SZ-Adventskalender:Mit vier Tagen zur ersten Operation

Lesezeit: 4 min

Florian hat mit vielen Handicaps zu kämpfen, trotzdem war er ein fröhliches Kind - bis zu einem Tag im August

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

Ein lebensfroher, lustiger Junge war Florian Schön (Name von der Redaktion geändert) bis zum Sommer dieses Jahres. "Natürlich hat man gesehen, dass er behindert ist - aber der Unterschied zu jetzt ist riesig", sagt seine Mutter Evelyn. Der heute Elfjährige hatte keinen leichten Start ins Leben: Als Frühchen geboren, gerade mal 1600 Gramm schwer, "hat er alles abgekriegt, was man so abkriegen kann - abgesehen von Epilepsie", sagt seine Mutter. Im Alter von vier Tagen wird er zum ersten Mal operiert: Der Junge brauchte einen Shunt. Die zweite Operation wurde wenige Wochen später vorgenommen. Florian sitzt im Rollstuhl, sprechen kann er nicht, doch inzwischen hat er immerhin das Schlucken gelernt und kann somit essen. Stolz erzählt seine Oma: "In das Essen von Florian müssen immer ganz viel Gewürze: Ingwer, Thymian, Basilikum - von allem so viel, dass uns leicht die Zunge brennt."

Die 60-Jährige wohnt mit ihrer Tochter und den beiden Enkeln gemeinsam in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Die beiden Frauen teilen sich eine Schlafcouch, damit Florian und seine 13-jährige Schwester jeweils ein eigenes Zimmer haben. "Wir haben uns nie getrennt", sagt Evelyn Schön, und ihre Mutter lacht herzlich. Als sie Florian in seinem Rollstuhl ins Wohnzimmer bringt, strahlt auch er. Seine Mutter liebkost ihn, der Oma fällt auf, dass er neu gewindelt werden muss. Dass das Leben mit ihrem behinderten Kind ihren Alltag bestimmt, wird mit jedem Satz offensichtlicher. Urlaub? "Wann denn, wie denn?", sagt Schön und winkt ab. Auch, dass die Pflege - Windeln wechseln, Waschen, umziehen - Kräfte zehrend ist, bleibt unverhohlen, wird jedoch von keiner der beiden Frauen thematisiert. Florian ist kein schweres Kind, aber auch 40 Kilo heben sich nicht ganz leicht. Evelyn Schön und ihre Mutter stehen jede Nacht um drei Uhr auf: Evelyn, um rechtzeitig bei ihrer Arbeit zu sein, ihre Mutter, um den Tagesablauf der Familie vorzubereiten. "Natürlich sind wir morgens manchmal ziemlich müde, wenn Florian eine schlechte Nacht hatte und viel vor sich hingetrommelt hat", sagt seine Oma. "Aber wenn man dann morgens in sein Zimmer kommt und er einen anstrahlt, dann geht die Sonne auf." Florian ist im Normalfall von halb acht bis 16.30 Uhr aus dem Haus: Er ist in einer Einrichtung, in der er sowohl zur Schule geht als auch in heilpsychologischer Behandlung ist. "Die Schule ist ein Segen für ihn", so Schön. Dass er mit anderen Kindern zusammen sein kann, die ihm in vielerlei Hinsicht ähnlicher sind als die Nachbarskinder, entspannt ihn und gibt ihm das Gefühl, akzeptiert zu sein. "Sollte er da irgendwann eine Freundin finden oder eben ausziehen wollen, dann verstellen wir ihm nicht den Weg", sagt seine Mutter. "Aber wir hoffen schon, dass er uns noch länger erhalten bleibt", fügt sie lachend hinzu.

