Planet Ersag:Fortsetzung mit Vergangenheit

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Mit ihrem neuen Album "Der Walfisch" bewegt sich die Band Planet Ersag auf dem schmalen Grat zwischen Genialität und Wahnsinn.

Thorsten Rienth

Ein Musiker ist Jan Vondracek nicht, sondern ein Künstler. Und was für einer! Die neue CD seiner Band Planet Ersag, "Der Walfisch", ist weit mehr als eine evolutionär-künstlerische Fortsetzung der viel gelobten Vorgängerplatte "Tausend Sonnen". Sie ist das musikalisch wie lyrisch Ausgefeilteste, Feinfühligste und zugleich Raueste, das es im Landkreis derzeit zu hören gibt. Und sie zeigt, wo der Sänger steht: Auf einem schmalen Grat zwischen Genialität und Wahnsinn.

Planet Ersag: Die Band macht derzeit die wohl beste Musik, die es im Landkreis zu hören gibt. (Foto: privat)

Beim ersten Durchlauf dieser CD bleiben nur Fragen zurück. Was sind das für plötzliche Anfälle von poetischer Melancholie zwischen den brachialen Riffs? Was ist das für ein exzentrisches Gebaren mitten in einem harmonischen Dreiklang aus Gitarre, Bass und Schlagzeug? Sind das sinnlose Reimereien? Ist das Dada? Ironie? Parodie? Es sind Lieder mit einem unglaublichen Assoziationsreichtum, von einer schier überbordenden Kreativität. Beides wird so richtig erst beim dritten oder vierten Hinhören - oder eben der Lektüre des Booklets - klar.

Schon in der zweiten Zeile der Platte macht Vondracek im Lied "Plattenbau" Gorbatschow zum Verräter. Die Stimme des Sängers ist dabei zwar nicht mehr ganz so verraucht wie früher, klingt aber trotzdem noch nach einer Mischung aus Adam Green, Pete Doherty und Rio Reiser. Nur singt er viel melodiebetonter.

"Plattenbau" ist für die beim Label "Queen Laika" erschienene CD ebenso typisch wie wenig später "Der Walfisch": Ein tanzbares Liebeslied mit schnellen Akkord- und Richtungswechseln, das den Zuhörer mit Sätzen wie "Du sagst, dass du mit mir ans Ende der Welt gehen willst / obwohl du weißt, dass sie sich dreht" aus einem hingerotzten "Ring Ding Ring Ding Ring Ding Ding" reißt.

Unverkennbar tragen die sieben Lieder die Handschrift des Künstlers aus Kirchseeon. Obwohl die Stücke allesamt in den vergangenen fünf Jahren - also praktisch aus der gleichen Zeit wie jene Lieder aus "Tausend Sonnen" entstanden sind - klingen sie weiterentwickelter, ausgefeilter, reifer, erwachsener. Kein Wunder, dass die Band längst nicht mehr nur durch den Landkreis tourt, sondern durch ganz Deutschland oder auch die Schweiz.

Das in jeder Hinsicht Bemerkenswerteste heben sich Vondracek, Bassist Ralf Peters, der früher schon mit dem Sänger bei Arm The Homeless Brachialpunk spielte, und Andrássy-Drummer Franz Neugebauer bis zum Schluss auf. "Alter Draht" heißt das Stück - ein viereinhalbminütiges poetisch-musikalisches Gesamtkunstwerk.

Interessanterweise eines aus Vondraceks ganz frühen Liedermacherjahren: "Ich nehm' einen alten Draht, einen alten Draht und kratz' die Erinnerung an dich aus meinem Gedächtnis ... und wasch den Ort ab, an dem ich dich traf. Und ich wasche und ich putze und ich wasche und ich komm nicht voran, denn du bist in meinem Kopf in meinem Bauch in meinem Arm, in meinem Gedächtnis ... und ich nehm' jetzt die Karte und radier den Ort weg, an dem ich dich traf. Ich radiere und radiere und radiere und ich komme nicht voran ... denn du bist nicht nur ein Mädchen, nein, nein, du bist zwei".

Kurzum: Dieses Album ist Vergangenheitsbewältigung. Welch ein Glück, dass jedermann daran teilhaben kann.

© SZ vom 10.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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