Nachruf auf Martin Loher aus Anzing:Abschied von einem Bewahrer

Lesezeit: 5 min

Martin Loher, wie er wohl vielen in Erinnerung bleibt. (Foto: Christian Endt)

Der Anzinger Galerist Martin Loher ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Nun ist unklar, was aus seinem Erbe wird, dem Werk des Künstlerpaars Joseph Loher und Gretel Loher-Schmeck.

Von Rita Baedeker, Anzing

Um Martin Loher war es in letzter Zeit still geworden. Er musste Abschied nehmen von lieb gewonnenen Weggefährtinnen, die für ihn, den "Junggesellen", so etwas wie Familie waren. Nun ist auch er gegangen. In der Nacht zum 23. Februar ist er in der Kreisklinik Ebersberg vermutlich an Herzversagen gestorben. Martin Loher ist 81 Jahre alt geworden.

Neben der Trauer herrscht nun auch Ratlosigkeit. Denn Martin Loher hinterlässt das Erbe seiner Eltern, des Künstlerehepaars Joseph Loher und Gretel Loher-Schmeck, sowie eine kleine schmucke Galerie in dem historischen Bauernhaus in Frotzhofen, das er nach dem Tod der Eltern gründlich renoviert hat. 2012, anlässlich der 1200-Jahrfeier der Gemeinde Anzing, wurde sie eröffnet. Was mit ihr und dem Erbe geschehen soll, steht derzeit in den Sternen. Nicht nur in der Gemeinde ist der Wunsch laut geworden, dass die Werke der beiden bedeutenden Spätexpressionisten der Öffentlichkeit erhalten bleiben. Da aber nicht bekannt ist, ob es neben einer Cousine, die in den Vereinigten Staaten lebt, weitere Nachkommen gibt, ist die Sache kompliziert. Derzeit prüft das Nachlassgericht, ob es ein Testament gibt.

Martin Lohers Vermächtnis als Mensch, als Freund und Nachbar, das sind vor allem die Erinnerungen jener Künstler, die in den vergangenen Jahren im Loher-Haus ausgestellt haben. Es sind Erinnerungen an sein hilfsbereites, liebenswürdiges Wesen, an seine Leidenschaft als Gärtner und Landwirt und auch an die Entschiedenheit, mit welcher er seine Vorstellungen, etwa von der Rolle als Galerist, zu vertreten wusste. Martin Loher war kein Kunstkenner, wie er häufig und beinahe trotzig immer wieder betonte; doch er war ein Hüter und Bewahrer, einer, der hegt und pflegt, seien es nun Ölgemälde oder selbst gezogene Gemüsesorten.

Dort, in seinem Elternhaus, jener von einem Bauerngarten umgebenen Idylle, hat er den Werken von Vater und Mutter Licht, Raum und irgendwie auch neue Bedeutung gegeben. Eine eigene Familie hatte Martin Loher nicht. Zuletzt trauerte er um eine gute Freundin. "Er hat immer ihren Hund ausgeführt, und sie haben zusammen gekocht", erzählt der Anzinger Künstler Peter Böhm, der die Familie Loher gut kannte. "Er war ein angenehmer Zeitgenosse, absolut hilfsbereit und hat mit wahnsinnigem Schwung das Haus hergerichtet", erinnert Böhm sich.

Von den Nazis verfemt und verfolgt

Es ist ungewiss, was aus den Werken wird. (Foto: SZ-Archiv)

Auf das Ergebnis konnte Martin Loher stolz sein. Bis unter die Dachsparren war das kleine, 1786 erstmals urkundlich erwähnte Gut angefüllt gewesen mit Bildern, aber auch mit Gerümpel. Nach der Renovierung war daraus eine gemütliche Oase geworden, in der Kunst, Natur und Landschaft miteinander harmonierten. Fand man sich zur Besichtigung einer Ausstellung im Loher-Haus ein, verließ man den Ort nicht nur mit Informationen und einem herzhaften Händedruck, sondern gelegentlich auch mit einem Korb frisch geernteter Zucchini und Tomaten.

Martin Loher wurde am 28. Mai 1938 geboren, er ist der einzige Sohn jenes Künstlerpaars, das sich, von den Nazis verfemt und verfolgt, im abgeschiedenen Frotzhofen niederließ. Den Lebensunterhalt bestritten die Lohers vor allem durch den Anbau von Obst und Gemüse, sie hielten Ziegen, Gänse, Hühner. Von der Kunst allein leben konnte die kleine Familie nicht. "Ich kenne den Martin, seit ich denken kann", erzählt Rosi Hollerith, Schwester des Bürgermeisters, Franz Finauer. "Mich verbindet mit ihm die Liebe zur Natur. Martin war immer gern im Freien, die Natur war für ihn etwas Kostbares, er liebte es, aus Früchten Saft, Wein und Essig zu machen, nichts durfte weggeworfen werden", erinnert sie sich. Ihr Großvater, der eine Schreinerei besaß, akzeptierte als Bezahlung gern auch Bilder der Lohers. "Er war einer der wenigen damals, die Kunst als Kunst wertgeschätzt haben", sagt Hollerith.

