Online-Kultur in Ebersberg:Im Elfachteltakt von Gaudi bis Gänsehaut

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Nur gelegentliche Bild- und Tonstörungen trüben das Vergnügen am Streaming-Programm von "Gankino Circus". (Foto: Veranstalter/oh)

Mittelfränkische Naturgewalt mit Bohrmaschine und Bonophon: Das Alte Kino präsentiert die "Gankino Circus"-Streaming-Show aus Dietenhofen

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Eigentlich kommen sie von der Straße. Auf der musikalischen Walz fanden die vier Westmittelfranken in Osteuropa ihren Namen und diese ganz besondere Taktart, von der später noch zu sprechen sein wird. Doch nun erwartet man die mittlerweile studierte und vielfach preisgekrönte Truppe Gankino Circus zum Hausbesuch. Per Streaming-Show, präsentiert vom Alten Kino Ebersberg. Ob das wohl gut geht? Wird der Funke überspringen? So ganz ohne andere Gäste und Kleinkunst-Kulinarik von Bärlauch-Fleischpflanzerl bis Kaiserschmarrn, wie sie sonst auf der Karte steht? Immerhin haben es zwei Flaschen des Biers einer örtlichen Brauerei ins heimische Wohnzimmer geschafft. Die braucht man, um die Atmosphäre im Dietenhofener Wirtshaus zu simulieren, aus der die Übertragung kommt. In der "Heiligen Gans" regiert nun ein Ebersberger Pächter, hat doch den vorherigen, wie alte Fans längst wissen und neue schnell im Lauf der Show erfahren, ein trauriges Schicksal ereilt.

Nicht erst die abgefahrene Geschichte rund um den Tod von "Weizen-Charly" und seine noch viel skurrilere Hinterlassenschaft, das "Bonophon", machen deutlich, dass diese Volks- und Weltmusik-Künstler nicht nur ihre Instrumente meisterhaft im Griff haben, sondern auch genau wissen, wie sie das Zwerchfell ihres Publikums erschüttern können.

Die gemeinsame Schulzeit der vier musikalischen Talente aus der kleinen Marktgemeinde im Landkreis Ansbach mag zwar schon einige Zeit her sein, ihren jugendlichen Enthusiasmus und den Elan hat sich das Quartett bewahrt. Vielleicht sogar die Rollenverteilung, denn Wortführer Ralf Wieland scheint gewohnt zu sein, nicht nur mit der Gitarre den Ton anzugeben. So fordert er Klarinettist Simon Schorndanner zum Wettduell (weil dieser nicht glaubt, dass sich mehr als 20 Leute am Chat beteiligen werden - ein Irrtum), rückt Akkordeonmeister Maximilian Eder ins rechte Licht oder will fürsorglich-väterlich Schlagzeuger Johannes Sens an die Frau bringen.

Dass der diese Vermittlung nicht nötig hat, zeigt sich spätestens, als der Perkussionist sich völlig entfesselt während des Songs "Für Mama" fast komplett aus- und wieder anzieht, ohne sein Spiel auch nur einmal zu unterbrechen. Und dabei mit Shirt über dem Kopf die Snare besser bearbeitet als manch anderer mit uneingeschränkter Bewegungsfähigkeit.

Dabei hat man sich beim Anblick des unbekleideten Oberkörpers gerade erst von der Begegnung mit einer Bohrmaschine erholt, die Wieland für die Triller-Erzeugung des typischen Bouzouki-Sounds benutzt, wie er etwa im Film 'Alexis Sorbas' erklingt. Dort wird der griechische Sirtaki untermalt, während sich "Gankino" von einem bulgarischen Volkstanz herleitet. Der sorgt vor allem bei Hochzeiten für Bewegung. Auch bei den Zuschauern der Band ist neben Auge und Ohr das Tanzbein permanent gefordert - etwa im temporeichen "Wirt", bei dem sich virtuose Klarinetten-Klänge mit atemlosen Akkordeonläufen paaren. Wenn dann noch, wie später bei "So oder so" ein fast philosophischer Text dazu kommt, hat auch noch das Gehirn seinen Einsatz.

Eine kleine Verschnaufpause verschafft erst die Call-In-Show, bei der bekannte und beliebte Melodien erraten werden müssen - allerdings in der eingangs erwähnten Elfachteltakt-Version.

Kaum hat man diese musikalische Offenbarung verarbeitet, kommt das Bonophon zum Einsatz, eine Art überdimensionales Knochen-Marimba, erstklassig geschlagen von Eder, der zuvor schon mit ergreifend-melancholischem Gesang für mehr als einen Gänsehautmoment gesorgt hat. Da er als Landwirt zwischen Oktober und Mai viel Zeit habe, könne man ihn gern für die musikalische Begleitung der eigenen Beerdigung engagieren, ist zu erfahren.

Fast klingt das wie ein überdenkenswertes Angebot, zumal auch die getragene Zugabe "Kein schöner Land" eine bewegende Wirkung entfaltet. Selbst auf dem Sofa. Gut, dass das Lied auch gleichzeitig dafür sorgt, den aufgewühlten Körper zu beruhigen. Denn da die Technik bis auf vereinzelte Tonprobleme überraschend gut funktioniert, hätte man dank Kopfhörer-Klangerlebnis fast tanzenderweise den Boden zum Beben gebracht - leider war das Kabel zu kurz.

Auch an eine weiteren Stelle trübt die dann leider doch beschränkte Bandbreite des Mediums das Vergnügen: Kaum hat Steppen-Karl (alias Simon Schorndanner) begonnen, die verlorene Wette einzulösen, indem er zu irischer Musik mit der Eleganz eines spanischen Matadors seine Schuhe in atemberaubender Geschwindigkeit auf den zuvor erklommenen Tresen klacken lässt, friert das Bild ein.

Noch ein Grund mehr, sich von ganzem Herzen zu wünschen, die im Vorprogramm verkündeten Hoffnungen von Markus Bachmeier würden sich erfüllen und es gäbe ab 18. Juni im Klosterbauhof ein "Kulturfeuer" extended: Mit Theke, Feuerschale und von 15. Juli an Live-Acts ohne Bild- oder Tonstörung. Bis dahin ist der Kleinkunst-Abend zu Hause ein durchaus akzeptabler Ersatz. Als gelungener Appetizer mit Hopfenbegleitung dient so ein Stream definitiv. Gankino Circus ist virtuell der Wahnsinn - wie müssen die erst live sein?! Und wann darf man sie in Ebersberg "in echt" erleben?

© SZ vom 25.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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