SZ-Adventskalender:Lebensfroh trotz Handicap

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Die kleine Maja ist durch einen seltenen Gendefekt in ihrer Entwicklung stark verzögert und anfällig für Infekte. Hilfe bringt ihr die Reittherapie - hier genießt sie die Bewegung und den ungewohnten Blickwinkel

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

"Ich hätte gerne, dass die Menschen verstehen, dass es eben nicht schrecklich ist, ein behindertes Kind zu haben", sagt Sylvia Bach ( Name von der Redaktion geändert), während sie ihrer Tochter hinterherblickt. Maja ist im Kindergartenalter, auffällig zart und - zumindest innerhalb ihrer gewohnten Umgebung - äußerst umtriebig. "Vielleicht ist man ein bisschen ängstlicher als bei gesunden Kindern", fügt Bach hinzu. "Wenn sie durch die Gegend läuft, habe ich schon Angst, dass sie einfach hinfällt und sich nicht abstützt." Doch das Leben mit ihrer Tochter ist nicht nur mit Sorge, nicht nur mit Behördengängen und Krankenhausbesuchen erfüllt, sondern eben auch mit Lachen, Zärtlichkeit und besonderen Momenten. "Nachmittags spielen wir immer miteinander - ich kitzle sie durch oder sie verfolgt mich durchs Haus", erzählt Bach. "Aber unsere spezielle Zeit ist die Stunde, die wir uns vor dem Schlafengehen nehmen." Bachs Gesichtszüge entspannen sich, wenn sie davon spricht wie sie Maja beim Waschen hilft und umzieht, wie sie gemeinsam singen oder albern sind.

Maja ist ein aufgewecktes Kind - sie spielt begeistert auf ihrem elektronischen Klavier, kuschelt sich an ihre Mutter und quietscht, während sie um den Tisch flitzt - und deshalb fällt es leicht, ihre Entwicklungsverzögerung zu vergessen. Ein seltener Gendefekt ist die Ursache für diese. Sie spricht im Gegensatz zu gesunden Kindern ihres Alters noch nicht, braucht für vieles noch Hilfe. Aufgrund der Seltenheit ihrer Krankheit, ist ihre künftige Entwicklung ungewiss. "Unsere Tochter überrascht einen immer wieder", sagt Sylvia Bach. Häufig habe sie schon gesagt bekommen "Ja mei, das kann sie halt nicht" - und dann, plötzlich, einige Wochen später habe Maja eben doch angefangen, etwas Neues zu üben. Das ist der Trick: Alles, was Maja kann, musste zahllose Male geübt werden - auch beispielsweise das Essen und Schlucken. "Aber das geht eben alles im eigenen Rhythmus: Manches kommt früher, anderes später oder vielleicht gar nicht."

"Mamama" ist eines der Worte, die Maja sagt. Außerdem führt sie gerne die Hand die ihrer Mutter und zeigt so, was sie möchte. Erkennt sie Leute? "Natürlich", antwortet Bach. Seit etwa eineinhalb Jahren geht Maja in den Kindergarten - und zwar gerne, obwohl es anfänglich immer sehr schwierig für das Mädchen ist, sich an neue Umgebungen zu gewöhnen. "Sie trägt autistische Züge, deshalb fällt ihr im gewohnten Umfeld alles erst mal leichter", so ihre Mutter. Aber der Umgang mit den anderen Kindern im Kindergarten tut ihr gut. "Sie braucht halt sehr viel Input und das sieht sie sich von den anderen, den nicht behinderten Kindern ab." Auch wenn sie Bewegungsabläufe wie Treppensteigen nicht sofort nachahmt, hat es doch eine andere Wirkung, als wenn ihre Eltern versuchen, ihr etwas zu zeigen. "Maja wird von den anderen Kindern im Kindergarten sehr gut aufgenommen", sagt Bach, "das ist echt toll."

Während sie erzählt, bricht ihr dennoch plötzlich die Stimme. Ob sie auch andere Erfahrungen gemacht hat? Sie verneint die Frage, erst im Laufe des Gesprächs kommt eine mögliche Antwort: "Man wird einfach viel mehr angestarrt, wenn man ein behindertes Kind dabeihat." Zwar habe sie noch nie etwas Negatives gehört, aber man spüre doch immer die Neugier der Leute. Auch Menschen, die sie nicht besonders gut kennt, stellen ihr immer wieder Fragen wie: "Wusstest du das schon vor der Geburt?" Sie wisse überhaupt nicht, was sie mit der Frage anfangen soll, erzählt Majas Mutter. "Wollen die Leute dann darauf hinaus, dass meine Tochter nie Steuern zahlen wird? Dass Selbstständigkeit immer relativ ist?" Erst mit der Zeit habe sie gelernt, mit diesen Situationen entspannter umzugehen.

Immer wieder muss die kleine Maja ins Krankenhaus - für die ganze Familie eine große Belastung. Doch oft gibt es auch Grund zur Freude, etwa wenn die Kleine etwas Neues lernt. (Foto: Patrick Pleul/dpa (Symbolfoto))

Insgesamt beschreibt Sylvia Bach das Leben mit ihrer Tochter als einen Lernprozess. Immer wieder läuft es auf die Kommunikation mit Maja hinaus: "Dadurch, dass sie nichts einfordert, besteht immer die Gefahr, dass man irgendetwas vernachlässigt", erzählt sie. Auch im Umgang mit Therapeuten spielt die Kommunikation mit ihrer Tochter eine große Rolle. Grundsätzlich zeigt sie sich beeindruckt von der Vielzahl an Therapiemöglichkeiten, die es gibt. Wichtig sei nur, den Mut zu haben verschiedene auszuprobieren. Auch hier hat Sylvia Bach in den vergangenen Jahren gelernt, ihrem Gefühl und der besonderen Beziehung zu ihrer Tochter zu vertrauen.

Was ihre Eltern tatsächlich gezielt mit Maja üben, ist Flexibilität. Mal zügig essen oder auswärts, wickeln in ungewohntem Umfeld, in den Urlaub fahren - auch diese Dinge sind anstrengender, weil immer die Sorge im Hinterkopf ist, dass etwas passieren könnte. "Aber wir probieren es auf jeden Fall - es nützt nichts, wenn sie auf mich völlig fixiert ist und nicht mit anderen umgehen kann." Maja ist anfällig für Infekte, weshalb die Familie immer wieder in die Notaufnahme muss. Doch selbst in München ist es schwierig, in medizinischen Notfällen schnell versorgt zu werden. "Nur weil man bekannt ist in einer Klinik, heißt das nicht, dass man da auch einen Platz bekommt", berichtet die Mutter. "Das kann man sich einfach nicht vorstellen, wenn man das nicht selbst gemacht hat." Was immer noch erschreckend für die junge Mutter ist, sind die Nebenerscheinungen des seltenen Gendefekts: "Man wird da teilweise nicht mit dem Namen, sondern mit der Diagnose angesprochen", erzählt sie.

Völlig frei von den Problemen des Alltags ist Maja dagegen bei ihrer Reittherapie. Diese ist relativ teuer - wenn auch "völlig angemessen", wie ihre Mutter sagt. Der Nutzen für Maja legitimiert jedoch sowohl den Aufwand als auch die Kosten. "Sie bekommt durch das Sitzen auf dem Pferd eine ganz andere Perspektive auf die Welt, als wenn sie immer im Buggy sitzt", so Bach. Es ist also nicht nur der Umgang mit Tieren, der ihrer Tochter Freude macht und sie anders stimuliert. Maja entwickelt im Sattel auch einen anderen Blick auf die Umwelt. Das ist besonders wichtig, weil jede Art von neuem Input ausschlaggebend für ihre Entwicklung ist. Die Spenden aus dem SZ-Adventskalender könnten der Familie die Finanzierung der Reittherapie erleichtern.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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