Mitten in Grafing:Nächtlicher Nervenkitzel

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Das Freibad ist auch außerhalb der Öffnungszeiten ein attraktives Ausflugsziel - dank moderner Technik ist das Wildbaden heutzutage sogar einfacher als früher.

Von Thorsten Rienth

Es gehörte zum Grafinger Teenagerdasein der frühen 2000er Jahre, in lauen Sommernächten - und womöglich auch etwas bierselig - aufzusatteln. Schnell waren die Radl hinterm altem Hartplatz in die Büsche geschoben. Mit geschultem Auge der Zaun gescannt. Ein vorsichtiger Schritt durch die Lücke zur Freibad-Westmauer. Die Meute war drinnen. Viel zu leicht, als dass es als echter Einbruch durchgehen könnte. Und wenn nicht der Reiz des Verbotenen den Puls steigen ließ, dann war es der Anblick des anderen Geschlechts im Dunkeln. Im Hellen begegnete man sich ja meist angezogen.

Die Attraktivität derlei Nachtausflüge dürfte in den 2010er Jahren eher zugenommen haben. Zu den Kommunalwahlen des Jahres 2008 hatte der Stadtrat das Bad für viel Geld sanieren lassen. Manche in Grafing sagen: Neubau wäre die treffendere Bezeichnung. Dafür ließ sich nun auch nächstens vom Sprungturm springen. Zwar fiel die Lücke zwischen Zaun und Westmauer der Sanierung zum Opfer. Von nun an, so erzählte die nächste Grafinger Teenagergeneration, sei ein Stück Seil nötig geworden und der Umweg über die Nordseite des dort flachen Eisstadiondachs.

Welchen Weg die 2020er-Generation nimmt, weiß sie selbst am besten. Gefunden hat sie einen, so viel ist sicher. Die neue Online-Live-Auslastungsanzeige des Freibads auf der Grafinger Stadt-Homepage belegt es. Bisweilen zeigt sie auch zur Geisterstunde noch eine Handvoll Besucher an. Nur stört sich heute niemand mehr daran. Warum auch? Bei fünf, sechs, sieben Besuchern auch die schärfste Abstandsregel locker eingehalten. Zumindest umgerechnet auf die Freibad-Flächen.

Fürchten muss sich die Jugend vor derlei Überwachung übrigens nicht. Im Gegenteil. Sie - so lautet das Verb im Jugendsprech - outsmartet das System. Zum Online-Live-Ticker gehört nämlich neuerdings auch eine Online-Live-Webcam. Fährt die Polizei in der Stadionstraße vor, ist die Jugend auf dem Smartphone live dabei. Sie kann sogar den Fluchtweg wählen. Je nachdem, ob die Gesetzeshüter am Haupteingang parken oder zum nördlichen Parkplatz weiterfahren. Wäre es doch nur früher schon so einfach gewesen!

© SZ vom 18.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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