Katastrophenschutz in Ebersberg:"Wie im echten Leben"

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Gott sei Dank nur eine Übung: In Markt Schwaben üben Rettungskräfte, wie man Unfallopfer medizinisch erstversogt. (Foto: Christian Endt)

Rund 120 Retter des Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehren trainieren im nördlichen Landkreis für den Ernstfall. Und die Simulation gelingt: Es zeigen sich die gleichen Probleme wie bei echten Einsätzen.

Von Vera Koschinski, Markt Schwaben

Laute Rufe und schmerzvolle Klagen dringen aus den geöffneten Fenstern des Gymnasiums in Markt Schwaben. Viele neon-rote Noteinsatzfahrzeuge und Krankenwagen sind um das rote Backsteingebäude positioniert. In den hell erleuchteten Klassenräumen sieht man schon von Weitem Sanitäter, Ärzte und Krankenpfleger in steril-weißen Uniformen umherlaufen. Nur die währenddessen draußen, unter tropfnassen Laubbäumen rauchenden und ratschenden Ersthelfer geben ein widersprüchlich entspanntes Bild ab. Für die Einordnung muss man wissen: Das alles ist eine groß angelegte Übung.

Damit alles möglichst nahe an der Realität ist, wird aus dem Gymnasium eine Klinik

24 Stunden lang haben am Wochenende in Markt Schwaben, Anzing, Forstinning und Poing viele Einheiten den Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehren für den Katastrophenschutz trainiert. Um die 120 Helferinnen und Helfer wurden so auf den Ernstfall vorbereitet, sogar 14 Mitglieder der Jugendgruppe, alle zwischen zwölf und 18 Jahre alt, mischten sich unter die Retter. Und für diese gab es viel zu tun: 32 Fallbeispiele hatte BRK-Bereitschaftsleiter Anno Haase mit seinem Organisationsteam vorbereitet. Und damit die Abläufe der Realität möglichst nahe kamen, hatte man das Franz-Marc-Gymnasium eben kurzerhand in das "Klinikum am Südring" verwandelt.

Auf den schmalen Metalltischen in den Klassenzimmern liegt also an diesem Tag jeweils eine umfangreiche Notfallausrüstung bereit, von Gummihandschuhen über Desinfektionsmittel bis hin zu Kompressen und Mullbinden. Tafeln und Tische in den Gängen markieren Empfangsschalter, mobile Tafeln trennen die Krankenzimmer der Notaufnahme voneinander ab.

Alexander Koch und Leon Adler koordinieren die Einsätze in der Leitstelle. (Foto: Christian Endt)

Eine Krankenpflegerin und eine Ärztin warten gerade auf das Eintreffen des Rettungsdienstes. Nur am wiederholten Schnalzen ihrer blauen Gummihandschuhe kann man eine leichte Nervosität ablesen, während die beiden Frauen über das Geschehen Auskunft geben: Rund 24 Stunden sollen sich die beteiligten Ersthelfer in der Klink am Südring aufhalten und Einätze simulieren. Sogar Betten für Pausen stehen bereit. Durch den zur Klinikeinfahrt umfunktionierten Fahrradkeller können jederzeit Verletzte eintreffen, die "Opfer" in den diversen Szenarien mimen ehrenamtliche Darsteller. Mehrmals fällt während des kurzen Gesprächs der Satz: "Jede Sekunde muss der Rettungswagen hier eintreffen!" Schließlich dingt durch das Handfunkgerät ein knisterndes Signal: Das Einsatzfahrtzeug werde noch einige Minuten auf sich warten lassen. Man hänge im Verkehr fest. "Wie im echten Leben", stöhnt die Ärztin.

