"Niederschwelliger geht es nicht!":Hilfe ohne Hürden

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Wann wird die Lust zum Frust? Bei vielen Menschen mit Suchtproblem dauert es lange, bis sie dieses erkennen und Hilfe suchen. Mit einem neuen Angebot will die Caritas nun diese Personen schneller erreichen, im Herbst soll es in Grafing starten. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Im Caritas-Zentrum Ebersberg öffnet im Spätherbst eine Kontakt- und Begegnungsstätte für suchtkranke Menschen. Das Besondere am neuen Angebot ist, dass Betroffene ohne Anmeldung und andere Formalitäten einfach vorbeikommen können

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Das Wort "Unverbindlichkeit" lässt erst einmal nicht unbedingt positiv aufhorchen: Vielleicht hü, vielleicht hott. Heute so, und morgen ganz anders. Alles wabert hinter einem Schleier der Ungewissheit. Wer will das schon? Auf das, was nach einer rhetorischen Frage klingt, gibt es aber eine ganz ernst gemeinte Antwort: Die Suchthilfe will das. Denn es sind die unverbindlichen Angebote für Betroffene, welche die besten Aussichten auf Erfolg haben. Ein solches entsteht für den Landkreis nun im Ebersberger Caritas-Zentrum am Standort in Grafing, eine sogenannte Kontakt- und Begegnungsstätte für suchtkranke Menschen. Voraussichtlich vom Spätherbst diesen Jahres an können zehn Betroffene pro Tag das Angebot in Anspruch nehmen.

"Das ist ein Riesenfortschritt in der Versorgung", sagt Gabriele Althammer-Radan. Die Fachdienstleiterin in der Fachambulanz für Suchterkrankungen des Caritas-Zentrums kehrt diesen Aspekt besonders hervor. Bei herkömmlichen Hilfsangeboten sehe das Prozedere in der Regel recht ähnlich aus, so die Suchttherapeutin: Der oder die Betroffene muss sich erst einmal über passende Beratungsstellen informieren, dort anrufen, sich einen Termin geben lassen, zu diesem dann erscheinen, die aktuelle Situation erklären, und - ganz wichtig - überhaupt eine Krankheitseinsicht haben.

Das Problem dabei: "Man stellt immer mehr fest, dass solche Beratungsdienste sehr viele der oft seit Jahrzehnten suchtkranken Menschen nicht erreichen", erklärt Althammer-Radan. Die Struktur solcher Angebote sei Schuld daran: Es kostet reichlich Überwindung, damit es überhaupt zu diesem ersten Kontakt zwischen Betroffenen und den Diensten kommt - für viele ist die Hürde zu hoch. Das Ergebnis: Betroffene bleiben weiterhin alleine mit ihrer Suchtkrankheit, die Ressourcen der Beratungsdienste werden nicht ausgeschöpft.

Das Prinzip von Kontakt- und Begegnungsstätten funktioniert da anders. Interessierte können zu den Öffnungszeiten einfach hingehen, ohne Anmeldung. "Jeder kann so lange bleiben, wie er möchte", sagt Althammer-Radan. "Und wenn man nur einmal vorbeischauen möchte, zur Orientierung, ob einem das taugt, und kein zweites Mal kommt, dann ist das auch völlig in Ordnung." Und es gibt noch einen Unterschied zu herkömmlichen Anlaufstellen: Eine Kontakt- und Begegnungsstätte hat nichts mit einer Therapie zu tun. Es gehe nicht um das Problem namens Sucht, so Althammer-Radan, sondern darum, innerhalb einer Gemeinschaft eine Tagesstruktur zu haben.

Genau das, ein sozialer Austausch und eine Struktur, sind nämlich Werte, die laut Althammer-Radan Betroffene durch ihre Sucht oftmals längst verloren haben. Dabei seien das aber wichtige Voraussetzungen, damit eine Therapie überhaupt sinnvoll sein kann und möglichst hohe Erfolgschancen bestehen. Eine Kontakt- und Begegnungsstätte ist also im idealsten Fall die notwendige Vorstufe zu einer Therapie.

Deshalb richtet sich das Angebot an Suchtkranke, die sich in keiner Therapie in Verbindung mit ihrer Krankheit befinden. Ein besonderes Augenmerk soll auf alkoholkranken Menschen liegen, bei denen eine Mehrfachstörung vorliegt. Also neben der Alkoholsucht leiden solche Betroffene etwa an einer Depression oder Angststörung, sind spielsüchtig oder haben eine Essstörung. Althammer-Radan betont, dass dies alles nur Beispiele sind.

Wie genau die Tagesstruktur in Grafing aussehen soll, steht im Detail noch nicht fest. Althammer-Radan möchte den Fokus auf Angebote im gestalterischen Bereich legen oder einen Computerraum bereitstellen und Unterstützung bei Dingen wie Bewerbungsanschreiben zu formulieren. "Andere Kontakt- und Begegnungsstätten haben auch einen Mittagstisch und die Besucher kochen dafür gemeinsam", erzählt Althammer-Radan. So etwas könnte sie sich gut für Grafing vorstellen. Ebenso steht die Möglichkeit, dass Ausflüge organisiert werden, im Raum. "Eventuell richten wir auch einen Abholdienst ein", sagt Althammer-Radan. Das seien aber organisatorische Feinheiten. Man müsse abwarten, wie das Angebot generell angenommen wird und dementsprechend reagieren.

In jedem Fall gilt laut der Suchttherapeutin das Prinzip: Jeder kann selbst bestimmen, wann er kommen und woran er sich beteiligen möchte. "Niederschwelliger geht es nicht!"

© SZ vom 09.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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