SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 9:Mit Stift und Wanderstock

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Der in Grafing geborene Maler Max Joseph Wagenbauer entdeckte als einer der ersten das bayerische Land als Sujet. In seiner Heimatstadt befindet sich mittlerweile die wohl größte öffentlich zugängliche Sammlung

Von Anja Blum

Eine monochrome winterliche Landschaft, einen verschlungenen Weg zwischen Hügeln und Bäumen zeigt das Bild "Altenhausen bei Freising", das Max Joseph Wagenbauer im Jahr 1821 gemalt hat. Laut einem Auktionshaus wurde der Wert der Kreidezeichnung auf blauem Papier jüngst auf 1 200 Euro geschätzt, erzielte bei seiner Versteigerung dann allerdings die Summe von 18 400 Euro. Das mag ein eklatantes Beispiel sein - doch es macht deutlich, warum sich die Stadt Grafing nicht gerade leicht tut, ihrem berühmtesten Künstlersohn die Ehre zu erweisen: Der Mitbegründer der Münchner Landschaftsschule wird auch anderswo hoch geschätzt. Bilder von Wagenbauer finden sich auch in großen Museen in New York oder Sankt Petersburg.

Zwischen 10 000 bis 15 000 Euro müsse man für ein Ölgemälde Wagenbauers schon bezahlen, sagt Museumsleiter Bernhard Schäfer und lächelt ein wenig gequält. Doch umso stolzer können die Grafinger auf die Sammlung sein, die das Stadtmuseum, sein Förderverein und andere engagierte Kunstliebhaber - auch dank großzügiger Spenden - bislang zusammentragen konnten. Acht Ölgemälde, viele Zeichnungen, ein paar Skizzen und zahlreiche Lithografien zeigt die Abteilung Wagenbauer, "mittlerweile haben wir insgesamt etwa 80 Werke", sagt Schäfer. Hinzu kommen drei Originalurkunden, die die Mitgliedschaft Wagenbauers in diversen Kunstakademien bezeugen - für Schäfer ein "wahrer Schatz" - sowie zwei großformatige Lithografiebände mit Naturstudien Wagenbauers, die ausdrücklich als Lehrmaterial für angehende "Landschafts-Zeichner" bestimmt waren. Dass Wagenbauer künstlerische Bildung einem großen Kreis zugänglich machen wollte, lässt ihn als dem Geist der Aufklärung verpflichtet erscheinen.

Im Jahr 1824 wurde Max Wagenbauer zum Mitglied der Akademie für bildende Künste ernannt. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Momentan beherberge Grafing wohl die größte öffentlich zugängliche Wagenbauer-Sammlung überhaupt, sagt Schäfer. Doch das stellt den Museumsleiter auch vor Probleme: "So langsam geht uns der Platz aus." Zwei Räume sind Wagenbauer dauerhaft gewidmet, doch wollte man hier noch mehr zeigen, müssten die Bilder in zwei Reihen übereinander aufgehängt werden. Angesichts der Preise wird der Bestand aber wohl nicht allzuschnell anwachsen.

Die Begeisterung für Wagenbauer in Grafing ist also groß - obwohl der Bezug des Künstlers zur Stadt eher marginal erscheint: Als Sohn des damaligen Marktschreibers erblickte Franz Joseph Wagenbauer wahrscheinlich bei einer Hausgeburt im hiesigen Rathaus das Licht der Welt und verbrachte anschließend seine Kindheit in Grafing. Das war's. Weder blieb Wagenbauer später in Kontakt zur Familie, noch hielt er seine Heimat künstlerisch fest, selbst in seinen Briefen wird Grafing so gut wie nie erwähnt. "Es könnte sein, dass er einfach nichts mit seinen Geschwistern zu tun haben wollte", vermutet Schäfer, denn diese seien in den Akten als Bezieher von Hilfeleistungen vermerkt. Auch bei Wagenbauer selbst dauerte es lange, bis er ein vernünftiges finanzielles Auskommen hatte.

