SZ-Adventskalender:Warten auf den einen Anruf

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Peter Schambeck braucht eine Spenderlunge. Seine Wohnung kann er ohne Hilfe nicht verlassen

Von Franziska Bohn, Poing

Der Schlauch, durch den der Sauerstoff fließt, ist zehn Meter lang, wie eine große Schlange zusammengerollt liegt er auf dem Boden. Er ist angeschlossen an einen großen, silbernen Tank, der leise gluckert. 40 Liter Flüssigsauerstoff passen da hinein. Die sausen dann durch den Zehn-Meter-Schlauch in die Nase von Peter Schambeck. "Das kitzelt leicht", sagt er. Ohne seinen Sauerstofftank könnte er nicht leben. Schambeck hat COPD, im Endstadium, eine Lungenkrankheit, bei der die Atemwege verengt sind. Seine Lungenfunktion liegt bei unter 30 Prozent.

"Eigentlich bekommen diese Krankheit nur Kettenraucher", sagt Schambeck und klingt fast vorwurfsvoll. Er hat nie geraucht, "außer früher in der Disco". Warum er sie trotzdem hat, können die Ärzte nicht sagen. Er leidet allerdings schon immer an einer chronischen Bronchitis und hat als Maler und Lackierer gearbeitet, wo er mit Lösungsmitteln, Farben, Staub und Dreck in Kontakt kam.

Fünf Mal hatte er eine Lungenentzündung, die Medizin hat kaum mehr geholfen. Dann, vor zehn Jahren auf einem Frühlingsfest bei München, ging es ihm wieder nicht gut: "Ich habe gefroren und geschwitzt gleichzeitig." Seine Freundin, mit der er auf dem Fest war, habe ihn überredet, am nächsten Tag zum Arzt zu gehen. Der Notarzt brachte ihn in eine Lungenfachklinik, von wo aus man ihn nach der Untersuchung sofort mit einem Rettungswagen in eine Lungenspezialklinik bringen. Doch Schambeck wollte nicht, er musste versprechen, am nächsten Tag selbst dorthin zu gehen.

Peter Schambeck ist rund um die Uhr auf sein Sauerstoffgerät angewiesen. Vor fünf Jahren bekam er die Diagnose COPD. Jetzt wartet er auf eine Spenderlunge. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Stattdessen verkroch er sich in seiner Wohnung in Poing, steckte das Telefon aus. "Ich hatte einfach Angst!", sagt er. Dann habe er doch seine Bekannte gebeten, ihn in die Klinik zu fahren. Eine wichtige Entscheidung. Dort bekam er die Diagnose COPD. Die Ärzte erklärten ihm, er brauche eine neue Lunge. "Dann ist für mich die Welt zusammengebrochen", sagt er und atmet dabei noch schwerer als sonst. Damals wusste er nicht einmal, dass man eine Lunge transplantieren kann. "Alte raus, Neue rein und man soll zu 80 Prozent sein altes Leben wieder haben" sagt er und schaut in die Ferne. Laut den Ärzten hatte er keine Alternative - entweder leben oder sterben. "Ich war ja erst 42, sollte ich da schon sterben? Nein das muss nicht sein." Er entschloss sich schließlich, seinen Namen auf die Transplantationsliste setzen zu lassen. Seit fünf Jahren wartet er nun auf eine Spenderlunge.

Nach der Diagnose musste er zu arbeiten aufhören, lebt nun von einer Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung, hat eine Behinderung von 100 Prozent. Von seiner Familie konnte er keine Unterstützung erwarten, weder finanziell, noch seelisch. Seine Mutter ist früh gestorben, zu dem Vater, einem Beamten, , habe er ein schwieriges Verhältnis. "Ich war für ihn immer nur der lumpige Handwerker." Wieder und wieder muss er husten, man sieht wie sehr ihn das anstrengt. Vor fünf Jahren hat sich seine Netzhaut abgelöst, durch das Husten und den Sauerstoffmangel war der Druck auf seine Augen zu groß. Plötzlich habe er nichts mehr sehen können. Jetzt, nach der Operation, braucht er eine Lupe zum Lesen.

