SZ-Adventskalender:Krank und allein

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Ein neues Sofa kann sich Anna-Luisa Danner nicht leisten

Von Johanna Feckl

Angst vor dem Tod hat Anna-Luisa Danner nicht. "Ich habe immer bewusst und gut gelebt - auch, wenn es mir einmal nicht gut ging", sagt sie. Die 74-Jährige hat Krebs. Im Januar wurde ihr die Blase entfernt. Wenige Monate später entdeckten Ärzte einen neuen Tumor. Mittlerweile hat der Krebs in die Lymphknoten gestreut. Sie lebt von Grundsicherung. Nach allen Abzügen bleiben ihr jeden Monat 200 Euro.

Anna-Luisa Danner, die eigentlich anders heißt, sitzt in ihrer kleinen Wohnung auf einem weißen Stuhl an ihrem weißen Esstisch. Ihre langen grauen Haare hat sie sorgfältig zu einem Dutt gebunden. Ihre Lippen schimmern dezent cremefarben. Sie lächelt. "Ich würde mir wirklich nur wünschen, dass ich - wenn es soweit ist - möglichst ohne Schmerzen und mit Anstand gehen darf."

Danners derzeitige Lebenssituation ist prekär. Vor einiger Zeit sah das anders aus: Mit 58 Jahren traf sie an ihrem damaligen Wohnort eine alte Jugendliebe wieder. Er war geschieden, ihre erste Ehe war ebenfalls in die Brüche gegangen. "Es war so stimmig", erinnert sich die 74-Jährige. "Wenn einem so spät im Leben noch einmal so ein Glück über den Weg läuft - das Leben ist nur noch schön!" Die beiden heirateten ein Jahr später. Sie war glücklich - bis ein Abend 2010 alles änderte: Ihr Mann wollte die Scheidung, er hatte eine Freundin, Danner sollte aus der Wohnung ausziehen. "Das war der Holzhammer für mich", sagt sie. "Ich habe überhaupt nichts Böses geahnt!"

Außergewöhnliche Ausgaben kommen für Menschen, die von Grundsicherung leben, nicht in Frage. (Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Aber sie rappelte sich wieder auf, wollte einen Neuanfang. Doch es sollte nicht so recht klappen. In ihrem neuen Job wurde sie gemobbt, bis sie ihre Anstellung schließlich verlor. Da war sie 66 Jahre alt. Auch die Trennung gestaltete sich schwierig: Danners damaliger Wohnort war klein, ihr Ex-Mann bekannt wie ein bunter Hund, auch beliebt und einflussreich. Danner hatte das Nachsehen. "Ich glaube, eines meiner großen Probleme ist, dass ich in meinem Leben noch nie wütend geworden bin", sagt sie. "Ich werde traurig, aber dass ich einfach mal zurück belle - das ist nie vorgekommen." Stattdessen zog Danner 2012 weg aus dem Ort, zurück in die Münchner Region, wo sie früher schon viele Jahre zu Hause war. Ihre Wahl fiel auf den Landkreis Ebersberg. Im Herbst vergangenen Jahres bekam sie dann ihre Krebsdiagnose. "Da war ich erst einmal wie versteinert", erinnert sie sich. Sie wurde depressiv.

Erkannt hat sie das aber erst viel später. "Ich wusste nicht, dass sich eine Depression auch körperlich auswirken kann", sagt sie. Genau das aber sei bei ihr der Fall, wie ihr die Ärzte erklärten. Sie war weder tieftraurig noch verzweifelt, aber ihr tägliches Leben begleitete seither eine unglaubliche körperliche Schwäche - auch heute noch. Zum Teil liegt das am Krebs, zum anderen Teil an der Depression. Das Gehen fällt ihr zunehmend schwer, selbst mit Hilfe eines Rollators kann sie nur noch kurze Wege zurücklegen. Mehrmals ist sie in den vergangenen Monaten gestürzt und musste im Krankenhaus behandelt werden.

Trotz aller Angst, ob sie die Blasenoperation überhaupt überstehen würde, erholte sich Danner. Seitdem hat sie einen künstlichen Ausgang, ein Zustand, der sie zusätzlich belastet. "Man fühlt sich einfach nie sicher." Und dann kam dieser eine Tag im Juni. Bei einer Nachuntersuchung stellte sich heraus, dass der Krebs wieder da ist. Sie spürt den Tumor. Beim Sitzen. Beim Stehen. Beim Gehen. Beim Liegen. Sie entschuldigt sich. Das Sitzen auf dem Holzstuhl an ihrem Küchentisch hält die 74-Jährige nicht mehr aus. Zu stark werden die Schmerzen, obwohl sie ohnehin nur mit einer Pobacke auf dem Stuhl sitzt. Mit den Händen auf den Tisch gestützt steht sie auf, geht langsam die wenigen Schritte zu ihrem Sofa und setzt sich. Wie es weitergeht, weiß sie nicht. Am Morgen hat ihr ihre Ärztin mitgeteilt, dass der Krebs weiter gestreut hat. Den Tumor zu entfernen würde eine komplizierte Operation bedeuten, dann Chemotherapie und Strahlenbehandlung. Sie hat sich noch nicht entschieden.

Wenn Danner ihre Geschichte erzählt, dann tut sie das ohne Bedauern. Und ohne Vorwürfe. Nicht an ihre Tochter, die den Kontakt mittlerweile abgebrochen hat. Nicht an ihren Ex-Mann. Anna-Luisa Danner ist dankbar. Das betont sie immer wieder. Für die Unterstützung, die sie in ihrer Gemeinde bekommt, besonders vom Hospizverein. Einmal in der Woche besucht sie eine ehrenamtliche Helferin. Sie ist für Danner eine moralische Stütze, greift ihr aber auch bei Einkäufen und sonstigen Erledigungen unter die Arme. Einen Wunsch hat die 74-Jährige trotzdem: Ein neues Sofa, eines, das weicher ist und höher ist - eines, auf dem sie ohne Schmerzen sitzen kann.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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