Mit acht Jahren verließ Wagenbauer Grafing und kehrte nie zurück

Über die Kindheit Wagenbauers ist nichts bekannt, nicht einmal sein Geburtsdatum steht eindeutig fest. Gesichert ist nur, dass er am 18. Juli 1775 in Grafing getauft wurde, wobei im Taufmatrikel bei seinem Namen ein kleines Kreuz eingetragen ist - normalerweise ein Hinweis, dass das Kind kurz nach der Taufe gestorben ist. Ein Versehen? Fest steht nur, dass Wagenbauer als fünftes Kind von zwölfen auf die Welt kam, und ihn seine Eltern früh, mit etwa acht Jahren, nach München schickten, "um dort für die Wissenschaft erzogen zu werden". So steht es jedenfalls in einem Lebenslauf von 1829.

Grafing, zu Wagenbauers Zeiten noch ein Markt, keine Stadt, ist damals ein verschlafenes Nest mit etwa 1500 Einwohnern und in einer "traurigen und armseligen Lage", wie ein Zeitgenosse schrieb. Feuersbrunst und Überschwemmungen hatten zu einer großen Hungersnot geführt. Die Eltern hatten wohl also nur Gutes im Sinn, als sie ihren Sohn in die Stadt sandten. Dort besuchte Wagenbauer das Gymnasium, wo seine künstlerische Begabung bereits auffiel. Außerdem lernte er dort den späteren Landschaftsmaler Johann Jakob Dorner den Jüngeren kennen, dessen Vater ein einflussreicher Hofmaler und späterer Förderer Wagenbauers war.

So erwachte in dem jungen Grafinger offenbar der Wunsch, Maler zu werden, jedenfalls besuchte er nach dem Gymnasium die "Zeichnungsakademie", den Vorläufer der Akademie der bildenden Künste. Sein Talent für die Landschaftsmalerei dürfte hier jedoch nicht sonderlich gefördert worden sein, da sich der Unterricht - dem Anspruch des Klassizismus gehorchend - auf Aktstudien und das Kopieren antiker Kunstwerke beschränkte.

Die Landschaftsmalerei, hier die Skizze eines Baumes, war schon früh Wagenbauers Spezialität. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Schon bald geriet der junge Künstler in finanzielle Schwierigkeiten, wie ein Schreiben von 1795 an den bayerischen Kurfürsten Karl Theodor belegt: "Allein, gnädigster Herr, Herr! Meinem Enthusiasmus für die Kunst, und namentlich für die Landschaftsmallerey, der brennenden Glut meines Eifers fängt es an, immer mehr und mehr an Nahrung, die jeden Feuer unterhalten muss, zu gebrechen. Mein Vater, ein mit neun lebendigen Kindern versehener Mann, der von seinem Marktschreiberdienst zu Grafing nur selbst kümmerlich lebt, kann mir nicht ferner helfen und ich, im 21. Jahre meines Alters, sehe mich nur zu oft von der äußersten Noth, die nur die ärmste Menschenklasse je fühlte, bedrückt." Doch diese Zeilen vermochten den Herrscher nicht zu rühren - das Bittgesuch wurde kommentarlos abgelehnt.

Um seiner prekären finanziellen Lage zu entkommen, trat der Künstler 1797 als Freiwilliger in ein bayerisches Regiment ein und nahm am 3. Dezember 1800 an der Schlacht bei Hohenlinden teil. Danach schied er aus dem Militärdienst aus - und richtete einen Bittbrief an den Nachfolger Karl Theodors, den Kurfürsten Max IV. Joseph. Mit Erfolg: Von nun an erhielt der Maler eine Künstlerpension - und als Gegenleistung den Auftrag, Bilder der schönsten Landschaften Bayerns zu liefern.

Also unternahm Wagenbauer zahlreiche Reisen durch das Land, schuf Hunderte von Zeichnungen und Aquarellen, die ihn zu einem bedeutenden Schilderer der bayerischen Gegenden machten. In Grafing kann man zum Beispiel den Tegernsee mit Wagenbauers Augen sehen, die Schlösser von Ortenburg und Hohenschwangau oder eine Brücke bei Dingolfing.

Für die Daheimgebliebenen schulf Wagenbauer Ansichten seiner Reisen, wie hier die Brücke von Dingolfing. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Hatte Wagenbauer zunächst anerkannte Stile ausprobiert - etwa klassische Ideallandschaften mit antikisch gekleideten Hirten gemalt - so gelang es ihm nun, eine eigenständige Kunstauffassung zu entwickeln: Er malte als einer der ersten, was war. Seine Bilder zeigen reale Landschaften in naturnaher, topografisch akkurater Wiedergabe und zu spezifischer Jahres- beziehungsweise Tageszeit. Er "strebte nach Licht und Wahrheit", konstatierte ein zeitgenössischer Kollege.

