Es ist wieder Freilichtsaison am Kirchweiher in Markt Schwaben - und der Theaterverein erobert sich seine liebste Spielstätte zurück, als wäre nichts gewesen. Unbandige Spielfreude, beherzte Auftritte, überzeugende Bilder und eine sehr publikumsfreundliche Dramaturgie umkreisen zwei Stunden lang "Das Wirtshaus im Eberwald" mit solcher Kraft, dass die Verbindung mit Wilhelm Hauffs Originalmärchen nur noch als Gedanke im Raum steht. Verdientermaßen bezeugt sogar die Natur Respekt und lässt den letzten Regen vor Beginn der Premiere am Freitagabend versiegen. Vielleicht ein bisschen zu spät, um die Ränge noch besser zu füllen, aber früh genug für einen gelungenen Auftakt der Weiherspiele.
Was gibt es zu bewerten?
Das Stück: Ähnlich wie beim "Boandlkramer" stellen sich Regie und Ensemble der Herausforderung eines Stücks, das durch Film und Fernsehen tief in der Erinnerungskultur des Publikums verankert ist. Dagegen anzuspielen, das muss man sich erst einmal trauen. Doch siehe da: Es gelingt so gut, dass man gar nicht erst zu vergleichen versucht. Zumal sich die Dramaturgie mit dem Umzug vom "Wirtzhaus" (Zitat: "Ich weiß, ein T zuviel, aber wir sind hier im Räuberwald, nicht im Rechtschreibseminar!") aus dem Spessart in den "Eberwald" ausreichend Spielraum geschaffen hat, eigene Akzente zu setzen. Die Handschrift und die Liebe zu den mit Florett gefochtenen Scherzen von Ferdinand Maurer sind bestens erkennbar.
Die Sprache: Wie und was gesprochen wird auf dem Weiher, war selten so essenziell wie bei diesem Stück. Denn mit der Verortung ins Oberbayerische darf, ja soll sich das Räubervolk auch einheimischer Mundart bedienen. Für die entspannte Präzision, mit der dies geschieht, verdient das Ensemble einen Extraapplaus: Es hat die Gratwanderung zwischen authentisch und Seppldeutsch traumwandlerisch sicher gemeistert. Beifall hat sich auch die exzellente Tontechnik verdient, die jede Silbe sauber transportiert. Ob es dann auch noch einen österreichelnden Hauptmann und eine französelnde Räuberdirne braucht, sei dahingestellt. Für die eher kindlichen Gemüter im Publikum war's lustig.
Die Musik: Seit jeher sind die musikalischen Elemente ein Markenzeichen der Weiherspiele. Mit Spannung erwartet vom Stammpublikum kamen dabei manchmal veritable Gassenhauer zustande, manchmal aber auch abgründige Schnulzen und Experimente. In dieser Ahnengalerie sortiert sich der "Eberwald" im oberen Drittel ein. Ein eingängiges Motiv, das sich durch den Abend zieht, dazu ein halbes Dutzend Solonummern und Duette mit Witz und Charme, blitzsauber intoniert und nie länger als drei Minuten, ein Pluspunkt für die Dramaturgie . Christian Jäger und Ferdinand Maurer haben bei Text und Komposition auf den Punkt treffend geliefert.
Das Bühnenbild: Die Seebühne rückt so nahe an die Ränge, wie es geht, ohne das Gewässer ganz überflüssig zu machen. Die Reflektionen von Lichtern, Farben und Bewegungen liefern die bestens vertrauten Effekte. Die Weiher-typische Dreiteilung der Bühne greift diesmal auch aufs Festland über, auf dem das gräfliche Schloss aufragt. Handwerklich sorgfältig gearbeitet, aber sparsam im Detail rückt die Szenerie zugunsten der Menschen in den Hintergrund. Pfiffig sind die wandernden Büsche und das bestens unterm Waldboden getarnte Räuberlager. Der Blitzaufbau der Zelte zeugt von handwerklichem Geschick und viel Übung. Einzig das Waldimitat im Hintergrund, erzeugt aus Camouflagetuch, wirkt etwas lieblos.
Das Bühnenvolk: Wie in jedem Stück gibt es auch im "Eberwald" ein paar Rollen, die schon aus ihrer Anlage heraus zum Glänzen einladen. Es spricht für die Regie, dass es gelungen ist - mit einem Laien-Ensemble! - die einzelnen Charaktere sehr authentisch zu besetzen. Wer in Erinnerung bleiben wird, ist die resolute Wirtin Rosi, unter deren grobes Äußeres Christa Hermannsgabner ein gefühlvolles, am Happy End zart verliebtes Gemüt flicht. Sabine Bogenrieder ist die zweite. Sie eignet sich das Wechselspiel zwischen Comtesse und Wandergesell und wieder Comtesse an, als wär's ihr wahres Leben, und bringt mehr Drama ins Spiel, als eine ganze Saison Model-Camp aufweisen kann. Der dritte Dominante schließlich ist Bernhard Kulzer, der die Rolle des einzigen echten Fieslings übernommen hat, des Räubers vom alten Schlag, der zum Schluss gegen den zu sanften Hauptmann - in Social Media wäre er "woke" - aufbegehrt und von den Gendarmen als einziger verhaftet wird. Sie ragen heraus aus einer starken, geschlossenen Leistung eines Ensembles, das sich - siehe "Sprache" - elegant die Pfeile und Bälle zuwirft. Das seit einiger Zeit konsequent bei den Stücken des Theatervereins umgesetzte Prinzip der "mixed teams", was Alter und Bühnenpräsenz angeht, trägt wohlschmeckende Früchte.
Der besondere Moment: Davon gab es zwei, einen aus dem Stück heraus und einen mitten aus dem Leben. Nummer 1: Die schuljungenhafte Schwärmerei, mit der sich Kaplan Benedikt - charmant zerknittert: Hermann Bogenrieder - der koketten Babette nähert, um ihr seinen sehnlichsten Wunsch zu offenbaren, und sie damit vollkommen entwaffnet. Nummer 2: Als Bernhard Kulzer seinen "Räuber Rupert" zornig und mächtig über die Bühne schimpfen lässt, bekommt er unerwartete Antwort von einem nicht minder stimmgewaltigen Frosch am Ufer, der Tonfall und Rhythmus aufnimmt. So etwas passiert nur am Weiher.
Die "Stellen": Entstanden aus der Mitte der örtlichen Gemeinschaft heraus waren Weiherstücke immer auch für Pointen gut, die sich in der Meta-Ebene bewegen. Dass die Weiße Frau auf der Suche nach der Hubertuskapelle durch die Szenerie huscht: fein! Dass die Wirtin übers Saisongeschäft klagt, in dem die Gäste nur bei schönem Wetter in die Waldgaststätte kommen, aber nicht, "wenn's wie d'Sau schütt'": Treffer! Dass sich im Stück zwei ineinander verlieben, die im wirklichen Leben verheiratet sind: klasse! Wie oft mögen die das zwischen Küche und Schlafzimmer geprobt haben? Es gibt noch einige solcher Momente mehr, aber einer sei dem Publikum künftiger Aufführungen ans Herz gelegt: Wenn Oberst "Zack-Zack" August zum letzten Mal abtreten lässt und "Zack!" ruft, weiß es, was es zu antworten hat. Danach darf so ausdauernd, stürmisch und verdient applaudiert werden wie bei der Premiere.