Parallele Schicksale:Konsequent bis auf die nackte Haut

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Die "Moreth Company" zeigt auf den Wasserburger Theatertagen, wo sich die zwei Novellen "Fräulein Else" und "Leutnant Gustl" von Arthur Schnitzler überschneiden - und wo nicht

Von Theresa Parstorfer

Else soll sich ausziehen. Vor einem Geschäftsfreund ihres Vaters. Damit dieser ihm aus seinem Schuldenberg hilft. 15 Minuten lang will der "Freund" Dorsday das hübsche Mädchen nackt sehen, dann wird er die 30 000 Gulden an den Gläubiger überweisen, der den Vater andernfalls ins Zuchthaus bringen wird. Doch Else ist ein anständiges Mädchen aus eigentlich gutem Haus. Die Vorstellung, sich derart zu prostituieren, stürzt sie in einen Gewissenskonflikt. Während eines abendlichen Spaziergangs im Wald nahe des Hotels, in dem sie sorglose Ferien mit der Tante verbringen wollte, versucht sie, ihn zu lösen.

Bei den Wasserburger Theatertagen wandelt die "Moreth Company" auf Arthur Schnitzlers Spuren. (Foto: Christian Flamm/oh)

An dieser Stelle setzt das Stück "Am Rande der Welt" der Moreth Company aus Dießen am Ammersee ein, das am Montag anlässlich der Wasserburger Theatertage gezeigt wurde: Else, gespielt von Hannah Moreth, steht auf der Bühne, vor einer Bank, zwischen zwei Schaufensterpuppen und ist völlig ratlos, um nicht zu sagen verzweifelt. Doch sie ist nicht die Einzige auf der Bühne mit einem Problem. Nach einem eröffnenden Auszug aus Arthur Schnitzlers Novelle "Fräulein Else", wendet sich Konstantin Moreth um, der bisher im Hintergrund gestanden hat und beginnt mit dem berühmten inneren Monolog des "Leutnant Gustl".

Nichts gelernt: Leutnant Gustl, verkörpert von Konstantin Moreth, bleibt seinem Schema treu und will vor allem "Madln" - und seine Ehre verteidigen. (Foto: Christian Flamm/oh)

1901 hat Schnitzler dieses Werk geschrieben, "Fräulein Else" folgte 23 Jahre später. In beiden Stücken geht es um Fragen der Ehre. Unterschiedlich gelagert sind die von der Gesellschaft diktierten, vom Individuum internalisiert ausgefochtenen Konflikte - und doch teils grausam miteinander verbunden. Die Idee der Moreth Company, die beiden Schicksale gewissermaßen parallel laufen zu lassen, ist erhellend. Für den jungen Gustl, der sich gerade noch zu Tode gelangweilt hat in der Oper, wird der Tod plötzlich zur notwendigen Realität, als der Bäckermeister im Gedränge vor dem Ausgang, den Schaft seines Säbels packt und ihn "einen dummen Jungen schimpft". Seiner Ehre fühlt Gustls sich beraubt, der einzige Ausweg aus der Schmach ist der Selbstmord. Wie Else beginnt er durch die Nacht zu streifen, endlos kreisen seine Gedanken, ohne eine Lösung zu finden: Was denken die Leute, wer weiß schon etwas, wie schön war das Leben noch vor einer Stunde, was wird passieren, wenn er sich tatsächlich totschießt?

Gefangen zwischen strikten Moralvorstellungen und der Verführung: Hannah Moreth als Fräulein Else. (Foto: Christian Flamm/oh)

Während es bisweilen ein wenig schade ist, dass die zwei Schaufensterpuppen im Bühnenbild beinahe unbespielt bleiben, wird die Produktion in den sich überlappenden Momenten am stärksten. Wenn Elses und Gustls Welten sich zu berühren scheinen. Um dann wieder auseinanderzudriften, denn neben seinen verinnerlichten soldatischen Ehrenvorstellungen geht es für Gustl vor allen Dingen um Eines: "Madl" oder "Weiber". Die, die ihm auf der Straße oder in der Oper begegnen, und die er gerne mit nach Hause nehmen würde, die, die er irgendwann einmal verlassen hat, weil sie ihm lästig geworden sind, oder die eine, die Stefie, die ihn eigentlich in die Oper hätte begleiten sollen.

Gewissermaßen verkörpert Else eben diese von Gustl begehrten Körper. Wohl fühlt sie sich nicht damit, will allein über ihre Weiblichkeit und ihr Schicksal verfügen. Doch Anstandsregeln auf der einen und Pflichtgefühl ihrem Vater gegenüber auf der anderen Seite, verhindern das.

Konsequent ist Schnitzler, konsequent ist auch die Moreth Company, wenn sie zeigen, dass sich um 1900 Männer genauso sehr wie Frauen an strikte Verhaltenskodices zu halten hatten. Regeln, so strikt, dass sie es vermochten, ein Individuum in den Suizid zu treiben. Auf Gustl wartet der Revolver, Else träumt schon von einer Überdosis Veronal. Wütend macht es trotz oder genau wegen dieser Konsequenz, wenn es am Ende die junge Frau ist, die augenscheinlich "hysterisch" wird, tatsächlich nackt vor aller Augen im Salon steht, ohnmächtig zusammenbricht, das Schlafmittel nimmt und stirbt. Während Gustl beim Frühstück im Kaffeehaus erfährt, dass den Bäckermeister auf der Treppe der Oper der Schlag getroffen hat. Totschießen - das braucht er sich nun nicht mehr. Schön erscheint ihm das Leben wieder. So schön, dass er sich am Nachmittag, wie geplant, duellieren will. Gelernt hat er nichts, Ehre ist nach wie vor alles.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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