Eingebürgerte Schottin:"Großbritannien hat für mich entschieden"

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Die Schottin Sharon Kastner wohnt seit 2011 in Grafing. Jetzt hat sie den deutschen Pass beantragt. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Seit 2015 hat sich die Zahl der Einbürgerungen im Landkreis Ebersberg fast verdoppelt - Hauptgrund ist der Brexit. Eine Schottin spricht über ihren Weg zum deutschen Pass.

Von Franziska Spiecker, Grafing

Sharon Kastner lebt seit 25 Jahre in Deutschland und ist damit mittlerweile "länger hier als in Schottland". Sie spricht perfekt Deutsch, hat einen festen Job und gleich zwei Spitznamen: "Adoptiv-Bayerin", nennen sie ihre deutschen Freunde, "the most german Scot that I know" ihre schottischen. Trotzdem gab es für die 47-Jährige, die seit 2011 in Grafing wohnt, lange keinen Grund, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen - bis zum 23. Juni 2016, als das britische Volk mit einer knappen Mehrheit für den Brexit stimmte.

"Bitte haben Sie Verständnis, dass es aufgrund des bevorstehenden Austritts Großbritanniens aus der EU ("Brexit") und der damit verbundenen hohen Anzahl von Anträgen auf Einbürgerung von britischen Staatsangehörigen zu längeren Wartezeiten für einen Vorsprachetermin kommen kann", warnt das Ebersberger Landratsamt in roten Lettern auf seiner Website, wenn man den Reiter "Einbürgerung" anklickt.

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Und tatsächlich ist die Zahl der Einbürgerungen von Briten im Landkreis Ebersberg nach Angaben des Landratsamtes von null beziehungsweise vier Personen im Jahr 2015 respektive 2016 auf 28 Menschen im Jahr 2017 und 33 Menschen im Jahr 2018 gestiegen. Obwohl dies mit einem generellen Anstieg der Einbürgerungen von 92 Menschen 2015 auf 178 Menschen 2018 einherging, stellten die Briten erstmals die größte Gruppe der Eingebürgerten dar: 2018 stammte wie bereits 2017 knapp jede fünfte eingebürgerte Person im Landkreis aus Großbritannien.

Es sind Menschen wie Sharon Kastner, die bereits seit mehreren, in der Regel mindestens acht Jahren in Deutschland leben und um ihr bisheriges, freies Leben im EUAusland fürchten. Es sei die Sorge, dass jemand kommt und sagt, du kannst nicht mehr so einfach hier leben, der Wunsch, "nichts zu verlieren, was ich mir hier aufgebaut habe", erklärt Kastner.

Über den Brexit war Kastner "unglaublich enttäuscht"

Im Vergleich zu ihren Freundinnen habe sie sich erst spät für die Einbürgerung entschieden, erst im Herbst vergangenen Jahres sei ihr nach mehreren Gesprächen klar geworden, dass dieser Schritt für ihre Zukunft wichtig werden könnte: "Mein Sohn ist hier geboren", erzählt Kastner, die unter anderem Deutsch als Fremdsprache studiert hat und nach einem Auslandsaufenthalt in München "immer dorthin zurück wollte". Deutschland sei mittlerweile ihre Heimat - und sie selbst sehr froh, sich frei in der EU bewegen zu können.

Über den Brexit war Kastner dementsprechend "unglaublich enttäuscht", vor allem darüber, dass eine Mehrheit von etwas mehr als 50 Prozent für eine so wichtige Entscheidung reichte, und darüber, dass "unglaublich viele Lügen erzählt wurden". Kastner ist überzeugt, dass dadurch viele Leute fehlgeleitet wurden, und von ihren wenigen Freunden und Bekannten, die für den Brexit gestimmt haben, wisse sie, dass diese jetzt - nach all dem Chaos - dagegen seien. Ihre Generation sei mit den Freiheiten der EU aufgewachsen, so die Wahl-Bayerin, ihre Freundinnen in Großbritannien hätten nun die Sorge, dass ihren Kindern diese Freiheiten genommen würden.

Kastners deutlich sichtbarer Frust über den Brexit wird durch zwei Faktoren erheblich verstärkt: "Großbritannien hat für mich entschieden, ob ich Europäerin bleiben darf oder nicht", erklärt sie. Genau wie alle anderen Briten, die seit mehr als 15 Jahren im Ausland leben, habe sie nicht am Referendum teilnehmen dürfen. Hinzu kommt, dass in ihrem Geburtsland Schottland rund zwei Drittel der Bevölkerung für einen Verbleib in der EU gestimmt haben und, nicht zu vergessen, die schottische Unabhängigkeitswahl zwei Jahre vor dem Referendum: Dabei, so Kastners Perspektive, hätten viele Leute nur deswegen gegen die Unabhängigkeit Schottlands gestimmt, damit sie sicher in der EU bleiben könnten. Als wenig später der Brexit kam, hätten sich viele Schotten "doppelt veräppelt gefühlt". Eine Einschätzung, die wohl auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon teilt, hat sie doch erst vor wenigen Wochen verkündet, bis 2021 ein zweites Unabhängigkeitsreferendum abhalten zu wollen.

33 Fragen - volle Punktzahl

Während die nötige Zustimmung der Londoner Regierung dafür aber bislang fehlt, steckt Kastner bereits mitten im Einbürgerungsprozess. Dieser sei "langwierig, teuer - und viel Papier", die Schottin lacht. Nach einem Telefonat mit dem Landratsamt habe sie zunächst einen Termin für den Einbürgerungstest vereinbart, und zwar in München, da diese im Landkreis Ebersberg kaum stattfänden. 33 Fragen über Deutschland, Bayern, Traditionen, Geschichte und Co., so erzählt Kastner, habe sie nach regelmäßigem Üben mithilfe einer App während ihrer Bahnfahrten "mit voller Punktzahl bestanden".

Vier Wochen lang dauerte es, bis die Testergebnisse da waren, unterdessen habe sie sämtliche Urkunden übersetzen lassen, einen neuen britischen Pass beantragt (da der noch mindestens ein Jahr gültig sein muss) und eine Liste vom Landratsamt mit allen für den Antrag notwendigen Dokumenten erhalten. Insgesamt koste sie die Einbürgerung 400 bis 500 Euro, finanziell sei das also schon eine Belastung, sagt Kastner.

Um den Zeitpunkt ihres Termines beim Landratsamt, den Kastner erst beantragen kann, sobald sie alle Dokumente zusammen hat, muss sie sich aber keine Sorgen machen - und das ausgerechnet dank der umstrittenen Brexit-Verlängerung: Solange Großbritannien noch zur EU gehöre, so Kastner, könne sie bei der Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft auch ihre britische behalten. Und beide Pässe, die brauche sie nun mal, um sich wirklich alle Freiheiten zu bewahren.

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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