SZ-Serie: Das erste Jahr:Der Mann mit der Markt-Brille

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Jan Paeplow hat vor allem während des Bürgerentscheids einigen Gegenwind erfahren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow stellt das Wohl seiner Gemeinde über alles - und irritiert damit manchmal sogar seine eigene Fraktion. Im ersten Amtsjahr lief für den 44-Jährigen allerdings noch nicht alles rund

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Plötzlich herrschte Verwirrung in den Reihen der Kirchseeoner Gemeinderäte. War das gerade wirklich passiert? Diese Frage konnte man einigen Mitgliedern der CSU-Fraktion förmlich von ihren Gesichtern ablesen. Soeben hatte das Gremium darüber abgestimmt, ob man ein Lärmschutzgutachten lediglich für den Spannleitenberg oder die gesamte Bundesstraße durch den Ort erstellen lassen will. Die Christsozialen votierten für die kleinere Lösung, nur einer scherte aus: Bürgermeister Jan Paeplow hob seine Hand für die große Variante, die nun umgesetzt wird. Die Abstimmung endete mit elf zu zehn Stimmen, der Rathauschef gab den entscheidenden Ausschlag - gegen den Willen seiner Partei.

"Spätestens mit diesem Votum sollte klar geworden sein, dass ich in erster Linie Bürgermeister von Kirchseeon bin", sagt Paeplow wenige Tage später bei einem Gespräch im neuen Sitzungssaal des Rathauses. Wie viele seiner Amtskollegen im Landkreis, ist auch der 44-Jährige nun seit ziemlich genau einem Jahr neu im Amt. Die Entscheidung in der Lärmschutz-Frage ist dabei so etwas wie die Blaupause des Politikstils, mit dem Paeplow die Gemeinde seither leitet. "Ich trage nicht nur eine Parteibrille, sondern vor allem die Brille des Marktes Kirchseeon", sagt er. Und das kann unter Umständen eben auch dazu führen, seinen Fraktionskollegen kurzzeitig die Gesichtszüge entgleisen zu lassen.

Jan Paeplow musste vor einem Jahr ein schweres Erbe antreten. Sein Vorgänger Udo Ockel hatte zuvor 18 Jahre lang die Geschicke im Markt gelenkt. Bei dessen erster Wahl als Gemeindechef war Paeplow gerade einmal 26 Jahre alt. "Der Udo hat große, aber eigene Fußstapfen hinterlassen. Jetzt möchte ich meine eigenen Fußstapfen hinterlassen", sagte sein Nachfolger wenige Tage nach der Amtseinführung. Ein Jahr später sind die ersten Spuren bereits zu erkennen.

Dennoch sieht Paeplow das erste seiner insgesamt sechs Dienstjahre vor allem als Lehrzeit. "Das ist ein komplett neuer Job. Da muss man sich auch erstmal in alles reindenken", sagt der Bürgermeister, der bis zu seinem Amtsantritt als Pressesprecher bei der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd gearbeitet hatte. Den Wechsel ins Kirchseeoner Rathaus bereut Paeplow bislang allerdings nicht. Klar, es habe in dem Jahr auch Momente gegeben, in denen er kurz durchschnaufen musste, "aber ich wollte nie alles hinschmeißen". Die Energie sei nach wie vor da, sagt Paeplow.

Diese hat der neue Bürgermeister in den vergangenen Wochen und Monaten durchaus gebraucht. "Es gab schon ein paar knifflige Situationen", so der Gemeinde-Chef. Eine, die nach außen hin deutlich als solche sichtbar wurde, war der Konflikt mit dem örtlichen Berufsförderwerk (BFW). Die Bildungseinrichtung hatte im vergangenen Sommer, also wenige Wochen nach Paeplows Amtsantritt, ihre Pläne zur Sanierung des Campusgeländes vorgelegt. Nach anfänglicher Begeisterung geriet das Vorzeige-Projekt in Schieflage, als das BFW zum Jahreswechsel für viele überraschend, großzügig Bäume auf dem Areal gefällt hatte. Nun war Paeplow zum ersten Mal in seiner Amtszeit als Moderator in der Öffentlichkeit gefragt. "Rückblickend kann man da sicher die ein oder andere Lehre draus ziehen", sagt der Bürgermeister. Nun gelte es aber, die Interessen des BFW und des Marktes zusammenzuführen.

Ohnehin will Paeplow den Fall nicht zu sehr in den Fokus rücken. "Heute geht es um das BFW, morgen um einen Gartenzaun", sagt der Rathauschef in Anspielung an die Vielzahl von Entscheidungen, die der Gemeinderat alle paar Wochen zu treffen habe - und jede einzelne davon habe ihre Berechtigung. Paeplow will bewusst nicht unterschiedlich zwischen großen Unternehmen und dem einfachen Bürger gewichten, ganz im Gegenteil: "Ich finde es schön, wenn ich den Leuten unmittelbar helfen kann." Sehr viel Spaß mache ihm deshalb die Bürgersprechstunde, durch die er trotz Corona den engen Kontakt zur Bevölkerung halten könne.

Viele Prozesse, die der neue Amtschef im vergangenen Jahr angestoßen hat, fanden allerdings auch abseits der Öffentlichkeit statt. Paeplow verweist etwa auf die laufende Umstrukturierung im Rathaus oder die stetige Verbesserung des Bürgerservice. Dazu habe er sich zunächst ein Bild vom Status quo machen müssen. "Man bricht da ja in feste Strukturen rein", sagt der Amtsleiter. Nun sei es aber an der Zeit, an den ersten Stellschrauben zu drehen.

Auch mit der Entwicklung im Marktgemeinderat ist Paeplow zufrieden. Dort träfen zwar verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Meinungen aufeinander, die Arbeit bewertet der Bürgermeister dennoch als sehr konstruktiv. Und das trotz der erschwerten Voraussetzungen, Corona-bedingt auf die ATSV-Halle ausweichen zu müssen. "Wohlfühlcharakter entsteht dort nicht", sagt Paeplow an seinem Tisch im neuen Rathaussaal sitzend, in dem das Gremium bisher noch kein einziges Mal getagt hat.

Wenn die Gemeinderäte irgendwann an ihre eigentliche Wirkungsstätte zurückkehren, werden sie auch dort wegweisende Entscheidungen für Kirchseeon zu treffen haben. So lenkt Paeplow etwa den Blick auf das Gelände des ehemaligen Schwellenwerks südlich der Bahntrasse. Über die Entwicklung des Areals, das vor allem für den Wohnungsbau interessant sein wird, würden derzeit Gespräche laufen, sagt der Bürgermeister. Auch das Erreichen der Klimaziele steht bei Paeplow ganz weit oben auf der Agenda. Neben der Umstellung auf LED-Straßenbeleuchtung und Freiflächen-PV-Anlagen sehe er auch am Rathaus noch Potenzial für mehr Energieeffizienz, sagt er im Gespräch. Mehr Details dazu könne er derzeit aber noch nicht verraten.

Ein Fahrradwegeplan für den Ort, die Sicherung der Kinderbetreuung, ein Seniorenkonzept oder die Sanierung des Jugendzentrums sowie des Hallenbades sind weitere Projekte, die der Bürgermeister in seiner verbleibenden Amtszeit noch umsetzen will. "Das ist schon ein Spagat. Der Charakter von Kirchseeon soll schließlich erhalten bleiben", sagt Paeplow über seine Arbeit in der Zuzugsgemeinde. Es sind genau solche Sätze, bei denen man merkt, dass der Bürgermeister wieder einmal seine Markt-Brille aus dem Etui geholt hat.

© SZ vom 10.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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