"Methoden wie im Wilden Westen":Abschleppfirma schikaniert ganze Supermarkt-Belegschaft

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Einfahrt in die Höhle des Löwen: Wer in der Baldhamer Tiefgarage parkt und in den Geschäften zu lange herumstöbert, muss damit rechnen, dass sein Auto teuer abgeschleppt wird. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Berliner Unternehmen macht in Zorneding und in Baldham einen Reibach. Wer sein Auto dort parkt, muss damit rechnen, dass es verschwindet.

Von Viktoria Spinrad, Vaterstetten

Während Minna Krämer im Edeka einkauft, hält ihr Mann Egon Krämer im Kombi Wache. "Sonst könnte es knapp werden", sagt die 87-Jährige im Baldhamer Parkhaus fast entschuldigend, während sie, gehbehindert, Brot und Joghurtbecher gemächlich in den Kofferraum lädt. Das Paar, das eigentlich anders heißt, ist sichtlich raus aus dem Alter, in dem man seinem Auto detektivisch hinterherspüren möchte - und dann auch noch verklagt wird. Solche Spielchen aber winken Kunden, die länger als die erlaubten 90 Minuten in der Tiefgarage am Baldhamer Marktplatz parken.

Wer genau hinschaut, kann die Warnung auf den Wänden lesen: "Parkräume KG". Dieses Berliner Unternehmen beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Es betreibt keine Verwahrstellen, sondern lässt Autos in beliebige Seitenstraßen abschleppen - auch mit Hund oder Kind, wie ein Anwalt berichtet. Erst nach einer Zahlung von "bis zu 475 Euro", wie in Baldham angekündigt, verrät die Firma den genauen Standort. Statt viel Geld zu bezahlen, gehen viele lieber gleich selbst auf die Suche nach dem entführten Wagen - und dürfen sich dann auf einen Streit mit der Rechtsabteilung des Unternehmens einstellen.

In Baldham kennen nicht nur Edeka-Kunden - und Langzeitparker - die Spielchen der Firma, sondern auch die Mitarbeiter des Supermarkts. "Das ist reine Abzocke", sagt Andrea Huber, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, vor der Fleischtheke im Edeka. Die Angestellte, kurze Haare, Brille, stellt einen Fuß auf die Palette mit den Käsepackungen und stemmt die Hände in die Hüfte.

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:Mit Haken und Auslösen

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Von Viktoria Spinrad

"Die kommen wie sie Lust haben." Ein paar Meter weiter schiebt ein Kollege Paletten umher, wie viele Kunden musste auch er schon Lehrgeld zahlen: Sein Wagen stand mangels Mitarbeiterstellplätzen im Parkhaus, vor zwei Jahren wurde es dann mitten am Tag nach Haar abgeschleppt. Den genauen Standort gab die Firma für 350 Euro preis. "Damit muss man leider rechnen", sagt er und verzieht das Gesicht. "Aber das war schon verdammt viel Geld."

Die Verantwortlichen verweigern konkrete Aussagen

Wer steckt hinter der Abzocke in Baldham? Eine Frage, die sich auch nach viel Telefoniererei nicht gänzlich klären lässt. Fest steht, dass die Tiefgarage und das Supermarkt-Gebäude der Münchner Familie Brandl gehören, den Besitzern der Metzgerei-Kette Vinzenzmurr, die im Edeka eine Filiale hat.

Wer bei Vinzenzmurr in München anruft, wird an die Verwaltungsfirma BVG Immobilien verwiesen. Diese sei zuständig, nicht die Familie Brandl selber, betont eine Mitarbeiterin, die weiter nicht zitiert werden möchte, aber zusagt, die Fragen der SZ schriftlich zu beantworten. Darauf wartet man trotz einer Frist von zwei Wochen vergebens; auch nach mehreren Anrufen und E-Mails an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Uhrzeiten reagiert sie nicht mehr.

Im Kleingedruckten ist zu lesen, dass das Abschleppen nach zu langem Parken bis zu 475 Euro kostet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Methoden des Berliner Unternehmens sind auch im Nachbarort Zorneding nicht unbekannt. Dort hat die Grundstücksbesitzerin des Birkenhofs ebenfalls die Parkräume KG beauftragt hat. Im Gegensatz zu Baldham wird von dem zugehörigen Privatparkplatz im Geschäftszentrum vor allem nachts abgeschleppt.