Es sei wohl die Armut in jenen schlechten Zeiten gewesen, die Joseph Loher dazu bewogen habe, dem Sohn den Besuch eines Gymnasiums zu verwehren, berichtet Rosi Hollerith. Lieber sollte dieser Landwirt werden und so immer genug zu essen haben. Ein Funken künstlerisches Talent steckte aber wohl doch in ihm. Eines Tages, so Hollerith, habe man sich über Schafe unterhalten. Da habe Martin Loher ein Schaf gezeichnet, "aber dermaßen naturgetreu, dass man sofort sah, wie gut er das konnte".

Die Kunstwerke seiner Eltern lagen Loher sehr am Herzen. (Foto: SZ-Archiv)

Ein Maler ist er trotz naturgetreuem Schaf nicht geworden, künstlerisch präsent ist er dennoch - auf Porträts des Vaters etwa. "Das bin dann wohl ich", sagte er lächelnd und zeigte auf ein Gemälde, das ihn in ein Buch vertieft zeigt, stets versichernd, er selbst verstehe nichts von Kunst, er pflege das Erbe der Eltern aus Liebe zu ihnen - und wohl auch, weil das Säen, Ernten und Erhalten zu seinem Naturell gehörte.

Der Anzinger Künstler Siegfried Horst, der zweimal im Loher-Haus ausgestellt hat, erinnert sich daran, dass Martin Loher ihn einmal gefragt habe, wie er, Horst, das Werk der Eltern einschätze. "Ich sagte ihm damals, es sei sehr wertvoll, es war nötig, dem Martin das zu sagen, denn er war immer sehr eingespannt, er musste Geld verdienen." Wir Künstler, sagt Horst, "wir hätten gerne noch in seiner Galerie ausgestellt, aber in letzter Zeit mochte er nicht mehr."

Anders nach dem Tod der Mutter 2003. Ein Jahr danach beschloss Martin Loher: "Jetzt musst ich was machen!" Also plante er einen Neubau gleich nebenan mit einem Keller, der gegen Wasser gesichert ist. Er baute Regale aus Holz und Metall und ordnete die Ölgemälde nach Motivgruppen. Beim Amt für ländliche Entwicklung, wo er als Vermessungstechniker beschäftigt war, kaufte er alte Planschränke mit breiten flachen Schubladen für die Zeichnungen. In jener Zeit wurde er begleitet und beraten von der Zornedinger Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer, die zusammen mit Kristina Kargl auch ein Buch über die Lohers, den Expressiven Realismus und die "Malerei der verschollenen Generation" verfasst hat - jener Generation von Künstlern, deren Arbeit als "entartet" eingestuft wurde, nach dem Krieg aber plötzlich nicht mehr dem Zeitgeist entsprochen hat.

Martin Loher hatte viele Berufe und Berufungen

Um das künstlerische Erbe der Lohers zu sichern, stand damals die Gründung eines Fördervereins zur Diskussion, dazu hätte aber eine Stiftung ins Leben gerufen werden müssen, doch das alles wollte Martin Loher nicht. In der Pflege seines Erbes war er durchaus eigensinnig. Reguläre Öffnungszeiten, Personal für die Galerie, Parkplätze, "das wäre mir zu viel", bekannte er mehrfach. Und in solchen Momenten konnte der sonst so sanft wirkende Mann sehr entschieden auftreten. "Er hat den Nachlass seiner Eltern nach bestem Wissen geführt", sagt Niemeyer-Wasserer, "aber immer nach seinen Vorstellungen, er war ein pragmatischer Mensch, wir waren uns sehr verbunden."

Gern erinnert sie sich an einen Ausflug an den Chiemsee, ein beliebtes Landschaftsmotiv auf Bildern der Eltern. "So um 2008 hatten wir eine Ausstellung in Bernau und mussten die Bilder anliefern." Und da sei es Martin Loher eingefallen, dass er noch nie im Chiemsee baden gewesen sei. Also habe er sich eine Badehose gekauft und sei ins Wasser gestiegen, obwohl er nicht schwimmen konnte. "Danach war er stolz und zufrieden, dass er das geschafft hat", erzählt Niemeyer-Wasserer und lacht.

Auch 2016 gab es für Martin Loher noch vergnügte Stunden. Johannes Mayrhofer, Maler und Grafiker aus Anzing und öfter Gast im Loher-Haus, erzählt von einer Feier dort anlässlich des 500. Geburtstages des bayerischen Reinheitsgebots. "Martin Loher kam als Vermessungstechniker viel in Bayern herum und kannte viele Brauereien. Er stellte Bänke und Sonnenschirme auf und lud uns Künstler ein." Mayrhofer kennt Martin Loher auch als Geschichtenerzähler, der Anekdoten aus seinem beruflichen Leben zum Besten gab. Mit dem Jahreswechsel aber sei die Traurigkeit gekommen. Die erste Freundin aus seinem Bekanntenkreis starb. "Das hat ihn sehr mitgenommen."

Martin Loher hatte viele Berufe und Berufungen. Er war Vermessungstechniker, Landwirt, Kurator und zuletzt auch Kirchenpfleger. Zu den vielen Erinnerungen an ihn gehört sein herzliches Lächeln, das wärmen konnte, am Ende aber ihn selbst nicht mehr erreichte.

Der Sterberosenkranz für Martin Loher ist am Donnerstag, 12. März, 18.30 Uhr in der Pfarrkirche Anzing, der Seelengottesdienst am Freitag, 13. März, 14 Uhr, in der Pfarrkirche Anzing, mit anschließender Urnenbeisetzung in Purfing.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: