Prozess:Unter der Gürtellinie

Lesezeit: 2 min

Gericht stellt Verfahren wegen sexueller Belästigung ein

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Am Ende der Verhandlung ging die Verlobte des Angeklagten kopfschüttelnd aus dem Saal. Seit 18 Jahren kenne sie den 41-Jährigen, um den es hier geht - und "so etwas", wie ihm vorgeworfen wurde, so etwas würde er niemals machen. Tausende Euro an Gerichtskosten, jetzt noch einmal 1 000 Euro - "ich habe mein Vertrauen in die Justiz verloren", sagte die Frau, bevor sie zusammen mit ihrem beschuldigten Partner und dessen Anwalt das Ergebnis der komplizierten Verhandlung Revue passieren ließ.

Ob ihr Verlobter, ein 41-jähriger Mann aus Bad Tölz, etwas Unsittliches gemacht hatte oder nicht, darum ging es nun im Ebersberger Amtsgericht. Konkret beschuldigte ihn eine 31-jährige Münchnerin, ihr in einer Kirchseeoner Kantine von hinten in den Schritt gegriffen zu haben. Unstrittig ist, dass sowohl die 31-jährige Zeugin als auch der 41-jährige Angeklagte im gleichen Zeitraum in Kirchseeon tätig waren. Und er eine Gegenanzeige wegen Verleumdung gestellt hatte, die allerdings fallen gelassen wurde. Das war es dann auch schon mit den Fakten. Bereits bei der Frage, ob beide am besagten Februartag überhaupt zur gleichen Zeit in der Kantine waren, legten der Angeklagte und die Klägerin verschiedene Geschichten auf den Tisch.

Nach Aussage der 31-Jährigen verlief der Morgen des 20. Februar so: Die Frau stand in der Kantine, als ihr der Angeklagte unvermittelt von hinten in den Schritt langte. Sie drehte sich um und erblickte das ausdruckslose Gesicht des 41-Jährigen. "Am liebsten hätte ich ihm in der Kantine eine gepfeffert", schilderte die hochschwangere Frau mit leiser Stimme. Aus Schock und Scham konfrontierte sie den Bad Tölzer aber nicht, sondern ging zurück zu dem Tisch, an dem ihr Lebensgefährte wartete. Zwei Tage nach dem Vorfall suchte sie Rat bei der psychologischen Beratungsstelle. Die riet ihr, Anzeige wegen sexueller Belästigung zu erstatten.

"Da fiel er aus allen Wolken", sagte der Anwalt des Angeklagten - und erzählte dem Gericht eine ganz andere Geschichte. Demnach war der 41-Jährige zu dem besagten Zeitpunkt gar nicht in der Kantine. "Ich hatte Migräne und war spät dran", berichtete er selber. Nach Angaben seines Anwalts kannten der Angeklagte und die Klägerin sich höchstens vom Sehen. Irritiert habe ihn auch, dass ihn die 31-Jährige in den Tagen nach der besagten Tat mit der Handykamera umkreiste. Eine Maßnahme zur Täterermittlung, die die psychologische Beratungsstelle der Frau empfohlen hatte, wie sie selber sagte.

Die unterschiedlichen Schilderungen der beiden ließen der Richterin Raum für Fragen. Warum sollte die Frau den 41-Jährigen grundlos beschuldigen? "Es ist möglich, dass sie nicht allzu viele Kontakte hatte. Vielleicht hätte sie es interessant gefunden, mit ihm in Kontakt zu treten", sagte der Anwalt des Angeklagten. Beschuldigt sie möglicherweise den Falschen? "Nein, sein gleichgültiger Gesichtsausdruck hat sich bei mir eingeprägt", so die Angeklagte. Warum konfrontierte sie den 41-Jährigen nicht gleich oder bat ihren Lebensgefährten um Hilfe? "Ich war extrem verstört und musste erst einmal sacken lassen, was da passiert war."

Zur Aufklärung beitragen wollte dann noch die Verlobte des Angeklagten. "Die Situation belastet uns total", plädierte sie in einer Pause an die Richterin. Die hätte aber Augenzeugen gebraucht, um Licht ins Dunkel zu bringen. Ihr Lösungsvorschlag: Das Verfahren gegen eine Auflage von 1 000 Euro für die Angeklagte einstellen. Da fasste sich der Anwalt an die Schläfen. "Ich könnte mir jede von Ihnen gewählte Einrichtung vorstellen", appellierte er an die Richterin, doch einen anderen Empfänger zu wählen. Schlussendlich einigte man sich auf 1 000 Euro an die Frauenberatungsstelle.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: