Serie: Der Sport im Ort:Fallen ist wie Fliegen

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Der 16-jährige Kirchseeoner Falk Faßbender klettert seit fünf Jahren für den Münchner Oberland-Kader

Von Theresa Parstorfer, Kirchseeon

"Angst habe ich keine mehr", sagt der junge Mann. Er habe gelernt, sich auf das Seil und den Partner zu verlassen. (Foto: privat)

Das Seil schwingt. An seinem Ende hängt Falk Faßbender. Auch er schwingt. Wie ein Pendel. Von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links. Der Fels am oberen Bildrand bleibt unerschütterlich ruhig. Das Unten ist irgendwo. So weit unten, dass es nicht mehr auf das Video gepasst hat. "Nein, Angst habe ich keine mehr", sagt Falk und wischt mit dem rechten Finger über den Bildschirm seines Handys, auf der Suche nach einem weiteren Video, das sein Kletterpartner aufgenommen hat, während er selbst gerade im Fels hing.

Ein paar Monate ist das her. Mit einem Freund und dessen Familie war er in Andalusien - fast jeden Tag kraxelten sie zu zweit eine Felswand hinauf. Das ist etwas Besonderes für Falk. Denn normalerweise, mindestens zweimal die Woche, trainiert er in einer Kletterhalle in München.

Vor fünf Jahren, als er gerade mal elf war, wurde Falk für den Münchner Oberland- Kader "gesichtet", das heißt in den Leistungskader aufgenommen. Seitdem geht es an den Wochenenden auf Turniere in unterschiedliche Städte Deutschlands und in den Ferien in die Berge.

Nachwuchs-Kletterer Falk Faßbender. (Foto: Christian Endt)

Sein größter, unerwartetster Erfolg in diesem Jahr war die Stadtmeisterschaft in Tölz. Da ist er überraschenderweise Dritter geworden. "Obwohl ich das erste Mal bei den Herren gestartet und nur als Sechster ins Finale gekommen bin", sagt Falk. Er sitzt im Garten seines Elternhauses - ein großer, schlanker junger Mann, dunkelblonde Haare, blaue Augen, braun gebrannt - und spricht über Sturzangst. "Am Anfang ist es superwichtig, die zu überwinden", sagt Falk. Wie das geht? Sich immer wieder absichtlich fallen lassen. Lernen, sich auf das Seil und den Partner zu verlassen.

"Hat man das geschafft, dann ist Fallen wie Fliegen", sagt Falk und lächelt. Spaß zu haben sei beim Klettern das Wichtigste, findet er, und zitiert sein Vorbild Wolfgang Güllich. Er galt in den 80er Jahren als einer der besten Kletterer der Welt, ist nach wie vor berühmt für seine bunten Leggins, doch im Alter von 32 Jahren kam er bei einem Autounfall ums Leben. "Der beste Kletterer ist der, der am meisten Spaß hat", hat Güllich gesagt.

An ein Mal erinnert sich Falk, da war es knapp. Da war das Seil ein bisschen zu lang und hat ihn erst ungefähr 30 Zentimeter über dem Boden aufgefangen. "Aber ich hatte Glück", sagt er. Ein Restrisiko bleibe immer. Die Spannung zwischen dem "Lebensgefühl", das Falk im Klettern sieht - den Spaß, den Zusammenhalt im Team - und dem Spiel mit dem Risiko, vielleicht sogar dem eigenen Leben, macht einen großen Teil der Faszination beim Klettern aus. Nicht nur für jene, die es selbst tun. Erst im vergangenen Jahr verlor Ueli Steck, einer der erfolgreichsten Extrembergsteiger und Hochgeschwindigkeitskletterer, am Mount Everest sein Leben. Die in den Medien gestellte Frage, ob es sich dabei um Leichtsinn oder einen Unfall handelte, trifft eine Grundfrage der Disziplin: Wieso setzt jemand sich freiwillig einem derartigen Risiko aus?

"Weil das Gefühl eines erfolgreichen Aufstiegs mit nichts zu vergleichen ist", sagt Falk. Und auch: Dass es nicht nur darum geht zu gewinnen, sondern dass Athleten sich sogar auf Wettkämpfen gegenseitig unterstützen. "Wenn da einer ist, der einen total komplizierten Aufstieg geschafft hat, dann kann man den fragen, wie er es gemacht hat und er wird es einem verraten", sagt Falk. Denn Klettern ist ein bisschen wie Rätsel lösen. 80 Prozent der Zeit geht es um in die mentale Vorbereitung. "Manchmal hängt man tagelang an der gleichen Stelle fest und kommt einfach nicht weiter", sagt Falk. Das sei frustrierend, aber auch Ansporn, weiter zu trainieren. Auch wenn das wulstige Finger, zerschrammte Beine und schmerzende, verkrampfte Muskeln bedeutet. All das sei unvermeidbar, wenn man sich in zentimeterbreiten Felsspalten festkrallt, in rauen Felswänden hängt, sich auf Felsplateaus hievt oder von einem Boulder-Griff zum anderen springt. "Nicht so schön", sagt Falk und verschränkt die "knubbeligen" Finger, wie er sie nennt. Aber so werde man eben besser.

Falk will noch viel besser werden. Eine Weltmeisterschaft, oder vielleicht Olympia, wenn Klettern 2020 wirklich olympisch wird, das wäre der Traum. "Aber da fehlt schon noch ein Stück", sagt Falk so bescheiden wie am Anfang. Jetzt freut er sich erst einmal auf ein Trainingscamp im Altmühltal, bevor er im nächsten Schuljahr Abitur schreiben wird.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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