Grundlage der Wagenbauerschen Kunst waren Naturstudien, er erarbeitete sich Fauna und Flora mit großer Präzision. Bäume und Schilf, Bär und Wolf, aber auch kleine Tier wie Frosch oder Igel, Wasserläufe und Felsformationen, bannte er kunstvoll auf Papier. Dabei kam dem Künstler die Technik entgegen: Die gerade erfundene Lithografie, der Steindruck, ermöglichte es ihm, seine Zeichnungen zu vervielfältigen - und so rasch mehr Geld zu verdienen. Als Auftraggeber traten vor allem der aufgeklärte Adel und das gehobene Bürgertum auf, das Interesse an heimatbezogenen Landschaftsbildern stieg mit einem aufkeimenden vaterländischen Bewusstsein. Außerdem führten zunehmende Ausflüge in bayerische Alpenland zu einer erhöhten Nachfrage an Erinnerungsbildern - Fotos gab es schließlich noch nicht.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Max Joseph Wagenbauer malte und zeichnete Bayern, wie er es auf seinen Reisen sah: ländliche Szenen, die Nutztiere und ihre wilden Kollegen.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Grundlage seiner Kunst waren höchst präzise Naturstudien.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Wasserläufe, Felsformationen, Schlösser und Scheunen gehörten auch zu den Motiven Wagenbauers.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Das wohl einzige Selbstporträt, in Uniform und hoch zu Ross, entstand während eines freiwilligen Militärdienstes.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Wie aus dem richtigen Leben: Der Hund zieht die Bäuerin am Rock, ihr Korb ist schon umgefallen, doch die Kühe nehmen von all dem keine Notiz.

Doch Wagenbauer zeichnete nicht nur, er entdeckte bald auch die Ölmalerei für sich. Mit dem Pinsel schuf er vor allem bäuerliche Szenen, ungebrochene, ländliche Szenarien, geprägt von einer ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur - im Stall oder auf der Alm. Die Tiere waren ihm dabei nicht nur Staffage, sondern Hauptmotiv, immer wieder malte er Kühe, Schafe und Ziegen in bayerischer Weidelandschaft. Fest steht: Wagenbauer war - trotz seiner höher gestellten Kundschaft - kein höfischer oder bürgerlicher Gestalter, sondern widmete sich ganz dem ländlichen Sujet. Ohne die Eindrücke seiner Kindheit, die Jahre in der bäuerlichen Gegend Grafings, wäre sein Oeuvre wohl nicht denkbar gewesen - das zum Trost für alle Bewunderer aus dem Landkreis, die schmerzlich eine Heimatansicht vermissen.

Seit 1950 gibt es in Grafing eine Max-Wagenbauer-Straße

Drei Frauen - zwei verstarben früh - und zwei Kinder Wagenbauers sind bekannt, private Briefe und ein Nachruf weisen ihn als fürsorglichen Vater sowie als einen fröhlichen und bescheidenen Mann aus, der seinen Künstlerberuf mit Freude und Fleiß ausübte. Er verstarb unerwartet am 12. Mai 1829, vermutlich an Typhus, begraben ist er auf dem Münchener Südfriedhof. In einer Dissertation gibt es einen Hinweis auf einen Nachlass in Heidelberg, doch mehr konnte Museumsleiter Schäfer dazu bislang nicht herausfinden.

Obwohl Wagenbauer einer der angesehensten Münchner Künstler seiner Zeit war, erinnerte man sich in seiner Heimatstadt Grafing erst vergleichsweise spät an ihn, nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg: 1950 benannte der Gemeinderat eine Straße nach dem Maler und beschloss außerdem den Ankauf eines Bildes aus dem Nachlass des Ebersberger Dekans Martin Guggetzer - zum Preis von 100 Mark. Dieses ist laut Schäfer allerdings mittlerweile verschollen. Insofern gründet die heutige Sammlung auf einem Geschenk: Zur Stadterhebung im Jahr 1953 stellten sich die Nachbarn aus Ebersberg mit einem Ölgemälde Wagenbauers ein.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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