SZ-Adventskalender:Ausgeträumt

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Sarah P. wollte Ärztin werden. Wegen ihrer Schizophrenie ist sie nun selbst auf Hilfe und Medikamente angewiesen.

Von Alexandra Leuthner

Eine Ärztin wollte Sarah P. (Name von der Redaktion geändert) werden. Immer schon. Und zunächst hatte es auch so ausgesehen, als stünden ihre Chancen gut. Jetzt, mit um die 40, ist sie froh, wenn sie drei Stunden lang arbeiten kann, in einem sozial geförderten Laden. Allein in einer eigenen Wohnung zu leben, wagt sie nicht, sie hat einen Platz in einem betreuten Wohnen gefunden. Hier fühlt sie sich sicher, hier wo sie mit einer kleinen Flasche Wasser in der Hand am Tisch im geschützten Rahmen eines Besprechungszimmers sitzt. Wo sie Betreuer nebenan weiß, die sie auffangen könnten, wenn die Krankheit doch wieder zuschlägt. "Aber jetzt geht es mir gut, seit zwei Jahren. Jetzt bin ich richtig eingestellt." Und dann fängt sie an zu erzählen, in ordentlich gezirkelten Sätzen, kein Wort zu viel, als würde sie vermeiden wollen, zu sehr an jene Zeiten zu rühren, in denen das anders war.

In einer Gemeinde westlich von München ist sie aufgewachsen, behütet, mit ihren Eltern und zwei Geschwistern. Sie besuchte das dortige Gymnasium. Doch dann kam der erste Einbruch. "Es ging mir gar nicht gut damals." Ihr Zustand zwang ihre Eltern schließlich dazu, sie in die Heckscher Klinik zu bringen. Ob das damals schon die Vorboten ihrer Krankheit waren? Sie zuckt mit den Schulten. Sarah P. brach die Schule ab. Dann entschied sie sich, eine Lehre als Arzthelferin zu machen, immer noch getrieben von ihrem Wunsch, Medizinerin zu werden. Und tatsächlich, über den Zweiten Bildungsweg kämpfte sie sich zurück, holte das Abitur nach und schrieb sich für Medizin ein. "Neurologie, das war es, was mich interessiert hat." Doch dann traf sie der nächste Schlag. "Ich habe viel gelernt, das Studium war wahnsinnig anstrengend. Die Ärzte meinten, dass das vielleicht der Auslöser war."

Schizophrenie lautete die Diagnose. Von einem auf den anderen Tag wurde Sarah P. krank, mit 26. "Ich konnte auf einmal nicht mehr aufstehen, mir ging es so unglaublich schlecht." Ein Jahr lang zog sich ihr Leiden hin. In der ersten Krankheitsphase ziehen sich die Kranken zurück, verlieren ihren Antrieb, werden verletzlich und empfindsamer, sprechen wenig. So ging es auch Sarah P. Ihr Studium, um das sie so gekämpft hatte, musste sie aufgeben. "Ich konnte nichts mehr lernen."

Was folgte, waren Aufenthalte in Kliniken, Versuche, sie medikamentös einzustellen. "Das eine habe ich nicht vertragen, vom anderen bin ich dick geworden." Von den akuten Phasen ihrer Krankheit kann sie gar nicht viel erzählen. Halluzinationen, Wahnvorstellungen, "da ist man sehr weit weg von allem." Ihre Eltern, die sie immer unterstützt haben, "damals haben sie mich wohl nicht mehr verstehen können". Kopfschüttelnd schaut sie zurück auf die Sarah, die sie damals war. "Ich bin allen am laufenden Band auf die Nerven gegangen, ich glaube, da ist man sehr anstrengend."

2012 bekam P. einen Rückfall, in ihrer Wohnung konnte sie längst nicht mehr bleiben. Sie kam in eine Psychose-Klinik, "ein großes Haus auf einem Berg, in einem Wald, weit weg von allem. Ich finde das furchtbar, dass man Leute so wegsperrt." Gesund wurde sie dort nicht, erst seit sie in der Einrichtung im Landkreis Ebersberg wohnt, konnte sie sich stabilisieren. "Ich kann in die Stadt fahren, Freunde treffen. Ich fühle mich wieder lebendig." So lange sie in festen Strukturen leben kann.

Einen richtigen Beruf kann Sarah P. nie wieder ausüben, "nach ein paar Stunden werde ich nervös und unruhig." Mit den 100 Euro, die sie verdient, kann sie keine großen Sprünge machen, ihre Kost und Unterbringung übernimmt der Bezirk. Dabei wäre es ihr größter Wunsch, einmal zu verreisen, mit einem Freund, der ihr auch in dunkelsten Zeiten die Treue gehalten hat. "Allein hätte ich Angst, ich habe Schwierigkeiten, mich in fremder Umgebung zu orientieren."

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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