sie mit der Post eine Schreckensnachricht: Sie sollen ausziehen. Der Besitzer der Wohnung hat den Mietvertrag nicht verlängert. Die Ishonins suchen auf allen Wegen, kontaktieren Makler, fragen im Freundeskreis, ob jemand etwas weiß. Es hilft alles nichts, Ende März müssen sie ausziehen und wohnen seitdem zu sechst in einem 34 Quadratmeter großen Zimmer im ehemaligen Sparkassengebäude.

"Wir möchten hier bleiben"

Nun suchen die Ishonins verzweifelt nach einer neuen Wohnung. "Wir möchten hier bleiben", sagt Inna Ivanenko. Am liebsten in Ebersberg, aber weil dort der Wohnungsmarkt so schwierig ist, haben sie ihre Suche bereits ausgeweitet auf den ganzen Raum um München herum. Das Wichtigste ist ihnen, dass die Kinder weiterhin zur Schule gehen können. Und dass sie zusammen bleiben - Inna, Lisa, die Oma, Vlad, und der kleine und der große Sascha.

Wer den Ishonins mit einer Unterkunft weiterhelfen will, kann sich an Inna Ivanenko wenden unter inna.ivanenko1986@gmail.com.

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