Mitten in Ebersberg:Alle suchen Opa

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Großvater ist so gut wie immer überpünktlich. Es muss etwas passiert sein! Über eine aufreibende Familien-Suchaktion in Ebersberg.

Kolumne von Nathalie Stenger

Es war wie in einem Film. Ein Thriller, ein Drama, auf jeden Fall mindestens eine Komödie: Sonntag, kurz vor zwölf. Der Tisch auf der Terrasse ist gedeckt, das Essen blubbert im Topf, sogar vernünftig angezogen ist man seit langem mal wieder.

Der Blick huscht erneut nervös zur Küchenuhr, Punkt zwölf, wo bleibt der denn? Der Opa ist nie zu spät, wirklich niemals, er ist stets fünf Minuten zu früh - da muss etwas passiert sein! Doch bevor das Herz vollends aussetzt, fällt die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen. Die Umleitung ist Schuld! Beziehungsweise die gesamte Familie, es hat nämlich nicht eine Person daran gedacht, den lieben Opa über zwei von drei gesperrte Straßen zu informieren, die zum Haus der Gastgeber in Ebersberg führen.

Jetzt macht sich die Panik doch recht schnell breit, der Opa kann doch mit den Umleitungen gar nicht umgehen, das kann schließlich niemand, der hier nicht wohnt. Ein Plan muss her, ans Handy geht er nämlich auch nicht, wozu braucht man das, beschwert er sich immer. Hierfür, Opa!

Das schlechte Gewissen nagt an jedem Einzelnen, was wenn er schon wieder heimgefahren ist? Wobei dies das beste Szenario wäre!

Der erste sprintet los, zu Fuß, um zwei Ecken, falls der Großvater dort vor den rot weißen Absperrungen steht. Fehlanzeige, die nächste Person springt also aufs Radl und düst die andere Straße entlang, um den armen Opa von hinten abzufangen. Falls er es überhaupt bis zu dieser Abzweigung geschafft hat. Ein weiteres Familienmitglied mit Auto hinterher, übrig bleibt also noch das alte Rostgestell mit dem platten Reifen. "Hopp, hopp", motiviert man sich selbst im Kopf, der Opa muss gefunden werden!

Fast halb eins. In der eben abgehaltenen Telefonkonferenz ist man schwitzend und keuchend schon zu dem Schluss gekommen, der Opa sei nach Hause gefahren, als - wie durch Zufall, oder war es Glück, Schicksal? - die gesamte Familie bei einer kleinen Kreuzung am Ortsrand aufeinander trifft. Inklusive Opa, der ganz aufgelöst das Autofenster hinunterkurbelt und sich über die Straßenverhältnisse beschwert. Und damit vermutlich auch über seine Nachkommen, und da hat er schließlich Recht. Was ein schlechter Film.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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