Theater:Der letzte Akt

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Der Brandner schenkt dem Boandlkramer immer wieder ordentlich ein. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit 2015 führt die Klosterfamilie von Zinneberg den bayerischem Theaterklassiker auf - zur Freude des Publikums. Doch nun soll endgültig Schluss sein mit der sehenswerten Inszenierung

Von Johanna Feckl, Glonn

Wenn sie nicht ins Kloster eingetreten wäre, dann hätte sie mit Sicherheit eine Schauspielschule besucht. Die Mundwinkel von Schwester Christophora Eckl verziehen sich zu einem Schmunzeln, als sie das erzählt. "Aber man kann ja immer alles miteinander verbinden." Selbst so scheinbar weit auseinanderliegende Dinge wie Bühne und Beichtstuhl, Rollenspiel und Rosenkranz. Und das tut Eckl auch: Vor mehr als drei Jahren feierte "Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben" in der Inszenierung der Klosterschwester Premiere auf Schloss Zinneberg - dort leitet sie eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Das Besondere daran: Nicht nur ist mit Eckl als Regisseurin die Chefin der Klosterfamilie hier kreativ am Werk, sondern auch alle übrigen Beteiligten sind Mitarbeiter und Freunde des Klosters. Nun aber haben die Zinneberger ihren ganz eigenen Brandner Kaspar zum letzten Mal aufgeführt - erneut vor ausverkauftem Haus.

Die Geschichte vom Zinneberger Kaspar nahm seinen Lauf, als das Kloster die Feierlichkeiten zu seinem 1010-jährigen Bestehen vorbereitete: Man wollte etwas auf die Beine stellen, das sich vom alltäglichen Leben abhebt, und trotzdem einen historischen Bezug zu Zinneberg hat. Und siehe da: Graf Arco, ein Ahnenherr des Klosters, hatte einen gewissen Franz von Kobell zum Jagdfreund - den Schöpfer des Brandner Kaspars. Seine Mundarterzählung aus dem Jahr 1871 wurde schon in verschiedenen Fassungen fürs Theater adaptiert, und es ist das liebste Stück von Eckl.

Kobell erzählt also die Geschichte vom Brandner Kaspar, dem es mit einer raffinierten Kombination aus Kerschgeist und Kart'ln gelingt, den Tod zu überlisten: Als ihm, dem 72-Jährigen, der Boandlkramer erscheint, verwickelt er ihn geschickt in ein Gespräch und bietet ihm Schnaps an. Am Ende hat der Boandlkramer zwölf Stamperl gekippt - ihn beim Kartenspiel auszutricksen, fällt dem Brandner da nicht mehr schwer. Er gewinnt, und der Boandlkramer schuldet ihm 18 weitere Jahre.

In Zusammenarbeit mit Gunda Winkler und Cornelia Liegl schuf Eckl die Zinneberger Version des Brandner Kaspars, in Anlehnung an die Theaterfassung von Kurt Wilhelm, die 1975 in München uraufgeführt wurde. Seit 2015 zeigte die Klosterfamilie ihre Inszenierung in vier Blöcken mit je mehreren Spielterminen: Nach dem ersten Durchlauf zum Klostergeburtstag 2015 folgte ein weiterer im Herbst desselben Jahres, genau ein Jahr später ein dritter. Jetzt gab es mit vier weiteren Vorstellungen die nunmehr vierte Etappe - wieder war jeder Abend ausverkauft, das Publikum restlos begeistert.

Und das völlig zurecht! Was dort in Zinneberg geboten wird, hat mit einem normalen Laienspiel absolut nichts gemein. Allein, wenn man Angelika Niebler als Boandlkramer zusieht, hegt man schnell den Verdacht, dass sie als Mitarbeiterin in der Klosterküche ihre eigentliche Profession völlig verfehlt hat. Ihr Chef, Küchenleiter Bernhard Hinterseher in der Rolle des Brandners steht ihr indes in nichts nach - übrigens spielen die beiden ihre Charaktere von der ersten Aufführung an.

Aber es ist nicht nur das grandiose Spiel des gesamten Ensembles, das den Zinneberger Brandner Kaspar sehenswert macht. Es sind auch die Szenen, um die Eckl die Fassung von Wilhelm ergänzt hat. So bedient sie sich unter anderem eines Stilmittels, das der Dramatiker Bert Brecht in den 1920-er Jahren prägte: Angesichts eines verarmten Adeligen aus der Hauptstadt (Andreas Maczynski in perfektem Berlinerisch) nimmt der Erzengel Michael, alias Kurt Altmann, seine Perücke vom Kopf und beschwert sich lautstark bei der Regisseurin, dass in der Urfassung nur echte Bayern zu Wort kämen. Als Eckl daraufhin an ihrem Platz hinten im Saal zum Mikrofon greift und die Beschwerde wegargumentiert, ist die Illusion der Theaterbühne endgültig aufgebrochen - Brecht nannte so etwas den Verfremdungseffekt. Nach alter Manier soll das Publikum dank dieses Kniffs das Dargestellte nicht nur beobachten, sondern reflektieren. Das gelingt auch auf Zinneberg: Sich strikt an Vorgaben zu halten, einfach, weil sie Tradition haben, ist nicht mehr zeitgemäß. Denn heute lebt und arbeitet eben auch der gebürtige Berliner Maczynski in Zinneberg - und gehört als Zuagroaster genauso zur Klosterfamilie wie die bayerischen Kollegen.

Eigentlich hätte ja schon im Herbst 2016 Schluss sein sollen mit dem "Brandnern" auf Zinneberg. Es scheint, als ob die nicht enden wollende Begeisterung des Publikums das Ensemble bislang immer wieder davon überzeugt hat, den Kaspar doch noch nicht ins Jenseits zu befördern. Ob es nun wirklich das letzte Mal war? Wer weiß. Das Münchner Residenztheater führte das Stück 25 Jahre lang auf - da wäre also bei den Zinnebergern durchaus noch Luft nach oben.

In jedem Fall steht fest: Weitergehen wird es, irgendwie. So viel lässt Christophora Eckl durchblicken. Ideen hat sie viele. "Jedermann". "Der Gott des Gemetzels". Es fallen einige Titel. Aber das sind alles nur Ideen. Vielleicht wird es dann auch etwas ganz anderes. Irgendwann. Wenn es sie wieder in den kreativen Fingern juckt.

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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