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(Foto: SZ)

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Mit Frauen habe er immer Pech gehabt, obwohl er sehr offen mit seiner Krankheit umgegangen sei. "Irgendwann waren sie immer auf und davon." Jetzt lebt eine gute Freundin bei ihm in der 60 Quadratmeter Wohnung, "wie in einer Wohngemeinschaft". Sie pflegt ihn und passt auf, dass nichts passiert. "Ich bin so froh, dass ich sie hab", sagt er, und: "Sie könnte sich bestimmt auch etwas Schöneres vorstellen, als nach der Arbeit einen Kranken zu pflegen. Sie verzichtet auf so viel." Es ist wichtig, dass er jemanden hat, der im Notfall da ist. Auf seine Nachbarn könne er sich da leider nicht verlassen. "Die sind nett, aber jeder lebt sein eigenes Leben, das ist traurig. Es würde niemandem auffallen, wenn ich hilflos in meiner Wohnung liege", stellt er fest.

Dabei wünscht sich der 52-Jährige mehr Kontakt zu anderen Menschen. "Ich bin immer in meiner Bude." Früher sei er zumindest auf dem Wochenmarkt mit Leuten ins Gespräch gekommen, das habe sich aber schon lange geändert. "Die Leute wollen nur schnell einkaufen, ohne sich zu unterhalten." Alleine kann er nicht raus gehen, dafür bräuchte er einen Aktivrollstuhl mit einem speziellen Zuggerät. Der Antrag an die Krankenkasse läuft, jeden Tag wartet er auf eine Rückmeldung. Ob die Kasse die Kosten ganz, anteilig oder überhaupt nicht übernimmt, wisse er nicht.

Ohne dieses Hilfsmittel, sitzt er weiter Tag für Tag in seiner Wohnung. Gesellschaft leisten ihm seine zwei norwegischen Waldkatzen, die wie Kinder für ihn sind. Während seines Mittagsschlafs liegen sie mit ihm im Bett. "Ich habe mittlerweile fast keine Lebensqualität mehr", sagt er und schiebt seinen Schlauch zurecht. Raus gehen kann er nur mit Begleitung - und mit einem tragbaren Sauerstoffgerät. Früher sei Schambeck gerne gereist, das sei jetzt schwierig und zu teuer. Seit langem würde er gerne eine Dreitagesfahrt nach Hamburg, machen, eine "wunderbare Stadt". Er mag dort die Musicals und Museen und würde gerne einmal die Elbphilharmonie sehen. "Das würde auch Monika gut tun", sagt er und scheint dabei gar nicht an sich zu denken.

Schambeck möchte vor allem darauf aufmerksam machen, dass die Allgemeinheit über einen Organspendeausweis nachdenkt. "Jeder kann in die Lage kommen, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein, sei es durch einen Unfall oder eine Krankheit." Jeden Tag wartet er auf den Anruf und die Zusage für eine Spenderlunge. Dafür muss er 24 Stunden erreichbar sein. Einmal habe er schon einen Anruf bekommen. Als Reserveempfänger hatte die Reihenfolge ihn bestimmt. "Da war ich fix und fertig, ich konnte gar nichts mehr sagen und musste mich erst einmal hinsetzen", erinnert sich Schambeck. Nach zehn Minuten habe ihn der Rettungswagen abgeholt. Bis zwei Uhr nachts habe er dann im Krankenhaus gewartet. "Das Adrenalin hat mit mir Pingpong gespielt. Ich wusste nicht, ob ich schreien oder weinen soll, ein Wechselbad der Gefühle." Um schließlich gesagt zu bekommen, dass es nichts wird mit der neuen Lunge. Er sei enttäuscht gewesen, "aber ich habe mir auch gesagt: beim nächsten Anruf klappt es."

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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