Radfahren in Pliening:Streit um 439 Meter

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Müssen Radfahrer auf der Speicherseestraße zwischen Landsham und Landsham-Moos den dortigen Radweg benutzen? Ja, sagt die Gemeinde. Nein, der ADFC - und der bekommt vom Verwaltungsgericht nun Recht

Von Alexandra Leuthner, Pliening

Martin Glas ist mit dem Fahrrad zum Ortstermin in Landsham gekommen. Natürlich. Die 25 Kilometer von der südöstlichen Münchner Stadtgrenze bis herüber an den Rand des Landkreises Ebersberg sind für den passionierten Radler, der bis vor zwei Jahren Vorsitzender des ADFC München war, ein Klacks. 6000 Kilometer habe er im Vorjahr in seine Pedale getreten, erzählt er, "es können aber auch mal 10 000 werden", fügt er hinzu und lacht ein bisschen über den ungläubigen Blick, den er erntet. "Man muss es nur machen." Und so ist Glas auch in Pliening vorbei gekommen, im vergangenen Jahr, und hat sich darüber geärgert, zwischen den beiden Ortsteilen Landsham und Landsham-Moos, hinter denen die Fahrstraße im Norden am Speichersee in einen Schotterweg mündet, auf den Radweg fahren zu müssen.

Das blaue Verkehrszeichen 240 - gemeinsamer Rad- und Fußweg -, bedeutet für den Radler, dass er von der Straße hinunter muss an dieser Stelle, es ist kein Angebot, sondern eine Vorschrift. Obwohl eine solche Benutzungspflicht in der Straßenverkehrswegeordnung als generelle Vorschrift nicht mehr existiert. Seit 1997 darf sie nur noch ausnahmsweise angeordnet werden, dann wenn Radfahrer durch den Verkehr auf der Straße in besonderem Maße gefährdet sind.

Plienings Bürgermeister Roland Frick (CSU) sieht aber genau das bei diesem, seit 2009 bestehenden Radweg gegeben und wollte einem schriftlichen Ansinnen des ADFC-Vertreters nicht nachkommen. Der klagte daraufhin im November 2020 vor dem Verwaltungsgericht München, und nun hatte sich an einem der ersten Frühlingstage dieses Jahres eine kleine Gesellschaft aus Vertretern des Plieninger Rathauses und des Verwaltungsgerichts in Landsham eingefunden. Genau 439 Meter lang, wie Rathausmitarbeiterin Helene Hiebinger erklärte, ist der Radweg von Landsham in Richtung Norden bis nach Landsham Moos. Dort führt er, wenn man aus der Gegenrichtung vom Speichersee her kommt, relativ unvermittelt in einer Rechtskurve von der Straße weg und dann geradlinig hinter einem Anwesen vorbei zurück zum rechten Straßenrand. Die Speicherseestraße ihrerseits verläuft in einer Linkskurve um das Anwesen herum, und eben diese berge für Radler eine besondere Gefahr, argumentiert der Bürgermeister.

Viele Landwirtschaftliche Maschinen seien hier zur Erntezeit unterwegs, etliche Bauern hätten ihre Felder hier draußen rechts und links des Ortes und weiter nördlich Richtung Speichersee, ebenso die Landwirtschaftliche Versuchsanstalt Grub. Das seien wirklich riesige Fahrzeuge, die hier benutzt würden. "Wir wollen die Radfahrer doch nicht ärgern, wir wollen sie schützen", sagt der Bürgermeister.

Kein Argument für den Mann vom ADFC. "Mittlerweile fackle ich nicht mehr lang", sagt Glas, der mit der Fußspitze in den Streusteinchen wühlt, die in der Kurve des Radwegs liegen. Der Zustand, in dem viele Strecken noch lange nach dem Winter seien, ist seinen Worten nach nur ein Grund für ihn, sich gegen die Benutzungspflicht zu wehren. "Für Rennradfahrer mit dünnen Reifen ist das schon doof", das Risiko, sich bei solch einem Straßenzustand einen Platten zu holen sei groß. Bleibe der Radler aber auf der Straße und gerate er in einen Unfall, würde ihm zumindest eine Mitschuld zugewiesen. "Wenn die Schilder weg sind, habe ich Rechtssicherheit." Eigentlich, sagt Glas, müssten die Gemeinden es besser wissen. Vor zehn Jahren sei die Radverkehrsnovelle von 1997 und mit ihr die Aufhebung der Benutzungspflicht in einem Grundsatzurteil bestätigt worden. Von den vier Klagen, die er bisher angestrengt habe, hätten die Gemeinden in drei Fällen eingelenkt. Wie der ADFC in einer Stellungnahme im Jahr 2014 geschrieben hat, zeige die Erfahrung, dass man auf der Fahrbahn in vielen Fällen nicht nur ungehinderter und zügiger vorankomme, sondern darüber hinaus stets im Blickfeld der anderen Verkehrsteilnehmer sei. Das Sicherheitsgefühl auf dem Radweg sei subjektiv, die Unfallstatistik zeige, dass sich gerade schwere Unfälle ausgerechnet im Seitenbereich von Straßen ereigneten.

Während der Vorsitzende Richter Dietmar Wolff sich mit seinem Team zur Beratung zurückzieht, verweist Glas auf das Nachbarland Österreich: "Dort müssen Rennfahrer Radwege nicht benutzen, wenn sie trainieren. So eine sinnvolle Regelung gibt es in Deutschland nicht." Ob die Gemeinde Pliening auf ihrer Beschilderung besteht, soll nun in der kommenden Woche der Gemeinderat entscheiden. Lehnt er eine Änderung ab, würde das dann einen Richterspruch nach sich ziehen. Eine explizite Gefährdung von Radfahrern an dieser Stelle, so Richter Wolff, könne er jedenfalls nicht erkennen. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts würde also wohl gegen die Gemeinde ausgehen, wenn das Gremium nicht beschließt, die Schilder abzubauen. Grundsätzlich sei eine Gemeinde in der Pflicht, eine außerordentliche Gefährdung nachzuweisen, argumentiert der Richter, und weist darauf hin, dass auch eine Stellungnahme der Poinger Polizei, die den Akten beiliege, eine solche nicht belege. Abgesehen davon sei er selbst ein mindestens ebenso leidenschaftlicher Radfahrer wie der Kläger, "und ich würde den schon nehmen", fügte er mit Blick auf den Radweg hinzu.

Die Gemeinde habe vor elf Jahren viel in den Radweg investiert und Grundstücksverhandlungen geführt, erklärt schließlich Roland Frick, der sich zwischenzeitlich mit der gemeindlichen Anwältin Kerstin Funk beraten hat. Er wolle nicht stur sein, sagt er, "aber ich verstehe die Klage nicht".

© SZ vom 22.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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