Dass einige Minuten in der medizinischen Versorgung einen deflationären Wert haben, ist bereits bei den Szenarien draußen zu bemerken. Auf dem Weg zu einem der Einsatzorte erklärt BRK-Kreisbereitschaftsleiter Bernhard Nowotny, dass die Ankunft des ersten Rettungswagens immer eine große Hürde darstelle: "Das Wichtigste ist, dass uns schnell der Weg frei gemacht wird, ohne dabei weitere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Für die Autofahrer heißt das: runterbremsen und vorsichtig auf den Bürgersteig oder auch in rote Ampeln reinfahren." Auch das solle bei solchen Katastrophenübungen mit Blaulichteinsatz geübt werden.

Täuschend echt: eine "Verletzte" berichtet aufgeregt von einem missglückten Parcourslauf. (Foto: Christian Endt)

Bei der Ankunft an einer Kletterhalle ist das Katastrophenszenario bereits in vollem Gange: Aufgeregt stürmt eine bleichgeschminkte Darstellerin mit einer Platzwunde auf der Stirn an der Besatzung des ersten Rettungswagens vorbei durch die Hinterhofeinfahrt. Aufgelöst redet sie auf den koordinierenden Sanitäter ein und erklärt, dass sie mit ihren Freunden einen Parcourswettbewerb habe veranstalten wollen. Dabei hätten sich ihre Freunde, verschüttet und eingeklemmt, zum Teil schwere Verletzungen zugezogen.

Also müssen die Rettungskräfte zunächst die vier weiteren Opfer finden und - ungeachtet der Angaben der fachunkundigen ersten Patientin - die Verletzungen der Betroffenen feststellen. Für die Koordination des Geschehens, die Beurteilung der Verletzungsgrade und die Verständigung möglicher weiterer Einsatzkräfte ist zunächst der Fahrzeugführer des ersten Rettungswagens zuständig.

Die Einsatzfahrzeuge versperren selbst den Weg für den Abtransport der Verletzten - ein häufiger Fehler

Neben der richtigen Einschätzung der Verletzungen müsse vor allem das Auge der jungen Sanitäter für organisatorische Feinheiten geschult werden, sagt Nowotny. Denn ansonsten verlören sie im Eifer des Gefechts rasch den Überblick über die Gesamtsituation. Der Kreisbereitschaftsleiter blickt dabei auf die verletzte Parcoursläuferin, deren scheinbar harmloser Zustand sich nach all der Aufregung verschlechtern sollte. Auch das dürften die Helfer nicht übersehen, so der Chef.

Durch die schmale Einfahrt kommt schließlich noch ein breiter THW-Transporter gefahren, gefolgt von einem weiteren Rettungswagen - und schon ist der Weg für den Abtransport der zu rettenden Patienten versperrt. Auch das sei ein häufiger Fehler, sagt Nowotny, den man in solchen Übungen lerne, vorausschauend zu vermeiden.

Die Klinik ist voll, deswegen müssen die Unfallopfer in einer Notfallunterkunft versorgt werden. (Foto: Christian Endt)

Da die nahegelegene Klink am Südring aber keine Kapazitäten für Neuaufnahmen mehr hat, müssen die schwer verletzten Parcoursläufer in einer sogenannten Notunfallhilfe untergebracht werden. Das sind aufblasbare, beheizbare Zelte, bestückt mit Betten, Erste-Hilfe-Koffern und weiterer medizinischer Ausrüstung, die innerhalb von 15 Minuten an so gut wie jedem Standort kurzfristig aufgebaut werden können. Nach und nach treffen die medizinisch Erstversorgten unter Stöhnen und Klagen in der Notfallunterkunft ein, während der Regen auf das Zeltdach prasselt.

Es ist ein Wochenende, an dem man eigentlich lieber unter die Couchdecke kriechen würde, als sich draußen in der regnerischen Kälte seinen ersten Herbstschnupfen einzufangen. Wie schön, dass für viele ehrenamtliche Retterinnen und Retter offenbar etwas anderes zählt. Dass der Landkreis Ebersberg auch an solch ungemütlichen Tagen in guten Händen ist, haben sie am Wochenende eindeutig unter Beweis gestellt.

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