Illegal ist das nicht: Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte 2009 klar, dass es erlaubt sei, falsch parkende Autos von Privatparkplätzen entfernen zu lassen. Der Knackpunkt liegt in der Höhe der Gebühr: 2014 entschied der BGH noch, dass die Kosten fürs Abschleppen "ortsüblich" sein müssten - was Beträge wie 475 Euro selbst bei aufwendigeren Abschleppaktionen natürlich nicht sind.

Der Geschäftsführer stand mehrmals wegen Nötigung vor Gericht

Deswegen stand der Geschäftsführer mehrmals wegen Nötigung vor Gericht, wurde aber stets freigesprochen. "Für eine Verurteilung wegen Nötigung sind Forderungen von 400 Euro noch zu niedrig", sagt der Münchner Rechtsanwalt Emil Kellner. Seit Jahren prangert er das Geschäftsmodell der Firma an, spricht von "Lösegelderpressung" und "Methoden wie im Wilden Westen". "Leider ist man denen schutzlos ausgeliefert", sagt er.

Bereits vor zehn Jahren hat es im Edeka, damals noch Tengelmann, Rufe nach Mitarbeiterparkplätzen gegeben. "Aber die gab es nicht", sagt die Frau am Joghurt-Regal schulterzuckend. Also haben sie und ihre Kollegen sich auf die Situation eingestellt. Um gar nicht erst wieder in die Fänge der Abschleppfirma zu geraten, kommen die Mitarbeiter mittlerweile mit dem Radl zur Arbeit oder klappern am Morgen die Seitenstraßen ab. "Aber da bekommt man natürlich fast nichts", sagt Verkäuferin Andrea Huber.

Weil sie sich von der Zeitbeschränkung nicht stressen lassen wollen, kommen manche Kunden gleich zu Fuß. Renate Mielrich, graue Wollmütze, Brille, hat zwar ein Auto, ist aber sicherheitshalber hergelaufen. An der Kasse stopft die 80-Jährige ihre Einkäufe in einen Rucksack. "Wie lange ich das noch zu Fuß schaffe, weiß ich nicht", sagt sie. Grundsätzlich habe sie Verständnis dafür, dass man abschleppen lasse: "Manche Autos hatten ja vom langen Stehen eine Staubschicht", sagt sie; das Geschäftsmodell der Parkräume KG finde sie dennoch "abartig".

Es gibt Strategien, um sich zu wehren

Auch der Vaterstettener Bürgermeister beäugt die Situation kritisch. "Das Vorgehen des Unternehmens ist furchtbar", sagt Georg Reitsberger (Freie Wähler). Um der "Abzocke" in seiner Gemeinde Einhalt zu gebieten, habe er sich an die Brandls gewendet - aber keine Rückmeldung erhalten. "Mit so kleinen Dingen will man sich wohl nicht abgeben", vermutet er.

Bleibt die Frage: Was tun, wenn es einen erwischt? "Ohne Rechtsschutzversicherung lohnt es sich leider nicht, vor Gericht zu ziehen", sagt Rechtsanwalt Kellner. Das wisse die Firma, das sei ihr Geschäftsmodell. Er empfiehlt, das Auto auf eigene Faust zu suchen und nur einen "angemessenen Betrag" zwischen 120 und 170 Euro zu zahlen. Mit dieser Taktik schiebt man den Ball dem Unternehmen zu: Wenn die Firma dann auf die Differenz zur Rechnung einklagt, ermittelt ein Sachverständiger die angemessene Summe - und die liegt oft nur bei der Hälfte.

So war es auch kürzlich im Fall eines Mandanten Kellners. Er fand sein Auto und zahlte der Parkraum KG 170 statt der geforderten 300 Euro. Vor Gericht bestätigte der Sachverständige dann, dass nur 140 Euro angemessen gewesen wären. Das Beispiel zeigt, wie sich nach dem Urteil des BGH nun jeder von der Parkräume KG Abgeschleppte sein Recht zivilrechtlich einklagen muss. "Der Auftraggeber gibt die Autofahrer zum Abschuss frei", moniert Kellner - und mahnt: "Als Grundstückseigentümer muss man sich gut überlegen, ob man mit einem solchen Unternehmen zusammenarbeiten will."

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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