Florian sitzt im Rollstuhl, sprechen kann er nicht. Seine Mutter und seine Oma wissen trotzdem immer, wie es ihm geht. (Foto: Catherina Hess)

Doch auch für sie wird es körperlich nicht leichter. "Früher ist er noch stärker mitgegangen, bei allem. Jetzt muss man ihn zum Windeln schon sehr hochwuchten", erzählt Evelyn Schön. Früher? Die zweifache Mutter schüttelt den Kopf. "Bis diesen August hatte ich ein Energiebündel und plötzlich lag er hier rum wie eine 80-jährige Oma kurz vorm Sterben", sagt sie. Was genau passiert ist, ist bis heute niemandem wirklich klar. Florians Mutter erinnert sich, dass er bei einem Ausflug seiner Einrichtung dabei war. Dort muss er sich erbrochen haben, weshalb Evelyn Schön benachrichtigt wurde und ihn abholte. "Da ging es dann los", weiß seine Oma, die an ebendiesem Mittag auf ihn aufpasste und sich an einen Sturz erinnert. "Er fällt zwar ab und zu mal, aber das war irgendwie komisch", sagt sie. Evelyn Schön erinnert sich vor allem an eines: dass ihr sonst quirliger Sohn nicht mehr auf sie reagierte, nur noch apathisch herumlag und sich selbst schlug. "Er wollte nicht mehr trinken, nicht mehr essen - wir waren völlig hilflos", so die Einzelhandelskauffrau.

Da der Zustand nicht tragbar war, brachte sie ihren Sohn kurz darauf zu seiner Kinderärztin. "Wissen Sie, was mir da gesagt wurde? Dass das seine Art von Pubertät wäre", sagt Schön mit hartem Lachen. "Das ging dann noch einige Tage, wo wir ihn beobachtet und abgewartet haben", erzählt sie weiter. Zwischen ihren Arbeitszeiten fuhr sie kurz nach Hause, um ihren Sohn zu füttern.

Doch bereits nach wenigen Tagen sei es "nicht mehr zum Aushalten gewesen", und die beiden Frauen nutzen ihren freien Sonntag, um mit Florian in die Klinik zu fahren. Es folgt eine Odyssee, die sich über fünf Wochen hinzieht. Denn auch im Krankenhaus - nicht ihrer Stammklinik, da diese "völlig überbelegt war", wie Schön sagt - wird sie zunächst wieder vertröstet. Die Ärzte, die Florian bereits kennen, sind genau zu diesem Zeitpunkt auf Fortbildung beziehungsweise im Urlaub. Florian bekommt also starke Beruhigungsmedikamente verschrieben, die seine Wutanfälle verhindert sollten - die Ursache für seinen Persönlichkeitswandel wird immer noch bei der Pubertät vermutet. "Wir sind davon ausgegangen, dass bei der Kinderärztin oder spätestens im Klinikum halt alles getestet wird, was möglich ist", sagt Schön. Erst als sich der Arzt des Vertrauens aus dem Urlaub zurückmeldet und Florian sofort sehen will, kommen die Dinge ins Laufen. "Sie müssen sich das vorstellen, bei den Tests wurde meinem Sohn mit einem spitzen Gegenstand in die Füße gepiekt und er hat keinerlei Reaktion gezeigt", ruft die zweifache Mutter. "Fünf Wochen lang habe ich an allen Stellen gesagt, dass da was nicht normal ist, und keiner hört mir zu. Als Mutter denkst du dir da: Bin ich denn blöd?"

Zwei Computertomografien sowie Röntgenbilder zeigen schließlich: Florians Shunt sitzt nicht mehr richtig, weshalb der Druck des Hirnwassers immens ist. Es folgt eine Not-OP. Inzwischen hat er sich weitestgehend erholt - "ganz der Alte ist er aber nicht", betont seine Mutter. Wenn Evelyn Schön die Fotos von ihrem Sohn nach der Operation zeigt, zittern ihr noch immer die Hände.

Schön ist stolz darauf, für das Leben ihrer Familie aufkommen zu können. Solange die Krankenkasse rechtzeitig und ohne Umschweife das Geld für Florians Behandlungen überweist, lassen sich die äußerst bescheidenen Bedürfnisse abdecken. Weihnachten ist für sie - auch ohne viele Geschenke - eine besondere Zeit: "Wir feiern generell alle Feste mit Begeisterung", erzählt Schön. "Der Glaube ist wichtig für uns, aber es macht auch einfach das Leben schöner, wenn man die kleinen Dinge feiert." Mit den Spenden aus dem SZ-Adventskalender könnte die Familie sich möglicherweise ein paar kleine Wünsche erfüllen, für die normalerweise nichts übrig bleibt.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: